Скачать книгу

Entwicklungsprognosen bzgl. der Verfügbarkeit neuer Technologien dar und geben eine Einschätzung von Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit bzw. Konkurrenzverhältnissen in der Zukunft wieder. Es handelt sich also um „wissenschaftlich erstellte Zukunftsvorstellungen[,] [...] Visionen zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen und Zustände auf Basis heutiger Erwartungen und Extrapolationen, insbesondere im Bereich der neuen Technikfelder“ (Grunwald 2018, 104f.). Die Geschichten speisen sich meist aus modellbasierten Szenarien und nehmen sowohl globale Dimensionen in den Blick – wie etwa auch Klimamodellierungen dies tun – als auch eine regionale und lokale Ebene (vgl. ebd., 105).

      Auch im Marketing- und PR-Bereich sowie in der Organisationsentwicklung findet Storytelling seine Verwendung, wenn es um öffentlichkeitswirksame Kommunikation u.a. im Bereich Nachhaltigkeit, Technologie und Gesellschaft geht. Die wissenschaftliche Grundlage und Ausrichtung spielen dabei, anders als bei den beschriebenen Technikzukünften, in der Regel keine Rolle. Beratungsfirmen wie Narratives Management (https://www.narratives-management.de/) nutzen gezielt die Wirkung von Erzählungen, um mit ihren Kund*innen überzeugende Narrative für interne wie externe (Werbe-)Kommunikation zu entwickeln. Von ihnen geleitete Netzwerke wie Beyond Storytelling (https://www.beyondstorytelling.com/) werben damit, dass man strategisches Storytelling erlernen und für die eigenen Zwecke gezielt nutzen kann (Chlopczyk 2017; Chlopczyk & Erlach 2019).

      Die didaktische Funktion von Storytelling ist jedoch auch für den Bildungskontext von Interesse. Diese Art von Zukunftswerkstätten gehören im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) gewissermaßen zum Standardrepertoire (vgl. Anselm, Hoiß & Köppel 2021). Sie zählen zu den zukunftsorientierten Lernmethoden und basieren auf einem didaktischen Konzept (vgl. Jungk & Müllert 1981/1995), bei dem davon ausgegangen wird, „dass die Menschen über häufig ungenutzte kreative Fähigkeiten sowie Problemlösungspotenziale verfügen, die aktiviert werden können. Mithilfe der Methode werden diese Ressourcen mit dem Ziel mobilisiert, Perspektiven für die individuelle und/oder gemeinsame Zukunft zu entwickeln und konkrete Schritte zur Erreichung dieser Ziele zu planen“ (Böttger 2001, o.S.). Zukunftswerkstätten durchlaufen dabei typischerweise drei Phasen: eine Kritikphase, in welcher der Ist-Zustand analysiert wird, eine Utopie-Phase, die den Soll-Zustand formuliert, sowie eine Realisierungsphase, in der es um die Fixierung konkreter Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung des Soll-Zustands geht (vgl. ebd.).

      Der Fokus liegt bei Zukunftswerkstätten deutlich auf der Entwicklung einer positiven Zukunftsvision (vgl. DPJW 2020, o.S.), um nachhaltige Veränderungen anzustoßen und umzusetzen. Sie sind fächerübergreifend einsetzbar, weil explizit Fragestellungen nachgegangen wird, die alle betreffen. Beispiele hierfür sind Fragestellungen wie „Was ist gutes Leben?“, „Was ist gute Bildung?“, „Wie sehen Städte der Zukunft aus?“, „Wie kann sich Ernährung verändern, um nachhaltigen Kriterien zu genügen?“ oder „Wie kann ein alternatives Wirtschaftssystem aussehen und was muss es leisten?“ (vgl. Anselm, Hoiß & Köppel 2021). Dass dabei Interessenskonflikte entstehen können, liegt auf der Hand. Gleichwohl stellen Zukunftswerkstätten hierfür einen geeigneten Rahmen dar, der für die Teilnehmer*innen die Möglichkeit zum Gespräch über ein ggf. kontrovers diskutierbares Thema entstehen lässt. Die Teilnehmenden erwerben dabei im Sinne einer BNE wichtige Gestaltungskompetenzen, indem sie sich u.a. mit Fragen nach den eigenen Lebens- und Wertvorstellungen auseinandersetzen und im Austausch mit den Einstellungen anderer eine Wertereflexionskompetenz entwickeln.

      6. Stoffgeschichten als narrative Annäherungen an globale Handlungspraktiken

      im Kern ein Sammelbegriff für alle Beiträge literarischen Lesens und Textverstehens zur Persönlichkeitsbildung [ist], für die Katalysatorfunktion von Literatur im Rahmen der Selbstverständigung von Gemeinschaften über ihre Interessen, Erfahrungen und Werte und schließlich für die kulturstiftende und -bewahrende Funktion literarischer Kommunikation in allen Medien, derer sie sich bedient. (Abraham 2015, 7)

      Der didaktische Einsatz ist also nicht an den Deutschunterricht gebunden, im Gegenteil: Gemäß dem Prinzip des fächerübergreifenden Unterrichts kann ein literarischer Text als Impulsgeber in unterschiedlichen Fachkontexten von Geografie, Fremdsprachen, Geschichte, Wirtschaft, Politik, Ethik oder Religion dienen. Auch für die MINT-Fächer bieten Stoffgeschichten Potenziale, da sie einen grundlegend anderen Zugang zur Welt darstellen. In Erzählungen sind Perspektiven sichtbar, die möglicherweise in Sachtexten, Statistiken oder Berechnungen verborgen bleiben; sie werden so zu einem wesentlichen Bestandteil der Beachtung der in Lehrplänen und Bildungsstandards geforderten „Bewertungskompetenz“ auch in naturwissenschaftlichen Fächern. Insofern stellen Stoffgeschichten eine interdisziplinäre Bereicherung für eine Vielzahl von Fächern dar (vgl. Anselm, Hoiß & Köppel 2021) und verfolgen das Ziel, Lernenden fachtheoretisches Grundlagenwissen über die Produktion und den Konsum zu vermitteln. Auf diese Weise lässt sich begreifen, welche Bedeutung die Materialwege für Umwelt bzw. Endverbraucher*innen haben. Dadurch sind die Problemlagen zu erkennen, die durch Produktion, Konsum und Entsorgung vieler konfliktbehafteter und kontrovers diskutierter Rohstoffe entstehen. Zu denken ist etwa an die Funktionsmaterialien Titandioxid und Silikon (vgl. Lubberger 2017). Die Schüler*innen übernehmen Perspektiven Betroffener, erkennen eigene Privilegien und reflektieren mögliche negative Auswirkungen eigener Konsumentscheidungen. Daraus werden letztendlich Konsequenzen für das eigene verantwortungsvolle Handeln im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung abgeleitet. Der Zugang kann sowohl rezeptiv als auch produktiv durch das Schreiben eigener Stoffgeschichten – im Sinne epistemischen Schreibens – erfolgen. Neben dieser individuellen ist auch eine kollektive Dimension erkennbar: Da Moral keine Meinung ist, die beliebig und frei wählbar und veränderbar ist, sollte auch die Frage einer moralischen Verpflichtung zu kollektiver Handlungs(un)fähigkeit im Unterricht diskutiert werden (vgl. Lippold 2020).

      Im pädagogischen Kontext leisten Stoffgeschichten damit einen wertvollen Beitrag zur verantwortungsvollen Gestaltung der Zukunft. Sie sind ein hilfreiches Instrumentarium, um Komplexität zu reduzieren und Stoffe handhabbar zu machen. Zugleich geht es neben der Wissensvermittlung auch darum auszuloten, wie in aller Komplexität mit den Folgen des ökologischen, technischen und sozialen Wandels umzugehen ist und wie ein Bewusstsein dafür geschaffen werden kann, dass die individuellen (Konsum-)Praktiken in ein global gespanntes Stoffsystem verflochten sind. Stoffgeschichten können ohne eine moralisierende Instanz eine Sprache der Vermittlung erschaffen, um etwa ein nachhaltiges Konsumbewusstsein zu erzeugen.

      Narratologisch interessant ist die Fokalisierung und Perspektivierung hin zum Materiellen (vgl. Schmidt 2009, 123–128). Anders als konventionelle Erzählungen, die mit vereinzelten

Скачать книгу