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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Читать онлайн.Название Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Год выпуска 0
isbn 9783742749215
Автор произведения Ludwig Bechstein
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
So du es mir vergönnest, großer Kaiser, so will ich
wohl dieser Frauen Kämpe sein. Das wurde ihm gewährt,
und er stritt darauf einen schweren Streit mit
dem Sachsenherzog, doch obsiegte er ihm endlich und
machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei
und ledig. Die danketen ihm in Züchten, und die Herzogin
bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren
könne, und wär' es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges
Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne
ihm nimmer geboten werden; sein Name sei Helias,
das und mehr könne er von sich nicht sagen, und
müsse er unerläßlich bedingen, daß seine Braut und
Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wo er hergekommen,
welches sein Geschlecht sei, wer ihm
Vater und Mutter wäre, und solcher Fragen mehr,
denn sowie sie solche Frage auch nur die leiseste und
nur ein einziges Mal an ihn richte, müsse sie auf
immer ihn verlieren.
Diese Bedingnis deuchte der Prinzessin von Brabant
gar leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte
sich dem Schwanenritter Helias. Sie zogen
nach Cleve, der uralten Stadt, wo schon Julius Cäsar
eine Burg erbaut, erneueten das Schloß und nannten
es die Schwanenburg und freuten sich des Lebens und
der Landschaft, die schon manche mit den elyseischen
Feldern der alten Mythe ob ihrer Anmut verglichen.
Beide gewannen auch zwei blühende Kinder und
waren sehr glücklich, wären es auch geblieben, wenn
nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier,
die junge Herzogin gequält und immer mehr gequält
hätte. Die mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich
ihrer Kinder Vater sei, und so drückte es ihr
fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr
doch so ernst verboten war. Da sprach Helias: Nun
hast du dein Glück zerbrochen und mein Glück und
hast mich am längsten gesehen. – Und waffnete sich
und winkte zum Fenster hinaus – da kam schon der
Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Und
der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin
stumm und schmerzlich die Hand – die weinte
überlaut und stürzte ihm voll Reue zu Füßen und
wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte
ihn an, daß er bleiben sollte. Aber Helias konnte nicht
bleiben – er segnete alle, bestieg seinen Kahn und
fuhr von dannen. Tief drang der Kummer ins Gemüt
der Herzogin, doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen
Rittern, und ihnen entstammten alle spätern Grafen
und Herzoge von Cleve und Geldern und Reineck, die
führten meist den Schwan im Wappen. Des Landes
Heerschild aber blieb der weiße Stein im roten Felde,
um den die acht goldnen Szepterstäbe gestellt sind,
bis auf diesen Tag. Auf dem Schwanenturme der
Schwanenburg aber zeugt noch ein weißer Schwan,
der sich im Winde dreht, von dieser Geschichte.
136. Gelre, Gelre!
Im weiten offnen Lande zwischen dem Rheinstrom
und der Maas hauste zu Kaiser Karl des Kahlen Zeiten
ein untümlicher Drache, der zehrte Menschen und
Tiere auf, und wenn er Hunger hatte, so schrie er mit
lauter gellender Stimme immerfort: Gelre, Gelre! Die
Menschen wichen aus der Gegend hinweg, die doch
schön und fruchtbar war, denn das Untier war unüberwindlich.
Nun saß in der Nähe ein Edler, Otto, Herr
von Pont, der hatte drei Söhne, deren Ältester hieß
Leupold, und dieser Leupold war ein tapferer junger
Degen und hatte Mut, dem Ungetüm zu Leibe zu
gehen. Er wappnete sich auf das beste und erkundete
den Ort, wo der Drache hause. Da ward ihm ein alter
Birnbaum gewiesen, der voller Mistelpflanzen stand,
und da dauerte es nicht lange, so hörte Herr Leupold
den Drachen schon schreien: Gelre, Gelre! – Harre
nur, dachte der junge Degen, ich will dich schon begelren,
und rückte auf den Drachen zu. Dieser funkelte
ihn mit feurigen Augen an, die wie Sterne blitzten,
und sperrte seinen Rachen greulich auf und blies giftigen
Atem daraus hervor, aber Herr Leupold stieß ihm
seine Lanze hinein, daß am Hinterkopfe die Spitze
wieder hervordrang, und stach ihn mit dem Schwerte
in die Weichen und tötete ihn. Voll Dankes priesen
die Bewohner der Gegend des jungen Ritters Heldentat
und ernannten ihn zu ihrem Oberherrn. Er erbaute
sich darauf da, wo er den Drachen überwunden, ein
Schloß und nannte das nach dem Drachenschrei
Gelre. Daraus ist der Name Geldern entstanden, den
die blühende Provinz noch heute führt.
137. Des Riesen Handwerfen
Am Scheldefluß hauste zu Julius Cäsars Zeiten ein
Riese auf einem hohen Turme, soll Antigonus geheißen
haben, der bewachte das Land und nahm allen,
welche dort vorüberreisten oder über das Wasser setzen
wollten, die Hälfte ihrer Güter als Zoll ab. Wollten
sie den nicht entrichten, so mußten sie mit ihm
kämpfen, und dann hieb er dem Besiegten jedesmal
die rechte Hand ab und warf sie in die Schelde. Da
kam ein Mann, der hieß Brabon, mit mehrern andern
Gefährten an die Stelle der Überfahrt, und fanden
allda den Knecht des Riesen auf der Wacht, der wehrte
ihnen den Übergang; sie sollten erst mit dem Riesen,
seinem Herrn, das Ihre teilen, oder sie müßten
ihre rechte Hand lassen. Dazu war Brabon nicht geneigt,
weder zum einen noch zum andern; darauf
schlug der Knecht an eine Eisenstange, die gab tiefen
Glockenschall, und da kam der Riese trutziglich vom
Turme herunter und fragte: Wer ist es, der mit mir
kämpfen will? – Ich allein! erwiderte Brabon, und