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Sollte er doch sehen, wie er damit zurechtkam.

      Erwin erwachte aus seiner Schreckstarre. »N-nein, so ist das nicht. Ehrlich. Ich wollte nur sagen, dass Constantin eine Reise gewonnen hat und mich mitnimmt. Äh, nächste Woche«, fügte er vorsichtig hinzu und ging in Deckung.

      Eigentlich konnte es so schlimm nicht werden. Im Vergleich zu der schaurigen Aussicht, jetzt und hier verlassen zu werden, war so eine Urlaubsfahrt mit dem besten Freund doch eine Lappalie. Noch dazu, wenn sie nichts kostete. Dachte Erwin. Aber er kannte eben die Frauen noch nicht.

      ***

      Es war Abendbrotzeit und die verschneiten Straßen des Weihnachtslandes wie leergefegt.

      Ken und Frodewin schlichen zum Schlitten, der bereits fertig gepackt bereit stand.

      »So viel Gepäck wird der ja nicht haben«, mutmaßte Frodewin und beäugte kritisch das große Gepäckfach.

      »Umso besser. Bleibt mehr Platz für mich«, meinte Ken. Ein langer Flug irgendwo eingequetscht zwischen Gepäckstücken wäre seinem schönen Körper sicherlich nicht zuträglich.

      »Und du bist dir ganz sicher?« erkundigte sich Frodewin noch einmal. Er konnte nicht glauben, dass er sich auf so etwas eingelassen hatte. Konnte Ken nicht einen anderen Zwerg als Mitwisser aussuchen? Bestimmt würde der Weihnachtsmann etwas merken und dann waren sie geliefert.

      Wäre es nach Ken gegangen, hätte er tatsächlich lieber einem anderen Zwerg gewählt. Doch Frodewin war der Herr über das Fernrohr. Als Mitverschwörer würde er ihn nicht verpetzen und darüber hinaus dafür sorgen, dass ihn kein anderer Zwerg mit dem Fernrohr entdeckte. Hoffte Ken zumindest.

      Das hier war die Gelegenheit. Endlich würde er eine eigene Tätowierung bekommen. Und diesmal war er nicht allein in dieser verrückten Stadt. Emily würde ihm helfen.

      Das bedeutete allerdings auch, dass er sich in die Höhle des Löwen wagen musste. Beziehungsweise in die Höhle von Frau Wunderlich, aber das lief auf dasselbe hinaus. Ken hatte Angst vor der erneuten Begegnung mit Frau Wunderlich. Zum einen fürchtete er – völlig zu Recht – ihre Rache, zum anderen überkam ihn Unbehagen bei dem Gedanken an den Körper, in dem er einen Tag und eine Nacht lang unfreiwillig gefangen war. Ken hoffte und vertraute auf Emilys Geschick, ihn sicher zu verstecken.

      Das Problem mit Kens Gastheinzelmännchen hatte sich vor zwei Tagen Gott sei Dank von allein geklärt. Sonst hätte dieser Punkt Ken womöglich einiges Kopfzerbrechen bereitet. Doch wie sich herausstellte, vertraten Ken und sein Gast unterschiedliche Auffassungen darüber, wer wie lange das Bad benutzen durfte. Der Heinzelmann meinte, zu kurz zu kommen. Als ob fünf Minuten für diesen struppigen Wicht nicht genügen würden. Außerdem schien der gewisse Vorbehalte gegen ein wohnliches, hübsch dekoriertes Ambiente zu hegen, was zunächst zu Meinungsverschiedenheiten, dann einem lauten Streit und schließlich zum Auszug des Heinzelmännchens führte. Das wohnte jetzt im Gästehaus und teilte sich mit Gutlieb ein Zimmer. Und Ken war endlich wieder allein und – noch besser – sein großer Spiegel hatte keinen Schaden davongetragen.

      »Natürlich. Was glaubst du, mache ich sonst hier?«, antwortete er ungehalten.

      »Und Emily weiß Bescheid und ist wirklich einverstanden?«

      »Jahaa«, seufzte Ken. »Hilf mir mal mit der Klappe.«

      Gemeinsam stemmten sie den Deckel des Gepäckfachs nach oben und Ken kletterte hinein.

      »Na dann, mach’s mal gut. Und vergiss nicht, den anderen zu sagen, dass ich mich hingelegt habe, weil mir schlecht ist.«

      »Äh, klar. Mach ich. Tschüss. Und viel Glück …«

      Frodewin ließ den Deckel fallen und beeilte sich, zum Abendbrot zu kommen. Das war neuerdings ein Ereignis, das man sich besser nicht entgehen ließ.

      Ken versuchte, sich zu orientieren. Wohin würde bei Start und Landung der Koffer rutschen und unschöne Quetschungen verursachen?

      In diesem Moment hörte er jemanden atmen.

      Kens Herz setzte einen Moment lang aus. Du spinnst, versuchte er sich einzureden. Reine Aufregung, sonst nichts.

      Dann nieste es.

      »Gesundheit«, sagte er automatisch, während der Rest seines Körpers in Angststarre verfiel und Panik die Kontrolle übernahm.

      »Danke. Und? Wo willst du hin?« fragte Lauritz’ Stimme neugierig.

      ***

      Die Nacht brach herein und Constantins Abreise stand unmittelbar bevor. Müde Zwerge umringten den Schlitten und hofften, bald ins Bett zu kommen. Reichliches Essen wirkte einschläfernd.

      »Ich will den blöden Mantel nicht anziehen. Wenn mich nun einer sieht?« beschwerte sich Constantin nun schon zum dritten Mal.

      »Dich kann keiner sehen. Deshalb fliegen wir nachts. Und dann landen wir im Wald, wo du dich umziehen kannst«, erklärte der Kobold geduldig. »Was willst du hier denn sonst anziehen?«

      »Ich kann doch wenigstens den Mantel hierlassen.«

      »Mann, hier liegt Schnee! Und im Schlitten zieht’s. Willst du dich etwa vor deinem Urlaub erkälten?«

      »Manchmal kommst du mir vor wie meine Mutter!«

      »Weißt du was? Ich mir auch! Und du wie ein kleines bockiges Kind!«

      »Hoffentlich funktioniert das mit dem Bart«, murmelte Constantin.

      In dem Schreiben der magischen Behörden stand, dass mit Überqueren der Grenzen des Weihnachtslandes für die Dauer der Reise gewisse magische Eigenschaften des Weihnachtsmannes vorübergehend aufgehoben werden sollten, wie zum Beispiel der üppige Bartwuchs und diverse Weihnachtsgelüste.

      Constantin hoffte, dass das stimmte. Noch deutlich konnte er sich an seine entsprechenden Erfahrungen im Sommer erinnern.

      »Jetzt heul nicht rum. Du hast Urlaub.« Der Kobold musterte ungeduldig seinen Chef.

      Er hatte ein ungutes Gefühl. Irgendwas ging nicht mit rechten Dingen zu. Keine Behörde der Welt schenkte einem aus freien Stücken was. Erst recht nichts Erholsames und Angenehmes.

      ***

      Hunde gehörten normalerweise nicht zur nachtaktiven Spezies, sondern schliefen um diese Zeit friedlich in ihrem Körbchen.

      Der große Elvis hatte aus Gründen der bedingungslosen Freundschaft und Zuneigung sein Leben in dieser Hinsicht radikal umgestellt, da Hamster nun einmal sind wie sie sind. Außerdem hatte er die Vorteile einer nächtlichen, zwergenleeren Küche zu schätzen gelernt.

      Nach Constantins Abreise wartete er eine Weile, bis auch der letzte Zwerg den Weg in sein Bett gefunden hatte. Schliefen Zwerge erst mal, konnte man direkt neben ihnen ein Feuerwerk zünden, ohne dass sie davon viel mitbekamen. Zum einen schliefen sie sehr fest, und zum anderen verursachten sie dabei selbst einen Höllenlärm.

      Sie waren traditionell sehr laute Schnarcher, da der, der am lautesten war, den meisten Platz hatte. Elvis war immer wieder aufs Neue beeindruckt, wie man so viel Krach machen konnte, ohne davon wach zu werden.

      Als keiner mehr zu sehen war und die ersten vertrauten Schlafgeräusche einsetzten, schlich er sich für ein weiteres Abendbrot (oder in seinem Fall ein zweites Frühstück) in die Küche. Der kleine Elvis saß wie immer auf seinem Kopf und hielt Ausschau.

      Seit Neuestem wurde das nächtliche Vergnügen durch schwer arbeitende und exzessiv kochende Heinzelmännchen getrübt, die beim Anblick eines großen Hundes in Panik gerieten und fluchtartig die Küche verließen. Das hatte Hund und Hamster in den letzten Nächten praktisch eine gedeckte Tafel beschert. Sie mussten sich nur noch bedienen.

      Doch sie legten Wert darauf, nicht entdeckt zu werden. Und so schlichen sie sich vorsichtig an und spähten um Ecken.

      Die letzte Ecke hatte es in sich, denn unmittelbar dahinter schienen sich mehrere Heinzelmännchen versammelt zu haben. Der Hamster

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