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ignorierte. Und sie war beim Zwei-grüne-Daumen-Gartenverein in Ungnade gefallen. Doch ansonsten schien keiner etwas bemerkt zu haben. So weit, so gut. Jetzt musste sie nur noch die Tätowierung verstecken.

      Zum Glück fiel es nicht weiter auf, wenn sie ihrem Mann aus dem Weg ging, da sie das auch vorher schon praktiziert hatte. Allerdings schien Herr Wunderlich das neuerdings ändern zu wollen. Jetzt ging er sogar schon mit spazieren. Frau Wunderlich fragte sich, wo das noch hinführen sollte.

      Der Rückweg war für Herrn Wunderlich beinahe noch schlimmer als der bisherige Spaziergang, weil Emily Frau Wunderlich fragte, wann diese denn Geburtstag hatte. Schlagartig fiel ihm ein, dass das schon bald war. Sehr bald. Genau genommen in knapp drei Wochen. Lieber Himmel. Auch das noch.

      Herr Wunderlich beneidete seinen Nachbarn, Herrn Krummel. Am Vorabend bestimmter Anlässe, welche eine Beschenkung der Gattin erforderlich machten, erkundigte sich Herr Krummel bei dieser: »Und? Was schenke ich dir dieses Jahr?« Und dann überreichte ihm Frau Krummel diverse Päckchen, die sie für ebendiesen Zweck besorgt hatte.

      Von Herrn Wunderlich hingegen wurde Eigeninitiative erwartet, was ins Auge gehen konnte. In seltenen Fällen äußerte Frau Wunderlich einen konkreten Wunsch und überließ ihrem Mann nur noch die Besorgung. Meistens jedoch erwartete sie eine Überraschung, und zwar eine freudige.

      Die wenigsten Überraschungsgeschenke kamen bei Beschenkten wirklich gut an. Das lag in den meisten Fällen nicht etwa daran, dass sich die Geber keine Mühe gaben. Im Gegenteil. Aber oftmals waren die Geschmäcker von Schenkendem und Beschenktem eben einfach zu verschieden. Schenkende neigten häufig zu der Annahme, dass dem Beschenkten zweifellos das gefiel, worüber sie sich selbst freuen würden. Damit lagen sie in der Regel daneben. Je unterschiedlicher der Geschmack, desto größer die Enttäuschung und anhaltender das betretene Schweigen. Am schwierigsten waren daher Menschen zu beschenken, die einen außergewöhnlichen Geschmack hatten oder unter zu hohen Erwartungen litten.

      So gewöhnlich Wilma Wunderlichs Geschmack auch war – ihre Erwartungen überstiegen jedes für normale Männer erreichbare Maß.

      Doch dann sagte Emily etwas, das Herrn Wunderlich hoffen ließ. Aufgeregt drehte sie sich zu ihm um: »Da müssen wir uns aber schnell was einfallen lassen!«

      Ja! Endlich wusste er, wofür eine so große Tochter gut war. Er musste nur noch die Bedienungsanleitung finden, um damit klarzukommen.

      ***

      Es folgte die Zeit des Wartens.

      Die Zwerge warteten auf die Heinzelmänner, Constantin auf seine Reise, Erwin ebenfalls auf die Reise (von der er Phoebe noch immer nichts gesagt hatte, weil er nicht wusste, wie), Phoebe auf ihren Umzug, Herr Wunderlich auf Vatergefühle und Frau Wunderlich auf Jugend und Schönheit.

      Die meisten der erwarteten Dinge sollten tatsächlich eintreten – ob das nun gut war oder nicht.

      ***

      Zeit ist eines der seltsamsten Phänomene, die es gibt. Jemand scheint das Tempo der Zeit mit einer ordentlichen Portion Niedertracht willkürlich festzulegen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass schöne Erlebnisse wie im Zeitraffer dahineilen, alle Schrecklichkeiten sich jedoch wie Kaugummi dehnen und kein Ende nehmen.

      Noch nie hatte es jemand geschafft, die Zeit auszutricksen. So erklärte es sich, dass die Tage bis zur Ankunft der Heinzelmännchen und damit bis zu angeordneter Höflichkeit und Frohsinn praktisch nicht existierten.

      Für Constantin hingegen, der den Besuch der Heinzelmännchen nur als Randerscheinung während der Wartezeit bis zum Beginn seiner Reise wahrnahm, zogen sich die Tage endlos dahin.

      Die Zwerge bemühten sich, die Vorbereitungen hinter sich zu bringen, ohne allzu oft über das Bevorstehende nachzugrübeln.

      Es war wie immer, wenn man auf fremde Veranlassung hin dazu gezwungen wurde, jemanden einzuladen, den man nicht kannte und der eine unberechenbare Größe* darstellte.

       Man schwankte zwischen Neugier und Argwohn. Die negativen Gefühle überwogen, da bei Zwergen Optimismus mit Unreife gleichgesetzt und entsprechend selten praktiziert wurde.

      Es herrschte allgemeine Unsicherheit und kaum einer erhoffte sich etwas von dem Besuch (wenn man einmal von Wilbert absah).

      Die ernsteren Zwerge (also solche, die zum Lachen zwei Finger zur Hilfe nehmen mussten), fürchteten sich vor ansteckender Fröhlichkeit, welche zu irreparablen Schäden der Gesichtsmuskulatur führen konnte.

      Auch in der Küche zerbrach man sich den Kopf. Gemüse essender Besuch stellte die Köche vor ungewohnte Herausforderungen. Am Ende beschloss man, für die Gäste Kaninchen zu grillen, welche sich immerhin mal von Gemüse ernährt hatten. Für das Dessert waren Bratäpfel geplant. Das schien ein erträglicher Kompromiss zu sein. Notfalls konnte man später noch Gummibärchen und Kaugummis mit Fruchtgeschmack verteilen.

      Keiner hatte es für nötig gehalten, den Zwergen mitzuteilen, wie lange die angeordnete Belagerung durch die Heinzelmännchen dauern sollte. Sicher schien nur, dass sie nicht gleich nach dem Kaffeetrinken wieder verschwinden würden. Die Ankündigung der Fusionierung der Abteilungen ließ im Gegenteil befürchten, dass man diese Personen nie wieder loswerden würde. Es wäre also taktisch unklug, negativ aufzufallen, da man riskieren würde, zu den Heinzelmännchen strafversetzt zu werden und Menschen ihren Dreck nachräumen zu müssen.

      Und wo würden die überhaupt wohnen? Es gab zwar ein Gästehaus, aber das bot allenfalls vier, fünf Zwergen Platz, die gelegentlich zur Aushilfe eintrafen.

      Der Missmut unter den Zwergen nahm stetig zu, was man ihnen nicht verdenken konnte. Wer bekam schon gerne Besuch, der zwanghaft fröhlich war, unmögliche Ansprüche ans Essen stellte und nicht sagte, wann er wieder ging?

      Alles in allem verbrachte man die Tage in Panik, bis der Moment gekommen war.

      Die Zwerge Oben und Unten waren schon vor einigen Stunden mit dem Rentierschlitten losgeflogen. Jetzt deuteten Geräusche hinter dem Stall darauf hin, dass sie zurückgekehrt waren. Nun gut. Also würde man den unabwendbaren Tatsachen tapfer ins Auge blicken und hoffen, dass man anschließend nicht schielte.

      Draußen trafen die Zwerge auf ein Grüppchen von mehr als zwanzig Heinzelmännchen, die sich neugierig umsahen. Vor einer unsichtbaren Linie kamen die Zwerge plötzlich zum Stehen und musterten die Neuankömmlinge argwöhnisch.

      Die Heinzelmännchen waren kleiner als die Zwerge und hatten etwas kürzere Bärte. Die Gesichter waren faltiger, was vermutlich vom vielen Lachen kam. Doch ansonsten waren sie den Zwergen gar nicht so unähnlich. Wenn man einmal vom Gesichtsausdruck absah.

      Die Last der Verantwortung zwang Humbert schließlich, das Schweigen zu brechen. »Wir heißen euch hier in Zipfelbergen herzlich willkommen und hoffen, dass ihr euch bei uns wohl fühlt.«

      Die Heinzelmännchen nickten freundlich und sahen Humbert erwartungsvoll an. Der hatte den einzigen offiziellen Satz, der ihm für diese Situation eingefallen war, bereits gesagt und fragte sich, was man wohl jetzt von ihm erwartete. Keiner der Zwerge schien gewillt zu sein, ihm hilfreich zur Seite zu stehen. Und da man befürchten musste, dass Wilbert seine Drohung wahr machte, die Gäste mit einem fröhlichen Lied aufzumuntern, sprach er verzweifelt weiter.

      »Vielleicht, äh, sollten wir euch erst einmal alles zeigen. Oder habt ihr einen bestimmten Wunsch, was ihr jetzt tun wollt? Also … wir könnten dann auch essen, ich müsste nur vorher noch kurz in der Küche Bescheid ge…«

      Ein Heinzelmännchen schob sich nach vorn und hob die Hand. »Vielen Dank für den freundlichen Empfang. Wir…«

      Das Heinzelmännchen verstummte abrupt und warf entsetzte Blicke auf eine Stelle irgendwo hinter den Zwergen. In die Gruppe kam Bewegung. Im nächsten Augenblick waren sämtliche Heinzelmännchen hinter dem Schlitten verschwunden.

      Verblüfft beobachteten die Zwerge das seltsame Gebaren und drehten sich schließlich fragend um, in der Hoffnung, die Erklärung hierfür zu entdecken.

      Constantin stand allein und

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