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Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren
Год выпуска 0
isbn 9783706561921
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Pädagogik für Niederösterreich
Издательство Bookwire
Alle Abbildungen gedruckt mit freundlicher Genehmigung der Verlage.
1 Für Bilderbücher zum Thema „Lebensraum Fluss“ siehe Sippl (2020a); im Rahmen der LV „Sprachliche Bildung und Literacy“ haben im WS 2020/21 Studierende der Elementarbildung Bilderbuchanalysen zu den Themen „Unsere Erde“, „Lebensraum Wiese“, „Lebensraum Wald“, „Plastikmüll“, „Müll“ u.a. erstellt
Felix Heizmann
„Wenn ich ein Miljoner wäre …“
Nachhaltigkeitsbildung in der Grundschule durch kreatives Schreiben zu einem Bilderbuch
1. Einleitung
Im wissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahre hat der Terminus ‚Anthropozän‘ eine erstaunliche Konjunktur erlebt. Als ursprünglich geologischer Fachbegriff umreißt er ein neues Erdzeitalter, das maßgeblich von den massiven und folgenreichen Eingriffen des Menschen in die Umwelt geprägt ist (vgl. z.B. Gebhardt 2016, 29), während er als kulturelles Konzept die schonungslose Selbstreflexion des Menschen über ebendiese Entwicklung akzentuiert (vgl. u.a. Horn 2017; Sippl & Scheuch 2019; kritisch dazu vgl. Manemann 2014). Dies macht eine Auseinandersetzung mit tiefgreifenden ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Fragen erforderlich, deren Bearbeitung insbesondere in einem interdisziplinären Austausch und im steten Dialog der Wissenschaften mit der Gesellschaft gelingen kann. Weil derart planetare Veränderungen als Folge menschlichen Handelns in Vergangenheit und Gegenwart zu begreifen sind, ist die Beschäftigung mit ihnen auch als eine wesentliche Dimension von Erziehung zu konturieren mit dem Anspruch,
die Menschen so zu bilden, dass sie stärker auf die destruktiven Auswirkungen ihres individuellen und kollektiven Handelns achten und versuchen, deren negative Auswirkungen zu reduzieren. Um die destruktiven Energien und Wirkungen zu verringern, ist ein radikales, Gewalt reduzierendes Umdenken erforderlich. Das gilt für den Umgang mit der Natur und den Menschen in gleicher Weise. Im Bewusstsein einer den Menschen in vielerlei Hinsicht überfordernden Aufgabe gilt es, seine Beziehungen zur Natur und zu sich selbst zu verändern. (Wulf 2020, 202)
Als ein geeigneter Ort für Lernprozesse dieser Art ist bereits die Grundschule anzusehen, in der Individuen unterschiedlichster sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft neben fachspezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch grundlegende Werte, Verhaltensweisen und Handlungskompetenzen einüben, die ihnen ein besseres Verständnis globaler Entwicklungen ermöglichen und sie zu nachhaltigem Denken und Handeln befähigen (vgl. u.a. Wanning 2019; Rippl 2019).
In diesem Spannungsfeld positioniert sich der vorliegende literaturdidaktische Ansatz, der der empirischen Unterrichtsforschung in der Primarstufe zuzurechnen ist. Er versteht Literatur als ein Medium, das in rezeptiver und produktiver Hinsicht in vielfacher und komplexer Weise zur Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit einlädt, denn sie
stellt die Welt nicht nur dar, wie sie ist, sondern auch wie sie sein könnte, sein müsste oder nicht sein darf. Und sie hat nicht nur das durch unmittelbare Erfahrung Zugängliche zum Gegenstand, sondern weit mehr die nur über Kommunikation vermittelbare Innenwelt des Menschen. (Rank & Bräuer 2008; vgl. auch Härle 2008)
Dieses Verständnis von Literatur lag auch einer Unterrichtseinheit im Fach Deutsch zum kreativen Schreiben in einer sozial wie sprachlich heterogenen zweiten Grundschulklasse mit 24 Schüler*innen zugrunde, in der das Bilderbuch Wenn ich eine Katze wäre … als Impulsgeber diente. Wie sich anhand der entstandenen Texte und Bilder rekonstruieren lässt, beschäftigen sich die Kinder dabei trotz fehlender inhaltlicher Vorgaben seitens der Lehrperson auffällig häufig mit globalen Krisensituationen, für deren Bewältigung sie auch kreative Lösungen mit ästhetischen Ausdrucksformen entwerfen. Ausgehend von ihren Erzählungen geht der Forschungsansatz der Frage nach, welche Themen die Zweitklässler*innen selbstständig adressieren und was sich in ihren Gedankenexperimenten über ihre impliziten handlungsleitenden Orientierungen, ihre Weltansichten, Wünsche, Hoffnungen und Ängste dokumentiert.
2. Aufbau des Forschungsansatzes
Die explorative Studie fußt auf der Verschränkung mehrerer Elemente, zu denen eine ästhetisch anspruchsvolle Literaturauswahl, eine motivierende wie herausfordernde Schreibaufgabe mit ‚natürlicher Differenzierung‘ und eine der Komplexität des kindlichen Denkens angemessene Forschungsmethodik gehören.
2.1 Das Bilderbuch
Das literarästhetische Bilderbuch Wenn ich eine Katze wäre … von Edoardo Bardella Rapino und Matteo Gubellini nutzt das leitmotivisch wiederkehrende Muster des Konditionalsatzes „Wenn ich ein*e … wäre, würde ich …“ und lädt seine Rezipient*innen dazu ein, die Vielfalt der Welt aus der Perspektive ihrer Bewohner zu erkunden. So stellt das Buch in zwölf kurzen, sich jeweils über eine Doppelseite erstreckenden Episoden „phantastische Hypothese[n]“ (Rodari 2008, 38) auf, etwa wie es wäre, als Möwe das Meer zu überfliegen und die Fischschwärme zu beobachten, als Schnecke die Welt zu bereisen und trotzdem immer schon ein Zuhause zu haben oder als Ameise die Wände hochzuklettern, alles und jeden aus beliebigen Blickwinkeln zu betrachten und sich dabei nichts entgehen zu lassen.
Trotz der dargelegten Sichtweisen wäre es jedoch verfehlt, das Bilderbuch auf ein bloßes Spiel im Modus des Als-ob zu reduzieren. Mit Rodari lässt sich hingegen konstatieren, dass es sich dabei keineswegs um „Nonsens“ handelt, sondern „ganz offensichtlich um den Gebrauch der Phantasie mit dem Ziel, eine aktive Beziehung zur Realität herzustellen“ (2008, 36). Ergänzt werden die kurzen Geschichten durch leicht düstere, formreduzierte und mit zurückhaltenden Pastellkreiden gemalte Bilder, bei denen vor allem die anthropomorphen Züge der Tiere und ihre markant gestalteten Augen auffallen. Die Blicke der Figuren wirken wie selbstreferentielle Anspielungen auf die Intention des Bilderbuchs, indem sie die Leser*innen dazu auffordern, die Welt buchstäblich ‚mit anderen Augen zu sehen‘.
2.2 Kreatives Schreiben
Die Erzählungen der Zweitklässler*innen entstanden im Zuge einer Unterrichtseinheit zum Kompetenzbereich Texte verfassen,1 in der das kreative Schreiben genutzt wurde. Eine Gemeinsamkeit der unter diesem Oberbegriff subsumierten didaktischen und methodischen Ansätze besteht darin, dass der Schreibprozess per se auf Anregungen, Auslösern, Strukturen und Spielregeln basiert und „primär auf den persönlichen Ausdruck und die Entfaltung der Phantasie“ abzielt (Spinner 1994, 46; vgl. auch Schuster 1995; Kohl & Ritter 2010). Aufgrund dessen ist das Konzept auch für den Anfangsunterricht besonders geeignet, in dem die Kinder idealiter erleben und erfahren, dass sich Schreiben keineswegs auf motorische Fertigkeiten, Zeilenhalten oder Korrektheit beschränkt, sondern es auch ein persönliches Ausdrucksmittel mit bedeutsamen, mitunter ästhetischen Funktionen darstellt.
Um die Heterogenität der Lerngruppe und die je individuellen kognitiven und schriftsprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten aller Schüler*innen zu berücksichtigen, wurde bewusst eine offene Schreibaufgabe mit ‚natürlicher Differenzierung‘ (vgl. Krauthausen & Scherer 2010) konzipiert. Sie lädt die Kinder dazu ein, entweder ein bekanntes Tiermotiv aufzugreifen und ein alternatives Ende zu entwerfen (z.B. ‚Wenn ich eine Möwe wäre, würde ich alle Länder aus der Luft bestaunen‘) oder sich von der persönlichen Phantasie und Neigung ausgehend einen eigenen Schreibimpuls beispielsweise in Form eines anderen Tieres, eines konkreten oder erfundenen Gegenstandes usw. zu suchen und sich von ihm zum Erzählen anregen zu lassen (z.B. ‚Wenn ich eine Uhr wäre, würde ich die Zeit anhalten‘).2 Somit erlaubt