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und links der Straße, auf einer grasten Schafe, immerhin. Nach einigen hundert Metern kam sie an eine Kreuzung. Hier hatte die Gemeinde einen Lageplan aufgestellt, das war so überraschend wie hilfreich und nach einigem Hin und Her glaubte Olivia, ein schwarzes Quadrat als das Haus von Stanley Parnell herausgefunden zu haben und machte sich auf den Weg.

       Das musste es sein. Sie stand an der Gartenpforte und schaute auf ein altes Haus mit kleinen Fenstern und Mauern, die sicherlich einen halben Meter dick waren. Die Haustür war blau gestrichen, die Wände weiß und das Dach vor nicht allzu langer Zeit mit Schindeln neu gedeckt. Darum herum erstreckte sich eine kurzgeschnittene Wiese mit zwei mächtigen Ulmen und ein einfacher Gartenzaun aus Holzlatten. Das Meer konnte sie nicht sehen, aber Pierre Hobart war vielleicht an einem klaren Tag hier gewesen. Das Ganze wirkte so still und zurückgezogen, dass sie es in einem Winkel ihrer Magengrube empörend aufdringlich fand, ohne Anmeldung über dieses Haus und seinen Besitzer hereinzubrechen. Für den Augenblick hasste sie das Detektivspielen, das ihr diese Unhöflichkeit abverlangte, andererseits hatte sie sich entschlossen, Pierre Hobarts vermutliche Unschuld aufzudecken, also war es Zeitverschwendung, weiter an der Pforte herumzustehen. Sie öffnete sie und schritt auf das Haus zu, nicht unbemerkt von seinem Bewohner, denn die Haustür öffnete sich, bevor Olivia sie erreichte. Ein untersetzter kräftiger Mann kam ihr entgegen: »Ist Ihr Auto zusammengebrochen? Kann ich Ihnen helfen?«

       Darauf war Olivia nicht gefasst gewesen. Sie sah den ganz in dunkelblaue Wolle verpackten Mann an und schwieg.

       »Kann ich Ihnen helfen?« wiederholte er sein Angebot.

       »Ich hoffe es – dringend sogar. Aber mein Auto ist ganz in Ordnung.« Jetzt schwieg ihr Gegenüber in Blau und wartete. Sie sah ihn eine Weile ruhig an. Dieser Mann also war im entlegensten Südafrika aufgewachsen, von Beruf Ethnologe, seit Kindheitstagen konzentriert auf das Leben und Überleben der Buschmänner und fähig zu dauernder Freundschaft. Er hielt ihrem Blick abwartend stand und Olivia entschloss sich zur Offenheit.

       »Sie sind Mr Parnell?« Ihr Gegenüber nickte und wartete wieder.

       »Wären Sie bereit, mit mir über Mr Pierre Hobart-Varham zu sprechen?« Jetzt war die Verblüffung auf seiner Seite.

       »Sie kennen Pierre? Davon weiß ich ja gar nichts!«

       »Das ist auch fast nicht möglich.« Olivia stellte sich als Journalistin und gute Bekannte der Verteidigerin Laureen Gaynesford vor. Bei einem gemütlichen Gespräch vor ihrem Kamin sei sie auf Norfolk und ihre Absicht zu sprechen gekommen, einige Tage hinaufzufahren. Daraufhin habe Mrs Gaynesford von dem Mord berichtet und sie gebeten, in dieser Sache die Ohren offenzuhalten.

       Sie standen noch immer auf dem Gartenweg. Stanley Parnell ließ sie keinen Moment aus den Augen, auch nicht, als sie geendet hatte. Was in seinem Kopf vorging, wagte Olivia nicht zu sagen.

       »Aus Ihrer Kleidung schließe ich, dass Sie dem Aufenthalt in frischer Luft nicht abgeneigt sind. Lassen Sie uns einen Spaziergang ans Meer machen, im Gehen redet es sich leichter. Ich bin sofort bereit.«

       Tatsächlich sperrte er zwei Minuten später in wetterfester Kleidung seine Haustür zu und führte sie zu einem Fußweg, der sich zwischen den umhegten Weiden schließlich im Dunst verlor.

       »Sie halten Pierre für unschuldig?« eröffnete er das Gespräch.

       »Wie kommen Sie darauf?«

       »Warum sollten Sie sich sonst seiner annehmen?«

       »Zum Beispiel, um die Wahrheit herauszufinden.«

       »Aber Ihrer Meinung nach liegt die Wahrheit nicht dort, wo das Gericht sie zu finden glaubt. Sonst wären Sie nicht hier. Da das Gericht Pierre für schuldig hält, tun Sie es demnach nicht.«

       »Sagen wir, ich möchte wissen, was wirklich passiert ist.«

       »Nun, dann können Sie endlich nur herausfinden, dass Pierre die Tat nicht begangen hat!« Parnell klang sehr entschieden. »Was kann ich dazu beitragen?«

       »Wie gut kennen Sie ihn?«

       »Ziemlich gut. Sein Vater ist mein bester Freund und Pierre ihm im Wesen ähnlich.«

       »Wie lange kennen Sie seinen Vater?«

       »Gemeinsam mit Dick bin ich am Nordrand der Karoo-Halbwüste aufgewachsen, er auf einer großen Schaffarm und ich als Sohn des dortigen Lehrers. Für ihn war die Landwirtschaft als ein Miteinander von Mensch und Erde das aufregendste Thema, das er kannte und kennt. Er liebt das Land. Pierre ebenso. Ich steckte meinen Kopf schon damals mehr in Bücher, es gab bei mir zu Hause davon mehr als Schafe, wenn Sie so wollen. Ich las alles über die Geschichte und Geographie Südafrikas, was auf den Bücherbrettern meines Vaters und beim Pfarrer herumstand, darüber hinaus Romane, Abenteuer- und Entdeckungsgeschichten und Märchensammlungen; unter ihnen gab es einige wenige Aufzeichnungen der Geschichten, die die afrikanischen Menschen sich am abendlichen Feuer erzählen. Schließlich ließen mich jene Afrikaner, die seit alters her, seit nahezu ewig ein Anrecht hatten, dort zu sein, nicht mehr los.«

       »Das sind die Buschmänner, Pierre erwähnte es.«

       »Ja, die Buschmänner – Dick und ich diskutierten sehr viel, als wir älter wurden, über unsere Lieblingsthemen und über fast alles sonst. Wir fühlten uns, als könnten wir ganze Kontinente neu entdecken – ich bekam eine Stelle in Kapstadt, kurz bevor Pierre zur Welt kam und sah ihn aufwachsen, er hat den gleichen freien Geist wie sein Vater und die gleiche Großherzigkeit.«

       »Sie leben schon lange in Norfolk…«

       »Stimmt, gut zwanzig Jahre. Die ganze Zeit hindurch haben Dick und ich lange Telefongespräche geführt und in den letzten acht bis zehn Jahren war ich mehrmals bei ihm auf Besuch. Jedesmal war Pierre auch da.«

       »Und doch besuchte er Sie hier nur ein Mal.«

       »Richtig. Mehr Freiraum ließ ihm sein Onkel nicht. Pierre und ich hatten ursprünglich andere Pläne, hatten aber nicht vermutet, wie viel Zeit Mr Hobart sich für seinen Neffen nehmen würde.«

       »Wie erklären Sie sich das?«

       »Ganz einfach, wir kannten ihn beide nicht.«

       »Sie haben ihn nie gesehen?« Olivia machte kein Hehl aus ihrer Überraschung.

       »Einmal in ferner Vergangenheit, Dick glaubt, dass es 1961 war, traf ich Jonathan in Südafrika. Er besuchte seinen Onkel, den Vater von Dick, ich hatte Semesterferien, fuhr aber hinauf in die Kalahari – in Sachen Buschmänner – und sah ihn nur einen Tag lang, jedenfalls erinnere ich mich an kein weiteres Zusammentreffen, und Dick auch nicht.«

       »Hat Ihr Freund von seinem Vetter erzählt, damals oder seither?«

       »Warum wollen Sie diese mordfremden Dinge wissen?«

       »Sie gehören zu Pierre Hobart. Im nahen Umfeld des Mordes liegt die Lösung nicht, also suche ich im weiten.«

       »Nun gut. In letzter Zeit, genauer gesagt seit Pierres Verhaftung, war Jonathan Hobart häufiger Thema, wie Sie ganz richtig hoffen. Er kam damals gemeinsam mit einem Jugendfreund aus der Umgebung von Windermere nach Afrika. Beide waren eine Weile bei Dicks Vater, bereisten dann das Land und kamen zurück. Dieser Freund ist der Karoo verfallen, er hat in England Landwirtschaft studiert, erwarb am Rand der Steppe Land und züchtete Schafe. Dick studierte zu dieser Zeit bereits den Weinanbau in der Kapregion und war bei dem zweiten Aufenthalt der beiden Engländer auf seines Vaters Farm nicht dabei.«

       »Dieser der Wüste verfallene Engländer züchtet dort noch immer Schafe?«

       »Nein, vor einer Reihe von Jahren hat er seine Farm verkauft und ist nach Norfolk zurückgekehrt.«

       »Warum das denn?«

       »Der Wollmarkt war seit längerem in der Krise. Sie hatte damit begonnen, dass Persianermäntel außer Mode kamen und damit die Felle der Karakullämmer nicht mehr gefragt waren. Trotzdem behauptete sich Südafrika als einer der wichtigsten Wollproduzenten der Welt ganz gut. Einstweilen, der Druck der amerikanischen Wollproduktion wurde immer spürbarer, ihm folgten die Handelsbeschränkungen in Zusammenhang mit der Apartheidpolitik. Inzwischen ist Australien eine starke Konkurrenz. Mancher Farmer versuchte umzusatteln.

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