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sowie sämtliche Vorhersagen darüber, was geschehen könnte, wenn die Menschheit ein bestimmtes (z.B. nachhaltiges) Agieren unterlässt.

      (2) Erzählungen kommt im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), die Menschen zu zukunftsorientiertem Denken und Handeln befähigt sowie zu einer nachhaltigen Gestaltung der eigenen Lebenswelt anregt, als „Lerngeschichten“ (Baake & Schulze 1993, 9) besondere Bedeutung zu. Denn die normativen Vorstellungen von und über Nachhaltigkeit werden auch durch Literatur und Medien geprägt. So sind Erzählungen als wirkungsvolle Ressource zu verstehen, um fächerübergreifend und fachintegrativ den zentralen Bereich schulischer Werteerziehung auszugestalten (vgl. Anselm 2021). Sie können ihren Rezipierenden Sichtweisen der Wirklichkeit nahelegen, die nicht nur für sie, sondern auch für ihre Kultur (relativ) neu sind (vgl. Saupe & Leubner 2017, 150). Besonders hervorzuheben sind hierbei die multimodalen Erzählformate, die sich dem Anthropozändiskurs zuordnen lassen und in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erfahren haben. Als Konsequenz der rasanten Entwicklung im digitalen Bereich der letzten Jahre und dem damit verbundenen medialen Strukturwandel ist dabei zugleich ein zunehmender Druck wahrnehmbar, entsprechende crossmediale Vermittlungsstrategien zu entwickeln (vgl. Anselm & Hoiß 2017), um die eigenen Inhalte für eine breite Öffentlichkeit – und das heißt: quer über die verschiedenen medialen Kanäle – zugänglich zu machen. Wie auch im Anthropozändiskurs deutlich zu sehen ist, umfasst die inhaltliche Dimension von Crossmedialität (neben der technischen Ermöglichung multimedialen Erzählens und einer Kreuzung der Medien) vor allem die Präsentation von Themen bzw. das Storytelling über technische Mediengrenzen hinweg und damit die Entwicklung crossmedialer Genres (vgl. Hoiß 2019, 197f.).

      Im Folgenden wird ausgehend von drei Konkretionen aufgezeigt, inwiefern Narrationen im Kontext des Anthropozäns im Sinne des Storytellings entscheidende Bedeutung zukommt. Zunächst wird im Rahmen von Beispielen aus der Wissenschaftskommunikation dem Verhältnis von Fakt und Fiktion in solchen Erzählungen nachgegangen, die explizit dem Anthropozän zuzuordnen sind. Dann werden Erzählungen als literarische Zukunftswerkstätten gedeutet, deren prospektive Kraft man im Kontext des Anthropozäns auch für den Unterricht nutzen kann. Schließlich werden anhand konkreter Beispiele sogenannte Stoffgeschichten als narrative Annäherungen an globale Handlungspraktiken expliziert.

      4. Erzählungen zwischen Fakt und Fiktion

      Als besondere Eigenheit im Anthropozändiskurs erscheint der Comic in der Wissenschaftskommunikation als beliebtes Medium der Wissensvermittlung. Unter dem Begriff Graphic Science wurden aufwendig gestaltete Comic-Bände wie Anthropozän – 30 Meilensteine auf dem Weg in ein neues Erdzeitalter (Hamann 2014) oder Die Anthropozän-Küche (Leinfelder, Hamann, Kirstein & Schleunitz 2016) erstellt. Basierend auf dem Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (vgl. WBGU 2011) überträgt der Sachcomic Die große Transformation. Klima – Kriegen wir die Kurve? (Hamann, Hartmann, Zea-Schmidt & Leinfelder 2013) Ergebnisse der Politikberatung in allgemein verständliche Erzählungen. Hier ist das Anthropozän der Auslöser für die im Comic beschriebenen politischen, wissenschaftlichen oder aktivistischen Bemühungen bekannter Akteur*innen im Klimabereich, die wiederum auf einen neuen Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation hinarbeiten. Auch andere Institutionen wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) nutzen den Comic für eine kurze Geschichte der Klimaforschung wie beispielsweise in Ein heißer FallDas Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung klärt auf (PIK 2017). Wieder andere, wie der Schriftsteller Yuval Noah Harari – immerhin seit Jahren einer der weltweit erfolgreichsten Sachbuchautoren – nutzen das Genre, um wissenschaftliches Wissen sichtbar und einer breiten Zielgruppe verfügbar zu machen: In der Graphic Novel Sapiens. Der Aufstieg (2020) wird der erste Teil von Hararis Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit (2015) adaptiert: Wenn man so will, geht es mit dem Aufstieg des Menschen auch um den Beginn des Anthropozäns.

      Durch die (massen-)mediale Vermittlung ist das Anthropozän mittlerweile zu einem kulturellen Phänomen avanciert (vgl. Hoiß 2019, 162–192) und Erzählungen übernehmen, wie aus den vorangestellten grundlegenden Reflexionen zur Wirkmächtigkeit von Literatur deutlich wurde, die Vermittlungsrolle. In diesem Zusammenhang ist der oben gezeichnete Trend deutscher Wissenschaftsinstitutionen (Deutsches Museum, PIK, WBGU etc.) aufschlussreich, bei der Darstellung der globalen Herausforderungen des Anthropozäns der Hinwendung zur erzählerischen Vermittlung ganz generell und im Speziellen bildbasierten gegenüber rein wortbasierten Literaturformen den Vorzug zu geben. Daneben können aber auch genrespezifische Überlegungen angestellt werden. So verweist die wissenssoziologische Forschung auf, wenn auch nicht vollends empirisch nachgewiesene, motivationale Effekte von Comics: Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass der Comic grundsätzlich auch schwerer zugängliche Zielgruppen wie etwa Jugendliche anspreche und zum Lesen motiviere. Das Medium sei als bilddominiertes intuitiver zugänglich und könne daher auch wissenschaftliche Erkenntnisse leichter vermitteln (vgl. Schrögel & Weitze 2018, 30ff.). Comics und Wissenschaft seien nämlich gerade kein Widerspruch. Zudem sei nicht davon auszugehen, dass es bei der Transformation wissenschaftlichen Wissens in Comic-Formate zu einem Verlust von Informationen komme, sondern gerade die Bild-Text-Kombination intensivere Dimensionen des Wissenstransfers erst ermöglichten (vgl. ebd.).

      Dies ist mit Blick auf die naturwissenschaftlichen, oft sehr technologischen Grundlagen des Anthropozäns, die einer allgemeinverständlichen grafischen Aufbereitung bedürfen, anzuerkennen, da die wissenschaftlich „verwendeten textlichen Codes Fachbegriffe fern des Lebensalltages enthalten“ (ebd., 32). Kommunikativ betrachtet fungieren Comics nicht nur im Kontext des Anthropozäns als „Dialogwerkzeug“ (ebd., 33) im Umgang mit der Öffentlichkeit, sondern auch als Vermittlungsmedium in Bildungskontexten. Gleichwohl unterscheiden sich Wissenschafts-Comics als ästhetisch-literarische Produkte grundlegend von konventioneller (nicht explizit narrativer) Wissenschaftskommunikation:

      Während wissenschaftliches Wissen wahr und überprüfbar sein muss, dürfen – oder müssen – literarische Aussagen erfunden sein. Das Erzählen von wissenschaftlichen Fakten in Kunstprodukten ist somit notwendigerweise von etablierten Kommunikationsverfahren des Wissenschaftssystems zu unterscheiden […]. Fiktionen von wissenschaftlicher Wirklichkeit erzeugen in dem Spektrum kunstvermittelter Wissenschaftskommunikation somit ein Spannungsfeld, das aus den unterschiedlichen Operationsweisen von Wissenschaft und Kunst hervorgeht. (Fücker & Schimank 2018, 50f.)

      Diese Vermengung der kategorialen (und durchaus enggeführten) Sphären von Wissenschaft und Kunst wird im Wissenschaftssystem allerdings keineswegs durchgehend als positiv bewertet. „Denn anstatt verlässliche Botschaften auszusenden, wie es von der Wissenschaft erwartet wird, sind fiktionale Vermittlungsformate vielmehr dadurch charakterisiert, kontinuierlich neue und vielfältige Bedeutungszusammenhänge herzustellen“ (ebd., 51). Oft haben sie ein Image degenerierter, defizitärer und unangemessener Kommunikation, da sie eben nicht mehr ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien wie der Verlässlichkeit von Informationen operieren, sondern die Story neben das Faktum stellen bzw. die Fakten durch literarische Rezeptionsprozesse überhaupt erst kontextualisiert werden. Darum relativieren literaturwissenschaftliche, erzähltheoretische und nicht zuletzt didaktische Forschung diese Einschätzung (vgl. Klein & Martínez 2009, 1): Erzählen ist ein grundlegender, anthropologisch begründeter Zugang zur Welt, dem sich auch die Wissenschaft nicht entziehen kann. Diese Einschätzung bestätigt Lyotard, der eine „Rückkehr des Narrativen in das Nichtnarrative“ (Lyotard 2015, 79) gerade im wissenschaftlichen System erkennt:

      Ein grober Beweis: Was machen die Wissenschaftler, wenn sie nach irgendwelchen „Entdeckungen“ zum Fernsehen gerufen, in den Zeitungen interviewt werden? Sie erzählen ein Epos eines Wissens, das doch gänzlich unepisch ist. (Ebd.)

      Dieses Vorgehen macht sich nicht zuletzt didaktische Vermittlung zunutze. Denn bei der Frage, wie wissenschaftlich erzeugtes Wissen auch pädagogisch und gesellschaftlich wirksam werden kann, spielen Erzählungen eine zentrale Rolle. Auch wenn anzuerkennen ist, dass Wissenschaft und Kunst bzw. Literatur aus unterschiedlichen Systemlogiken heraus agieren, geht es im pädagogischen und gesellschaftlichen Vermittlungskontext nicht nur, wie im Wissenschaftssystem vorgesehen, um die exakte Replikation

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