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an euch gedacht. Es hat in letzter Zeit bei mir schwerwiegende Veränderungen gegeben. Es tut mir leid, wenn ich euch schon wieder mit Problemen belästigen muss. Aber es geschehen zur­zeit Dinge, für die ich nichts kann und die für euch bedrohlich werden könnten. Ich werde so bald wie möglich zu euch kom­men und euch alles erklären. Bis dahin müsst ihr sehr vor­sich­tig sein. Ich werde verfolgt und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch ihr bald verfolgt werdet. Bleibt auf jeden Fall dort, wo ihr seid, und schickt mir keine Nachrichten. Schickt nie­man­den Nachrichten. Ich liebe euch, euer Clark.«

       Jaime und Patricia schwiegen sich an. Es gab nichts zu sagen, beide dachten dasselbe. Immer wenn Clark sich mel­dete, dann mit schlechten Nachrichten oder Problemen. Aber in der Welt, in der er lebte und die sie nicht verstanden, schie­nen Probleme an der Tagesordnung zu sein. Jedes Mal, wenn er sie besuchen kam, hatten sie gehofft, sie könnten ihn aus dieser Welt endlich rausreißen. Doch sie schien wie eine Droge zu sein, die einen in Abhängigkeit versetzte und nicht mehr loszulassen schien. Jedes Mal schwärmte Clark von seinen Gen Cocktails, die er mit einem Klavier verglich, auf dem er kompo­nierte und auf dem die Oktave aus tausend Tönen bestand. Und wie er als beständiger Gewinner jedes einzelne Patent vor dem Weltkomitee einklagte. Auf der Fortuna lebten rund eine Millionen Menschen, die alle nur deshalb keine Gewinner sein konnten, weil es keine Verlierer gab.

       Die Fortuna war ein Geschenk von Allsa an die Indivi­dualisten. Eigentlich war der Format Makulatur. Zwei mal drohte schon die Eva­kuierung, weil die Atmosphäre kurz vor dem Zusammenbruch stand. Es grenzte fast an ein Wunder, als sie sich vor hundert Jahren dann doch stabilisierte. Allsas groß­­zügiges Geschenk diente nur dazu, um eine Millionen läs­tige Kritiker zu entsorgen, als die Individualisten ihre Unab­hängigkeit errangen.

       Diesmal brauchte Clark keinen Dämmerschlaf. Er war so erschöpft, dass er von den dreizehn Stunden Flug zwölf Stun­den durchschlief. Als das Stationssystem der Conestar 64 wie­der beharrlich nach seiner Iden­tifizierung fragte, trank er einen seiner selbst angerührten Munter­macher. »Besser als alles, was es von Allsa gibt«, murmelte er und flog in die Schleuse ein.

       Als er durch die Gänge lief, war er richtig aufgeregt und glücklich darüber, dass er Mel so schnell wieder besuchen konn­­te. Nur war er nirgendwo zu erblicken. Nach 10 Minuten Suche wurde Clark nervös. Er stand vor einem Sektorblock und drückte auf die Intercom.

       »Mellie?«

       Die ganze Station erhallte seine Rufe, doch es rührte sich nichts. Clark verharrte dort eine weile und versuchte Geräusche zu hören. Nur das Vibrieren der Aggregate und das leise Surren seines Fußballgroßen Bots, der neben ihm schwebte, waren zu hören. Auch Daisy konnte ihn nicht orten. Clark grübelte einen Moment, was passiert sein könnte. Ihm war klar, dass die Zeit rannte und Castello hier bald auftauchen würde. »Mel, ver­dammt, was ist los?«, sagte er leise zu sich und ging in die Fer­ti­gungshalle, in der er ihn zuvor gefunden hatte. Nichts. Hatte er sein Leid nicht mehr ertragen können und einen Weg ge­fun­den, sich zu vernichten? Clark wurde immer nervöser. Unruhig lief er zwischen den Regalen umher und schaute in jeden Winkel. Nichts. Er lief in einen Lager­raum, in dem, neben Ge­rüm­pel und Verpackungsmaterial, noch einige Palet­ten mit fertigem IW45 standen. »Mel, komm her, ich habe Neuigkeiten für dich.« Als er gerade hinter einer Palette nachsehen wollte, schoss plötzlich Mel hervor und würgte ihn mit seiner Greif­zange. »Ich habe auch Neuigkeiten für dich, Clark, du mieses Dreck­schwein.«

       »Mel, lass das, ich kann dir alles erklären«, röchelte Clark. »Du brauchst mir nichts mehr zu erklären, ich weiß schon alles.«

       »Mel, ich kriege keine Luft mehr, hör bitte auf.«

       »Es wird mir Kraft geben, wenn ich wenigstens einen von euch mie­sen Verrätern erledigt habe.«

       »Mel, dass ist ein Missverständnis.« Clark lief blau an. »Clonedake pleite? Ein Missverständnis? Du hast mich wider­wär­tig reingelegt.«

       »Mel, ich habe deinen Körper gefunden.«

       »Ich werde auf deine Lügen nicht mehr reinfallen.« Mel drückte immer fester zu. Mit letzter Kraft zog Clark die Kette aus der Tasche und hielt sie hoch. »Dein Körper existiert. Sieh dir das hier an.« Mel ließ nun etwas locker, behielt Clark aber noch im Griff, der nach Luft rang. »Wo … wo hast du das her?«

       »Mel, wenn du mich jetzt umbringst, wirst du es nie erfah­ren.«

       »Das ist eine Fälschung, ein übler Trick.« Mel drückte wie­der fester zu. »Ich … kann es … dir … erklären«, röchelte Clark. »An welchem Handgelenk war die Kette? Rechts oder links?«

       »Weder noch.« Clarks Augen waren blutrot unterlaufen, »rechtes Fuß­gelenk.« Clark sackte zu Boden. Mel hatte ihn losgelassen und griff mit seiner Greifzange nach der Kette. Clark hustete und röchelte. Sein Bot setze ihm eine Injektion. Mel hob die Kette direkt vor seine Kamera­augen und musterte sie. »Sarah wollte, dass ich sie dort trage. Sie mein­te, dass es Glück bringt. Wo ist mein Körper?« Clark versuchte, wieder zu atmen. Sein Hals war blau von Würge­malen. Mel hätte ihn bei­nahe getötet. »Er liegt mit den anderen hundert Designern in der Positive Concept. Der Unfall war vorgetäuscht. Castello hat sich ein Lager ange­legt. Er braucht euch alle.« Mel war im­mer noch skeptisch. »Warum hast du meinen Körper nicht gleich mitgebracht?«

       »Die Station wurde in einem See versenkt. Ich bin mit einem Freund dort runtergetaucht. Er hieß Jasper und ist jetzt tot.« Mel starrte regungslos auf das Amulett der Kette, in dem das Gesicht seiner Tochter abgebildet war. Nach über vier Jah­ren hielt er plötzlich einen Teil seines Lebens - in seiner Greif­zange.

       »Clark, ich habe ein Schiff geortet. Es nähert sich der Conestar 64«, meldete Daisy plötzlich. Clark rappelte sich auf. »Das ist Castello, wir müssen hier sofort weg. Daisy, Blitzstart vorbereiten. Dann holst du den Bot zu dir und klinkst dich bei ihm ein. Flieg ins All und versteck dich auf der Rückseite der Station. Keine Kommunikation mehr, bevor ich dich rufe.«

       »Wird ausgeführt, Clark. Dein Schiff ist dann aber völlig unkon-trolliert.«

       »Was hast du vor?«, fragte Mel. »Reine Sicherheits­maß­nah­me, falls wir hier nicht wegkommen. Daisy können wir dann immer noch wieder einsammeln.«

       Castello summte vor sich hin. Als er die Silhouette der Conestar 64 sah, legte er seinen Arm freundschaftlich um Scott. »Na dann werden wir die beiden jetzt mal besuchen. «Scott begriff nicht so recht. »Wer ist denn da noch, außer Clark?«

       »Ach, weißt du, der andere war einer meiner besten Leute und sehr undankbar. Sein Gehirn steckt jetzt zum Nachdenken in einem Lang­zeit­erhaltungssystem«, seufzte Castello. »Er lebt also praktisch?«

       »Ja«, Castello verdrehte entzückt die Augen und verfiel in einen Singsang. »Ich könnte ihn sterben lassen und wieder­be­le­ben … und sterben lassen und wiederbeleben.« Scott schau­derte es. »Mein Gott, was für Qualen.« Castello schaute ihn mit einem sanftmütigen Blick an. »Aber Scott, wenn es uns gelingt, sein kleines Geheimnis zu lüften, wirst du zur Elite aufsteigen.«

       »Wirklich?« Scott bekam glänzende Augen. Was für Aus­sichten. In die Semi Elite hatte er es bisher nur über die Bezie­hung seiner Eltern geschafft. Nun saß Scott als persönlicher Assistent neben dem Mann, der die Macht hatte, ihm im Hand­umdrehen die höchste Auszeichnung zu ver­schaffen. Du wirst so wertvoll, dass dir die Unsterblichkeit per Gesetz verordnet wird. Scott war wie im Trance.

       »Tor 1 beschädigt, Schleuse 2 belegt, Schleuse 3 ist frei zur Lan­dung.« Castello schloss genüsslich die Augen, als er die Mel­dung vom Sta­tions­system hörte. »Er ist hier. Ich habe ihn.« Scott machte neben dem selbstbewussten, charismatischen Cas­tello eher eine erbärmliche Figur, als sie beide in der Haupt­­­halle hinter den Schleusen standen. »Das hier ist eine ernste, wichtige Mission, Scott. Ich weiß, dass ich mich auf dich ver­las­sen kann. Deshalb habe ich dich zu meinem Assis­tenten gemacht.« Scott schluckte und bekam glasige Augen. »Manch­mal braucht es eine gesunde Portion Glück, um so dicht am Erfolg zu stehen«, dachte er sich euphorisch. »Hör zu, du nimmst jetzt diesen Sprengsatz und setzt dich leise und

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