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Leben war seine Mutter gewesen. Die jetzt nicht mehr mit ihm sprach.

      Er war einer der wenigen Menschen, die fürs Kistenschleppen Dank empfanden. Denn dabei hatte er dem Krieg im Wohnzimmer seiner Mutter entkommen können. Die zwei einzigen Frauen in Erwins Leben fochten dort anfangs aus, ob Erwin nun ausziehen durfte oder nicht. Erwin hätte das nie für möglich gehalten, aber seine Mutter verlor. Das machte nicht unbedingt Mut für eine Zukunft an der Seite der Siegerin.

      Aber damit nicht genug. Vom errungenen Sieg umnebelt, kämpfte Phoebe anschließend darum, was Erwin alles mitnehmen durfte. Es gab nicht viel, worum gestritten werden konnte, aber die Kämpfe wurden dadurch nur noch erbitterter. Als Phoebe darauf bestand, eine alte Vase mitzunehmen, die Erwins Mutter in sein tristes Zimmer gestellt hatte, um diesem die Illusion von Gemütlichkeit zu verleihen, mischte sich Erwin ein. Das konnte nur mit seinem Mangel an Erfahrung erklärt werden.

      Augenblicklich richtete sich die Feindseligkeit beider Frauen gegen ihn und er geriet ins Kreuzfeuer der weiblichen Aggressionen.

      Ihm war schon zu Ohren gekommen, dass sich mehr oder weniger friedliche Frauen in entsetzliche Ungeheuer verwandelten, wenn sie um einen Mann kämpften. Aber zum einen fand er derartige Geschichten maßlos übertrieben. Zum anderen hätte er es niemals für möglich gehalten, dass selbst ein Mann wie er Frauen in solche Abgründe treiben konnte.

      An den folgenden Tagen hatte er mehrere böse Briefe seiner Mutter erhalten, die Phoebe sofort als Beweisstücke A bis D in einen Ordner heftete. Erwin war schlicht zu feige, seiner Mutter zu antworten oder ihr gar gegenüberzutreten. Vielleicht brachte die Zeit eine Lösung. Oder Entspannung.

      Erwin hatte mit seiner Mutter noch immer nicht über seine Erlebnisse im Juli und die Erkenntnis, wer sein Vater war, gesprochen. Seine Mutter wusste deshalb auch nicht, weshalb er kein Priester mehr war. Sie glaubte, dass ausschließlich Phoebe dahintersteckte.

      Anfangs hatte Erwin überlegt, wie er das Thema am besten ansprechen konnte. Dann zog Phoebe und damit das Chaos ein. Zunächst hoffte Erwin noch auf eine günstige Gelegenheit, doch die Lage spitzte sich weiter zu. Irgendwann würde er jedoch mit seiner Mutter reden müssen. Bald. Aber nicht zu bald.

      Jetzt saß Erwin vor dem Mietvertrag. Seine Hand zitterte. Sollte er wirklich unterschreiben? War das ein Schritt in die Freiheit oder in den Abgrund?

      Und was, wenn er seinen Anteil der Miete nicht bezahlen konnte?

      Dummerweise war er abhängig von Phoebe. Denn da war noch das Problem mit Erwins ungeklärter Zukunft. Phoebe hatte Erwins Entscheidung, das Dasein als Priester aufzugeben, grundsätzlich begrüßt. Nicht zuletzt wegen der zölibatären Einschränkungen.

      Allerdings musste für Erwin jetzt eine andere Beschäftigung gefunden werden, und das war nicht so einfach, wenn man außer priesterlichen Fachkenntnissen nichts vorzuweisen hatte.

      Darüber hinaus fürchtete Phoebe, dass sie auf ihrer göttlichen Gut-und-böse-Liste Minuspunkte gesammelt hatte, weil sie einen gottgeweihten Mann vom rechten Weg abbrachte. Daher suchte sie für ihn eine Beschäftigung, bei der er Gutes tat. Das war schwerer als erwartet, da man selbst hierfür gewisse Qualifikationen vorweisen musste.

      Das beim Juwelier Lehmann erbeutete Geld und Gut war zur Hälfte an verschiedene Wohltätigkeit versprechende Organisationen gespendet worden. Die andere Hälfte hatte Erwin dem Waisenhaus übergeben, aus dem Emily stammte. Phoebe hoffte, dass ihm das dort gewisse Türen für eine Beschäftigung öffnen würde. Aber derzeit klemmten die Türen noch.

      Momentan war die einzige Tätigkeit, die Erwin ohne zusätzliche Ausbildung ausüben konnte, die eines Verkäufers oder Vertreters. Also half Erwin vorerst in Phoebes Geschäft aus, doch irgendwie war er dafür spirituell falsch ausgerichtet.

      Ein leiser Knall ließ Erwin hochschrecken. Verwirrt sah er um sich und konnte gerade noch beobachten, wie Manfred in einer Rauchwolke Gestalt annahm und mit einem großen Briefumschlag kämpfte.

      »Post für dich«, rief der Kobold und strahlte Erwin an.

      ***

      Die Sonne schien auf Herrn Wunderlichs sorgfältig überkämmte Halbglatze herab. Darunter wälzten sich düstere Gedanken umher. Auf seine Ankündigung hin, mit spazieren gehen zu wollen, hatte seine Frau ihn zuerst verblüfft angesehen und dann mit den Schultern gezuckt. Hätte er dieses Zeichen mal besser richtig gedeutet. Doch gutwillig war er hinterhergetrottet. Den ganzen langen Weg bis zum Spielplatz. Selbst schuld.

      Seine Frau ließ sich von Emily interessante Dinge erzählen wie Dann hat der gesagt, dass die Freundin von dem jemanden getroffen hat, der beobachtet hat, wie sich die mit dem gestritten hat. Herrn Wunderlichs Beitrag beschränkte sich auf verwirrte Blicke. Und mehr wurde auch nicht erwartet. Im Gegenteil. Er war Luft.

      Auf dem Spielplatz wurde es noch schlimmer. Während Emily schaukelte, traf Frau Wunderlich ihre Nachbarin, Frau Krummel. Ein weiteres Mal zeigte Herr Wunderlich guten Willen und setzte sich dazu; bereit, die verbale Schlacht aufzunehmen. Und dann sprachen die Frauen ausgerechnet über Diäten. Als ob er das nicht schon oft genug ertragen musste. Jetzt sollte er auch noch darüber reden.

      Frau Krummel zeigte sich beeindruckt von Frau Wunderlichs Durchhaltevermögen. »Ach?« hatte sie gemeint und neidisch geguckt. »Ich halte so etwas nie durch.«

      »Und wie bleibst du dann so schlank?« fragte Frau Wunderlich (jetzt ebenfalls neidisch).

      »Oh. Nun, Viren und Infekte machen immer so im Februar und März die Runde, also genau rechtzeitig vor der neuen Bikinisaison. Ich besuche dann alle Leute, von denen ich höre, dass sie einen Magen-Darm-Virus abbekommen haben. Jeder Infekt macht mich ungefähr ein anderthalbes Kilo leichter, richtig gute sogar zwei. Etwa fünf Infekte, und ich bin im Soll.«

      Herr Wunderlich war sich sicher, dass er nie wieder Frau Krummel begegnen konnte, ohne daran zu denken, wie sie auf dem Klo saß. Beziehungsweise davor kniete.

      Er machte sich Sorgen. Die Diät, die ständigen Kosmetik- und Friseurbesuche, Einkäufe, nicht zu vergessen die neue Tochter – irgendetwas war mit seiner Frau geschehen, als sie vor ein paar Wochen kurz verschwunden war. Wilma schwieg hartnäckig, wenn er sie fragte, wo sie gewesen sei und was zum Teufel mit dem ganzen Geld passiert war.

      Für eine Weile hatte er angenommen, ihr sei etwas zugestoßen, da ihr linker Arm eine Art Verband trug. Aber irgendwann war der Verband plötzlich verschwunden und er sah einem grimmigen Zwerg ins Auge. Das machte alles noch seltsamer – zumal Frau Wunderlich sich auch hierzu weigerte, genauere Auskunft zu erteilen. Auf seine vorsichtige Frage, ob das wieder weggeht, antwortete sie mit einem kurzen, unmissverständlichen Nein. Und als er ihr Gesicht sah, traute er sich nicht, weitere Fragen zu stellen. Zum Glück schien sie selbst zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass ein Zwerg auf dem Arm nicht unbedingt vorteilhaft wirkte, und versteckte diesen unter Ärmeln, wenn sie sich der Öffentlichkeit präsentierte.

      Emily schien mit den geheimnisvollen Vorgängen irgendetwas zu tun zu haben, doch auch aus ihr bekam er nichts heraus. Außerdem spukte in seinem Kopf noch immer der Gedanke herum, dass Frau Wunderlich etwas mit einem anderen Mann hatte. Gewisse Anzeichen schienen das zu bestätigen. Andererseits fragte er sich, wann sie sich auch noch um einen anderen Mann kümmern wollte, neben ihren ganzen Schönheitsterminen und der Zeit, die sie mit Emily verbrachte. Ständig gingen die zwei einkaufen oder spazieren. Und jetzt war es schon so weit gekommen, dass er mitging.

      Aus den Augenwinkeln sah er, dass seine Frau das Zeichen zum Aufbruch erteilte.

      Herr Wunderlich seufzte tief und hingebungsvoll. Er nahm sich vor, die Vorgänge weiter aufmerksam im Auge zu behalten. Irgendwann würde er schon noch dahinterkommen.

      Er ahnte nicht, dass seine Frau die ganze Zeit über Ängste durchlebte, dass er etwas herausfinden könnte. Zum Beispiel darüber, dass sie einen Tag lang ein bärtiger Zwerg gewesen war. Das wusste noch nicht mal Emily, und Frau Wunderlich beäugte daher argwöhnisch die Korrespondenz Emilys mit den Zwergen und Constantin. Aber auch über die anderen Geschehnisse der zwei Tage im Juli schwieg sie. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, da sie keine Ahnung hatte, was ihr Körper in dieser

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