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das nicht klingt. Ich weiß jetzt tatsächlich nicht, was Sie lesen, wenn Sie das lesen, weil ich es selbst ganz anders lese.

       Aber ich kann natürlich die Fremdheit wahrnehmen und kann darüber auch Betrachtungen anstellen.

      Natürlich, das können Sie schon …

       Es ist schon mühsam, vor allem durch die Unterteilung. Es ist eine Herausforderung, diesen Text zu lesen, nicht nur weil er unendlich traurig ist an vielen Stellen, sondern weil er wirklich im praktischen Sinne schwer zu lesen ist. Das würde ich schon sagen, aber weniger wegen des Ungarischen als tatsächlich dieser ganz ungewohnten Trennung.

      Aber ich hoffe, Sie haben die Seite dann nicht so gelesen: immer von oben nach unten.

       Nein, nein.

       Was sehr auffällig ist bei der Flora, der wirklich nichts geschenkt wird und die sich auch viele schwere Gedanken dazu macht, dass Sie hier gleichzeitig das erste Mal eine weibliche Figur stark machen, die all diese Lasten tragen muss. Sie haben ja, als Sie anfingen zu schreiben, gesagt, komisch, irgendwie schreibe ich immer Männer, und jetzt ist da diese Flora und schreibt auch noch selbst. Und dann muss sie das alles tragen.

      Ich weiß nicht, ob sie das stark macht. Ich meine, ich nehme eine weibliche Person und zerstöre sie. Im Übrigen habe ich mit weiblichen Figuren angefangen, aber es waren Kinder, und das ist was vollkommen anderes als eine erwachsene weibliche Figur zu haben. Sie hat durchaus ihre Stärke, indem sie es schafft, präsent zu sein. Auch mit Verweigerung kann jemand natürlich sehr präsent sein. Ich fühle mich ein wenig schlecht, dass ich jemanden zerstöre, aber es muss jemand zerstört werden. Sie hat sich dafür besser angeboten als er. Außerdem ist es eine Trilogie und Darius muss demzufolge alle drei Teile überleben oder zumindest die ersten zwei.

       Ich vermute auch, dass es mit ihm eigentlich nicht gut ausgehen kann, aber das ist nur eine Spekulation. Da wir aber jetzt über die Frage sowohl der Mehrsprachigkeit als auch der Mehrstimmigkeit, die sich durch diese Aufteilung ergibt, gesprochen haben, würde ich die Frage nach dem Geschlecht der Figur auch nochmal vor diesem Hintergrund anbringen wollen. Weil sie ja eine schweigende Figur ist und schreibt dieses Tagebuch. Tief in ihrem Inneren, glaube ich, wäre sie gerne Schriftstellerin. Sie haben gesagt, sie arbeitet oder versucht als Übersetzerin zu arbeiten, aber man kann es an einigen Stellen durchaus so verstehen, dass sie selber schreibt. Und sie liest auch interessanterweise Literatur von anderen Autorinnen.

      Ja klar, sie ist eine Leserin, das muss man sagen.

       Sie liest sehr viel, sie liest aber eben auch forciert andere Schriftstellerinnen, das ist ja nicht selbstverständlich. Auch die Lyrikerin, die sie genannt haben, ist dafür ein Beispiel, es gibt andere. Haben Sie schon mal überlegt, was das bedeutet, dass Flora durch die Tagebuchform auf die autobiographische Schiene fällt? Was wiederum auch ein Klischee….

      … ach so, ob das sozusagen die weibliche Form ist, ob die Biographie, das Tagebuch, ob das den Frauen so zugeschriebene Formen sind? Meine Herangehensweise ist beim Schreiben eine viel zu pragmatische, als dass ich Angst vor Klischees haben könnte. Oder mir diese erlauben könnte. Ich habe mir gesagt: wir brauchen hier die hinterlassenen Texte einer toten Figur, was haben wir da für Möglichkeiten? Dann entschied ich mich für diese Möglichkeit, das heißt diese Dateien, die manchmal tagebuchartig sind und manchmal nicht. Ich mache mir in dem Moment keine Gedanken darum, ob das gut zu einer Frau passt. Die Figur war nun einmal weiblich. Natürlich hätte es auch die Möglichkeit gegeben, das fällt mir jetzt erst ein, Floras geheimen Roman zu schreiben. Dann hätten wir zwei Romane in einem. Der hätte immer noch fragmentiert sein können. Ich bin nicht auf die Idee gekommen. Vielleicht bin ich feministisch nicht gut genug geschult dafür. Oder, wer weiß. Man kann darüber unmöglich eine sinnvolle Aussage treffen.

       Sie hätte auch einen Roman schreiben können?

      Sicher, aber so, wie die Dinge stehen, müssen wir uns damit abfinden, dass eine andere Frau, nämlich ich, einen Roman geschrieben hat. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Verfahrensweise wäre, eine weibliche Figur um Gottes Willen nichts machen zu lassen, was man gemeinhin dem Weiblichen zuordnet. Das würde die Figur und das ganze Erzählen, das würde die Autorin unnötig einschränken, und das wollen wir doch nicht? Ich denke, sowohl Männer als auch Frauen schreiben Tagebücher. Sind es nicht sogar Tagebücher von Männern, die wir als literarische Tagebücher rezipieren?

       Ja, aber vor dem Hintergrund der Frage, ob Frauen überhaupt Kunst produzieren, vor diesem Hintergrund ist es tendenziell zuerst das autobiographische Schreiben, das ihnen zugebilligt wird.

      Ich glaube, das ist seit einer Weile nicht mehr so. Tatsächlich hieß es lange, Frauen sind Lyrikerinnen in Ungarn. Ágnes Nemes NagyNemes Nagy, Ágnes wurde vorgeworfen, sie würde zu wenig weiblich schreiben, sie würde über ihr Frausein nicht schreiben, alles Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Prosa-Autorinnen, die es heute in Ungarn gibt, sind heftig und so krass, das ist unglaublich. An die ich jetzt denke, die kennt man hier natürlich alle nicht, man kennt hier die Männer mit den schönen Haaren. Die ungarischen Autorinnen sind unglaublich radikal, sehr feministisch, sehr körperlich, sehr provozierend, und ich muss sagen, mir bleibt jedes Mal die Spucke weg. Ich würde mich das nicht trauen. Aber ich muss mich das auch nicht trauen, weil ich Romane schreibe. Tatsächlich. Die radikalsten ungarischen Autorinnen schreiben nicht die langen Romane, sie nutzen andere, kürzere und amorphere Formen.

       Meine letzte Frage dazu wäre vielleicht, inwiefern diese Geschlechterhierarchie auch nochmal bezogen auf die Sprachenhierarchie, die es ja offensichtlich gibt, reflektiert wird oder wie das miteinander zusammenhängt.

      Gewisse Sachen kann man nicht. Wenn man einen Roman schreibt unter dem Strich durch die Mitte der Seite, dann hat man ein Oben und Unten, egal was unten hinkommt, das ist dann immer das Sublative. Es ist so, dass unter dem Strich die Frau ist und die Ausländerin, die von vielen nicht verstandene Sprache, ja, es ist halt unten. Sie können nicht alle an einem Ort sein.

      Ich kann dazu Folgendes sagen, ich habe mich für die radikale Linie entschieden und nicht für die andere Lösung, die es auch gegeben hätte, sozusagen ihn und sie abwechselnd zu haben. Dann würde es ja so aussehen, als wäre alles auf einer Ebene. Ich habe mich ganz offensichtlich nicht dafür entschieden. Und ich habe das für mich so formuliert: Ich habe mich dagegen entschieden, ihre Texte zwischen seine zu schieben, was bedeutet hätte, seine sind der Haupttext und ihre sind dazwischengeschoben, was aber hauptsächlich damit zu tun hat, dass die Frau tot ist. Der, der lebt, ist immer dominant, weil er seinen Text noch sprechen und weiterschreiben kann. Er hat, solange er lebt, unendliche Möglichkeiten, seinen fortzusetzen, während ihrer fertig ist, da gibt es nichts mehr. Ich habe mich dafür entschieden, ihr einen Rahmen zu geben, eine Linie, die er nicht überschreiten kann, ich wollte nicht, dass der Text der Toten sich einfügt, er sollte ‚aus der Unterwelt heraus‘ nerven. So kann er sich immer melden, während du versuchst, oben ‚in Ruhe‘ etwas zu lesen. Unten passiert irgendetwas und fordert dich damit heraus, dich dazu zu verhalten. Und selbst wenn du dich dazu entscheidest, es zu ignorieren, hast du dich dazu entschieden, es zu ignorieren, und du weißt, dass du dich dazu entschieden hast, also hast du den Text unten doch nicht ganz ignoriert. Auch wenn unten gerade nichts steht, was zwischendurch auch vorkommt, registrierst du das mit dem peripheren Sehen, und auch dieses Nichts ist etwas.

      Wie würde ich es darstellen, wenn es zwei Männer wären oder zwei Frauen? Es wäre immer so, dass dem, der unten ist, unterstellt würde, dass er der Unterdrückte ist, natürlich, und der, der oben drauf sitzt, ist halt immer der Dominante. Aber natürlich gehört jetzt auch dazu, dass ich in Deutschland einen Roman auf Deutsch geschrieben habe, wo der deutsche Text oben ist und der Übersetzte unten. Das ist hier auch die Situation, weil meine Hauptsprache, in der ich schreibe, die deutsche ist, also ist sie oben.

      Affekt und Sprachkritik

      Eine Kulturpolitik des Affekts? Zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Zürcher Dada – mit einem Seitenblick

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