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hier an allen Ecken. Zwischendurch ertönten seltsame Laute, die Emily auf Tiere zurückführte. Sie hoffte inständig, dass es keine großen Tiere waren. Schließlich war es bei Hunden auch so, dass die kleinsten den größten Radau machten.

      Sie war bisher davon ausgegangen, dass nachts alle schliefen. Aber nun musste sie erkennen, dass im Wald die Party jetzt erst richtig losging.

      Mit einem Mal tauchten zwei Autoscheinwerfer auf und näherten sich rasch.

      Emilys Gedanken rasten.

      Mist. Wieso hatte sie nicht eher daran gedacht? Nachts kamen die Verbrecher raus. Das wusste jeder. Und wenn die dann auch noch in den Wald fuhren, war das vermutlich ein Zeichen dafür, dass sie zur richtig üblen Sorte gehörten.

      Was würden solche Leute wohl mit einem kleinen Mädchen anstellen?

      Emily wollte nicht warten und es herausfinden. Die Angst vor diesen Leuten war tausendmal schlimmer als die Angst vor dem Wald. So schrecklich konnte der gar nicht sein – schließlich lebten hier Rehe und putzige Eichhörnchen und so.

      Blitzschnell verschwand sie im Dunkel der Bäume und versteckte sich hinter einem Baum.

      Das Auto hielt genau an der Stelle, an welcher Emily soeben noch gestanden und gewartet hatte. Die Tür öffnete sich und Erwin stieg umständlich aus.

      Emily blinzelte ungläubig, dann überschwappte sie eine warme Welle der Erleichterung. Erst jetzt merkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte.

      Natürlich! Wie hatte sie das nur vergessen können? Constantin wurde hier abgeholt.

      Neben ihr knackte es verdächtig und sie rannte los.

      ***

      Erwins überreizte Nerven fuhren Karussell. Und zwar rückwärts.

      Allem Anschein nach war er jetzt verlobt. Er wusste zwar noch immer nicht genau, wie das passieren konnte, da sein Verstand nach wie vor die Arbeit verweigerte und keine Auskunft über die ursächlichen dramatischen Ereignisse lieferte. Doch Phoebe ging davon aus, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Und offensichtlich hatte sie ihn angenommen. Damit schien er aus der Sache nicht mehr herauszukommen.

      Vermutlich war sie bereits unterwegs und klingelte irgendwo eine bedauernswerte Brautkleidverkäuferin aus dem Bett.

      Erinnerungsfetzen von glücklichen Paaren, die sich von ihm trauen lassen wollten, tauchten auf. Und wie die meisten heiratswilligen Menschen konnten sie es gar nicht erwarten, aller Welt zu erzählen, wie es soweit kommen konnte.

      Erwin glaubte, sich zu erinnern, dass das stets in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Frage gestanden hatte. Dass ein unglücklich gewähltes Pronomen einen in derartiges Unheil stürzen konnte, war ihm noch nicht zu Ohren gekommen.

      Er hatte zwar hier und da den Eindruck gewonnen, der entsprechende Bräutigam sei ein wenig überrumpelt worden. Mitunter auch davon, dass auf dem Schwangerschaftstest ein Strich zu viel erschienen war. Aber dass jemand durch grammatikalische Tücken zwangsverheiratet wurde, war ihm neu. Gegen so etwas sollte es eigentlich Gesetze geben. Und neutrale, für Frauen gesperrte Schutzzonen, in denen sich die verstörten, unfreiwilligen Heiratssklaven vor ihren rachsüchtigen Bräuten verstecken konnten.

      Das Auto rumpelte den Feldweg entlang auf den Wald zu und schüttelte Erwins wirre Gedanken noch weiter durcheinander.

      Vielleicht sollte er fliehen. Die Reise war die passende Gelegenheit. Irgendwo könnte er sich verstecken und nicht wieder auftauchen. Oder noch besser. Er ging allein baden, falls es da Wasser gab, und alle würden annehmen, er sei ertrunken.

      Dann fiel ihm ein, dass er nicht besonders gut schwimmen konnte und wahrscheinlich wirklich ertrinken würde. Dann vielleicht doch lieber heiraten. Ins Wasser gehen konnte er allemal noch, wenn er es nicht länger ertrug.

      Am Wald angekommen, stieg er aus Phoebes Auto und schaute in den Himmel, wo jeden Moment sein Freund auftauchen sollte.

      Vielleicht wusste der ja einen Rat.

      Früher, als Erwin noch ein unschuldiger Priester war, hatte er sich die Sache mit dem Warten auf ein Licht, das vom Himmel kam, irgendwie anders vorgestellt.

      Plötzlich knackte und raschelte es im Wald. Oh Gott.

      Etwas rannte auf ihn zu, und es war eindeutig größer als ein Eichhörnchen. Sogar größer als ein Fuchs. Und es rannte aufrecht, direkt in seine Richtung.

      Erwins Kopf schrie Renn endlich los, du Idiot!, doch die fürs Rennen zuständigen Körperregionen sahen sich dazu außerstande. Nach und nach knickten seine Knie ein und er sank auf den Boden. Seine Augen stierten noch immer auf das dunkle Wesen, das ihn beinahe erreicht hatte.

      Nun, es sollte wohl so sein. Er hatte mit seinem Leben gehadert, und jetzt zeigte ihm das Schicksal, dass es noch viel schlimmer kommen konnte. Aber er würde es hinnehmen wie ein Mann.*

      »Mann, bin ich froh, dass Sie hier sind«, rief Emily schrill und hoffte, dass Erwin das Schluchzen nicht bemerkte.

      In diesem Moment kippte Erwin zur Seite.

      Emily hielt erschrocken inne, beugte sich dann aber über Erwins schlaffe Gestalt. Vorsichtig schüttelte sie ihn.

      »Äh, geht es Ihnen gut? Kann ich Ihnen irgendwas…«

      Schwaches Licht erhellte den Weg und ein seltsames Rauschen erklang. Einen Moment später landete der Weihnachtsschlitten neben dem Auto, rumpelte noch ein Stückchen weiter über den Acker und kam schließlich zum Stehen. Die Rentiere schnaubten leise.

      Emily fielen fast die Augen aus dem Kopf.

      Im Fernsehen hatte sie das schon unzählige Male gesehen. Meistens in Zeichentrickfilmen. Die Rentiere sahen da aus wie Plüschtiere, sprachen und hatten rote Nasen. Wenn es ganz schlimm kam, sangen sie sogar. Und im Schlitten saß ein dicker, freundlicher Weihnachtsmann im roten Mantel und sagte Hohoho. Warum auch immer.

      Diese Rentiere hier sahen aus wie – nun, Rentiere eben. Sie waren riesig und erweckten nicht den Anschein, als ob sie gerne etwas sagen oder singen würden. Oder knuddeln. Wenn man ihnen eine rote Nase verpasste, sorgten sie vermutlich auf schmerzvolle Weise dafür, dass man selbst noch an ganz anderen Stellen rot wurde.

      Der dicke Weihnachtsmann steckte irgendwo unter seinem roten Mantel, fluchte und rief: »Nicht gucken! Ich zieh mich gerade um.«

      Emily beschloss, dass Erwins Wiederbelebung vorerst warten konnte, und kam neugierig näher.

      Manfred hopste neben dem verknäuelten Constantin auf der Bank herum. »Siehst du? Die ganze Zeit über habe ich es gesagt. Zieh dich endlich um. Wir sind gleich da. Aber nein – der Herr meinte, noch ewig Zeit zu haben.«

      »Na und? Weiß gar nicht, was du dich so aufregst. Erwin wird ja wohl das bisschen noch warten können. Außerdem konnte ich nicht wissen, dass mir aus dem Gepäckfach ein Zwerg entgegenspringt.«

      »Ein Zwerg?« rief Emily bestürzt. Es sollte doch keiner etwas davon wissen, dass Ken mitkam. War er etwa erwischt worden?

      Das Knäuel erstarrte. »Wer hat das gerade gesagt?« fragte Constantins Stimme misstrauisch.

      Lauritz spähte über den Schlittenrand. »Das Mädchen. Äh, Emily, nicht wahr?«

      Constantins Kopf fuhr aus dem Knäuel nach oben. »Emily? W-was machst du denn hier?«

      »Ich …, äh, ich wollte dich sehen. Die Zwerge haben geschrieben, dass du heute hier ankommst. Und…, also, ich dachte, ich komme mal her. Hab dich schon so lange nicht gesehen.«

      Eigentlich sollte das überzeugender klingen. Doch Emily war unsicher, wie Constantin ihr Erscheinen aufnahm. Außerdem lag hinter ihr noch immer der bewusstlose Erwin.

      Unschlüssig musterte sie den Zwerg, der auf dem Schlittenrand balancierte. Sie war sich bei dem Mangel an Licht nicht sicher, aber allem Anschein nach war das nicht Ken.

      »Und du bist…?«

      »Lauritz.

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