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entstammen. Und ich beginne mit dem Simultangedicht „L’amiral cherche une maison à louer“1 („Der Admiral sucht ein Haus zur Miete“) von Richard HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard, Marcel JancoJanco, Marcel und Tristan TzaraTzara, Tristan, das für den gleichzeitigen Vortrag in drei Sprachen, Deutsch, Englisch und Französisch, geschrieben wurde und am 31. März 1916 seine Uraufführung erlebte. Die ‚Partitur‘ des Gedichts wurde in der Zeitschrift Cabaret Voltaire vom Juni 1916 abgedruckt:2

      Abb. 1

      Etwas leichter zu lesen ist der Text, wenn man ihn nach Einzelstimmen umschreibt (wobei im Folgenden das „intermède rythmique“ („rhythmisches Zwischenspiel“) weggelassen ist):

      HUELSENBECKHuelsenbeck, Richard Ahoi ahoi Des Admirals gewirktes Beinkleid schnell zerfällt Teerpappe macht Rawagen in der Nacht und der Conciergenbäuche Klapperschlangengrün sind milde ach verzerrt in der Natur chrza prrrza chrrrza prrrza chrrrza prrrza Wer suchet dem wird aufgetan Der Ceylonlöwe ist kein Schwan Wer Wasser braucht find […] im Kloset zumeistens was er nötig hätt ahoi iuché ahoi iuché Find was er nötig hätt O süss gequollnes Stelldichein des Admirals im Abendschein uru uru uro uru uru uro uru uru uru uro pataclan patablan pataplan uri uri uro Der Affe brüllt die Seekuh bellt im Lindenbaum der Schräg zerschellt taratata taratata tatatata in Joschiwara dröhnt der Brand und knallt mit schnellen Peitschen um die Lenden Im Schlafsack gröhlt der alte Oberpriester und zeigt der Schenkel volle Tastatur L’amiral a rien trouvé

      JANCOJanco, Marcel, chant Where the honny suckle wine twines itself arround the door a swetheart mine is waiting patiently for me I can hear the weopour will arround arround the hill my great room is mine admirabily confortably Grandmother said I love the ladies […] I love the ladies I love to be among the girls and when it’s five o’clock and tea is set I like to have my tea with some brunet shai shai shai shai shai shai shai shai Every body is doing it doing it doing it Every body is doing it doing it see that ragtime coupple over there see that throw there shoulders in the air She said the raising her heart oh dwelling oh oh yes yes yes yes yes yes yes yes yes yes yes oh yes oh yes oh yes oh yes yes yes oh yes sir L’amiral a rien trouvé

      TZARATzara, Tristan Boum boum boum Il déshabilla sa chair quand les grenouilles humides commencèrent a brûler j’ai mis le cheval dans l’âme du serpent à Bucarest on dépendera mes amis dorénavant et c’est très intéressant les griffes des morsures équatorial Dimanche: deux éléphants Journal de Genève au restaurant Le télégraphist assassine […] la concièrge qui m’a trompé ella a vendu l’appartement que j’avais loué Dans l’eglise après la messe le pécheur dit à la comtesse: Adieu Mathilde Le train traine la fumée comme la fuite de l’animal blessé aux intestins ecrasés Autour du phare tourne l’auréole des oiseaux bleuillis en moitiés de lumière visant la distance des batteaux Tandis que les archanges chient et les oiseaux tombent Oh! mon cher c’est si difficile La rue s’enfuit avec mon bagage à travers la ville Un métro mèle son cinéma la prore de je vous adore etait au casino du sycomore L’amiral a rien trouvé

      Wie wird hier Mehrsprachigkeit genutzt, bzw. genauer: Was ist das kulturpolitische Programm dieses Gedichts? Es ist nicht ganz einfach, das abzuschätzen, man muss, angesichts der fehlenden offenkundigen Kohärenz der Darstellung, auf Spurensuche gehen. Sowohl der Titel als auch die von allen drei Sprechern zugleich und auf Französisch ausgesprochene Schlussformel „L’amiral a rien trouvé“ („Der Admiral hat nichts gefunden“) weisen darauf hin, dass es durchaus so etwas wie eine Geschichte gibt: Der Admiral sucht ein Haus zur Miete, hat aber bis zum Schluss nichts gefunden. Den Grund teilt womöglich die französische Stimme mit: „Le télégraphist assassine la concièrge qui m’a trompé ella a vendu l’appartement que j’avais loué“ („Der Telegraphist hat die Concièrge umgebracht, die mich betrogen hatte; sie hat die Wohnung verkauft, die ich gemietet hatte“). Dabei bleibt unklar, was genau den Telegraphisten zum Mord an der verräterischen Concierge bewegt hat – vielleicht ein Befehl des Admirals? Ansonsten sind diejenigen Teile des Gedichts, die aus gebräuchlichen Worten des Deutschen, Englischen und Französischen bestehen, nur lose an das Geschehen um den Admiral gebunden. Dennoch gibt es weitere Hinweise: Die deutsche Stimme spricht vom „Stelldichein des Admirals im Abendschein“, die englische Stimme, auch wenn sie den Admiral nicht erwähnt, handelt überwiegend von der Liebe des Sprechers zu den Frauen, die ihn allerorten erwarten („a swetheart mine is waiting patiently for me“), und die französische Stimme berichtet vom Abschied eines Sünders (pécheur), der zumindest im gesprochenen Französisch auch ein Fischer (pêcheur) sein könnte und berufsbezogen in eine gewisse Nähe zum Admiral rückte, von einer Frau: „Adieu Mathilde“. Es gibt zahlreiche Anspielungen auf die Seefahrt bzw. auf nur Seefahrern erreichbare exotische Länder, und auch auf ein ausschweifendes Leben, wie man es Seefahrern vielleicht gerne nachsagt: Exotische Tiere werden erwähnt – ein „Ceylonlöwe“, eine „Sehkuh“, zwei Elefanten („deux éléphants“) und ein „Affe“ – sowie, mit weniger maritimen oder exotischeren Assoziationen behaftet, Frösche („grenouilles“), ein Pferd („cheval“), das in die Seele einer Schlange („serpent“) gesteckt wurde; die Perspektive öffnet sich auf ein Lokal, in dem „ragtime“ getanzt wird sowie auf „Joschiwara“, das damalige Rotlichtviertel von Tokyo; es ist die Rede von Äquatorialgegenden („équatorial“) und etwas wird als ‚Bug‘ (fr. „prore“) bezeichnet. Ein längerer Satz der französischen Stimme gegen den Schluss des Gedichts spricht dann auch explizit von Schiffen und von einem Leuchtturm: „Autour du phare tourne l’auréole des oiseaux bleuillis en moitiés de lumière visant la distance des batteaux“ („Um den Leuchtturm dreht sich der Heiligenschein der Vögel, die zur Hälfte von dem Licht gebläut sind, das die Entfernung der Schiffe anpeilt“). Ebenfalls im französischen Text gibt es einige Hinweise auf Gewalt – neben dem mordenden Telegraphisten ist von „les griffes des morsures“ die Rede, also von den ‚Krallen der Bisse‘, von „Brand“ und „Peitschen“ sowie von fallenden Vögeln („Tandis que les archanges chient et les oiseaux tombent“ – „Während die Erzengel scheißen und die Vögel fallen“); in einem gewagten Vergleich wird der Rauch, den ein Zug hinter sich herzieht, verglichen mit dem „Zerlaufen des verletzten Tiers in zermalmte Gedärme“ („Le train traine la fumée comme la fuite de l’animal blessé aux intestins ecrasés“). Neben Japan, Ceylon und allgemein den Äquatorialgegenden wird noch Bukarest erwähnt, und im französischen Text ist abschließend die Rede von verlorenem Gepäck (bzw. Gepäck, das die Straße selbst dem Sprecher wegnimmt). Alles in allem ein Assoziationsraum, der die Hauptperson in ein Geschehen von triebhafter Unterhaltung und mehr oder weniger latenter Gewalt versetzt. Insofern ist es vielleicht auch kein Wunder, dass in allen drei Sprachen – und vor allem im „intermède rythmique“ – die semantisierten Ausdrücke immer wieder nicht semantisierten (oder zumindest nur sehr schwach semantisierten) Lautfolgen weichen, sei es in der Wiedergabe von teils maritim assoziierten Ausrufen („Ahoi ahoi“ bzw. „ahoi iuché ahoi iuché“, später „Oh!“ und „oh oh yes yes“ usw.), sei es lautmalerisch, mit militärischen und/oder musikalischen („Boum boum boum“ bzw. „Yabomm“, „taratata taratata tatatata“) oder auch mit eher leiblich-animalischen Assoziationen („chrza prrrza chrrrza prrrza chrrrza prrrza“ bzw. „uru uru uro uru uru uro uru uru uru uro pataclan patablan pataplan uri uri uro“, vielleicht auch „shai shai shai shai shai shai shai shai“). Alles in allem passt auch dies zum Bild des verdorbenen Abenteurers auf Wohnungssuche.3

      Auf der Ebene der Lautlichkeit, auf die sich die Aufmerksamkeit nicht nur angesichts dieser lautmalerischen Elemente richtet, sondern auch deshalb, weil zu vermuten steht, dass sie beim tatsächlichen Vortrag des Textes schnell in den Vordergrund treten würde, weil man die Worte nicht mehr versteht, lassen sich weitere Strukturen ausmachen. So tendiert die Stimme von HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard dazu, in mehr oder weniger alberne Paarreime zu verfallen, etwa: „Wer Wasser braucht find […] im Kloset zumeistens was er nötig hätt“ – eine Sprechweise, die aber auch die anderen Stimmen teils übernehmen: „and when it’s five o’clock and tea is set I like to have my tea with some brunet“, heißt es bei JancoJanco, Marcel, und TzaraTzara, Tristan reimt: „Dans l’eglise après la messe le pécheur dit à la comtesse“

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