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unten meine ursprüngliche. Ich weiß nicht, wie das wirkt, ich schaue mir das nicht an. Obwohl ich die Gründe des Verlags und der Übersetzerin verstehe, bin ich mit dieser Lösung nicht sehr glücklich. In der ungarischen Ausgabe steht jetzt das Ungarisch zweier Personen.

       Mich interessiert diese Frage auch, weil die ungarischen Dateien auf Ihrer Homepage zu lesen sind und wir den Flora-Text in „Das Ungeheuer“ in Dateien haben. Ihr Ehemann trauert um sie und setzt sich mit ihrem Nachlass, das heißt ihren Tagebuchdateien auf einem Laptop, auseinander. Und was heißt das für uns? Halten wir das Original in den Händen oder gehören dazu auch die Dateien auf der Homepage?

      Ich habe die Form der Datei deswegen gewählt, weil es sehr fragmentarisch sein sollte. Und wenn es im Text heißt, das steht in der Datei so und so, dann unterbricht es erstens den Lesefluss noch einmal, und zweitens hat der Ehemann keine andere Möglichkeit als die Reihenfolge danach festzulegen, wann die Datei zuletzt geändert wurde. Deshalb ist das garantiert nicht die Reihenfolge, in der sie ursprünglich geschrieben worden sind. Außerdem gibt es eine ganz lange Datei, in der Flora Träume gesammelt hat, die über mehrere Jahre gehen. Das heißt, unter dem Strich ist die Chronologie ganz anders, weil natürlich auf einem Rechner einzelne Dateien ganz anders liegen, als wenn ein langer Text als eine Datei da liegt.

      Wobei man da auch sagen muss, dass auch Darius Kopps Text bei mir in einer Datei steht und auch dort ist Seite 318 eventuell älter als Seite 1. Sie wissen ja nicht, wie das zeitlich entstanden ist, aber es präsentiert sich Ihnen als Einheit, während Floras Text, noch dazu durch die auf Ungarisch belassenen Überschriften, erstens immer wieder unterbrochen wird und zweitens nochmal unterbrochen wird, weil die Aufschrift unverständlich ist. Das ist ein ungarisches Wort und entweder Sie verstehen es oder auch nicht.

      Ich glaube, theoretisch ist der ungarische Hilfstext schon Teil des Originals, in etwa so, wie die Apokryphen Teil der Bibel sind.

      [Lesung aus Das Ungeheuer]

       Wir haben vor der Veranstaltung darüber gesprochen, dass der Text zweigeteilt ist. Sie haben gleich gesagt, dass Sie den Darius lesen wollen, aber jetzt auch nochmal vor dem Hintergrund der zwei Sprachen: Was trägt der Teil unter dem Strich?

      Ich verweise hier noch einmal auf den Begriff Apokryphen. Das, was unter dem Strich steht, ist Floras Version, und zwar nur über ihr eigenes Leben. Vielleicht haben das auch schon einige von uns miterlebt. Der Partner hat ein Tagebuch und erwähnt einen darin nicht. Das kommt relativ häufig vor. So auch hier. In ihrem Tagebuch geht es ausschließlich um sie selbst, um ihre Vergangenheit, ihre Mutter, ihre Großmutter, ihr Leben noch vor Darius Kopp, als alleinstehende Ausländerin im Kulturbereich, und alles, was da passiert, ist relativ furchtbar. Wobei es ziemlich alltäglich ist. So leben wir. In einem Jammertal. Der eine reagiert so darauf, der andere so. Flora so, dass sie zunehmend depressiv wird. Sie versucht Sinnvolles zu tun, in diesem Fall, Übersetzungen zu machen, aber sie bringt nichts zu Ende und schließlich scheitert sie auch, was den Rest ihres Lebens und ihre Krankheit anbelangt. Es geht irgendwann fast nur noch um die Krankheit, die gegen Ende mit dem Verlust der Sprache einhergeht, sie redet immer, immer weniger, und je weniger Sprache da ist, umso weniger Leben ist da, bis am Ende alles zerfällt und nichts mehr da ist. Was unten passiert, ist also, dass jemand dem Tod entgegengeht, der Vernichtung, der Nicht-Existenz, und das sieht man daran – so zumindest meine Intention –, dass die Sprache immer gebrochener, zerbrochener wird. Und Darius oben sortiert sich immer mehr, seine Sprache ist nicht so schwankend, die ist relativ gleichbleibend, das passt eher zu seiner Figur. Er ist ganz anders gestrickt.

       Ich fand es interessant beim Zuhören, dass das Stück, was Sie vorgelesen haben, mit dem Bild des Fadens endet. Der Lebensfaden verlangt einen konsistenten Text, das ist auch der Erzählfaden, und das ist das, was reißt oder was lange zu reißen droht und dann auch gerissen ist. Meine Frage zielt darauf, inwiefern die Vorstellung eines linearen Erzählens im Text unter dem Strich unterbrochen ist.

      Natürlich.

       Nicht nur das Dateiformat, worüber wir schon gesprochen haben, sondern auch weil es ganz unterschiedliche Texte sind.

      Ich habe mich tatsächlich dazu entschlossen, das so fragmentarisch zu machen, aber ich dachte mir: insbesondere bei so einem Text muss es eine minimale Entwicklung doch geben, es ist eh schon schwierig genug zu lesen. Deswegen gibt es auch in diesen Fragmenten, auch trotz der zeitlichen Intransparenz (siehe oben: wann ist welche Datei entstanden) einen nachvollziehbaren zeitlichen Ablauf. Am Anfang der Aufzeichnungen war Flora um die 20, am Ende, als sie gestorben ist, ist sie 30+. Das heißt, die Figur verändert sich ein bisschen und die Krankheit schreitet fort, und das gibt dann eine kleine Bewegung in den Texten, die ansonsten viel um sich selbst kreisen. Bei Lesungen lese ich deswegen immer nur Darius Kopp, weil es bei ihr schwierig ist, einen Bogen vorzulesen. Bei ihm passiert A und dann B und bei ihr passiert nicht wirklich was. Ein bisschen was passiert, aber es sind immer nur so punktuelle Sachen, die Bögen sind viel länger, man kann im Laufe einer Lesung nicht wirklich weiterkommen.

       Ich habe mich gefragt, was eigentlich das Ungeheuer ist. Das Ungeheuer steht für die voranschreitende Depression der Protagonistin Flora. Aber könnte man auch sagen, dass der Strich das Ungeheuer ist? Dieser Strich, der anzeigt, dass Flora keinen Platz im Haupttext des Lebens hat?

      Ich habe mehrere Vermutungen oder Gedanken dazu, was das Ungeheuer ist. Die möchte ich aber nicht sagen, denn das wäre ja blöd. (Publikum lacht.)

       Die Interpretation mit dem Strich würden Sie aber nicht von sich weisen, oder?

      Nein, das würde ich nicht von mir weisen. Hauptsächlich kommt das Ungeheuer aber aus einem Gedicht von Ágnes Nemes NagyNemes Nagy, Ágnes, einer großartigen, bereits verstorbenen ungarischen Dichterin. Das ist ein ganz gruseliges Gedicht, und natürlich ist das Ungeheuer zum einen die Krankheit, die Flora abtrennt von der Welt der Gesunden, aber auch ihr Status und ihr Nicht-Klarkommen. Durchaus ist das Ungeheuer etwas, das in Flora wohnt und das Flora umbringt. Aber ich weise auch in Zusammenhang mit der me too-Debatte darauf hin – Achtung, Spoiler! –, dass auch oben etwas ist, dass auch Darius Kopp vielleicht nicht ganz un-ungeheuerlich ist. Durchaus könnte auch er das Ungeheuer sein. Natürlich ist er das nicht von Anfang bis Ende und immer. Aber hauptsächlich ist das Ungeheuer, von dem hier die Rede ist, das von Ágnes Nemes NagyNemes Nagy, Ágnes, wovon bisher niemand etwas weiß, aber ich habe es Ihnen jetzt erzählt.

       Ich habe mal die Wortbedeutung von ‚Ungeheuer‘ nachgeschlagen und dabei herausgefunden, dass das, was nicht geheuer ist, auch das ist, was nicht zum Hauswesen gehört, also kein Zuhause hat.

      Oh! Tatsächlich! Das erinnert mich an ‚das Unheimliche‘.

       Genau! Aber das Wort ‚geheuer‘ ist heute nicht mehr üblich.

      Ja, das erkennen wir nicht so gut wie das ‚Heim‘ im ‚Unheimlichen‘. Danke, jetzt weiß ich es und ich kann es beim nächsten Mal einsetzen.

       Ja, das heißt nicht-beheimatet sein und keinen Ort haben. Auch dieser Ort unter dem Strich ist ja eben kein Ort oder vielleicht auch ein heimlicher Ort und heimlicher Text.

      Oh, sehen Sie, wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich den Text auch „Der heimliche Text“ nennen können. Jetzt ist es „Der geheime Text“.

      [Lesung aus Das Ungeheuer]

      Kann hier jemand Ungarisch? (Nein aus dem Publikum.)

      Schade. Sonst hätte ich Ihnen noch das Grusel-Gedicht auf Ungarisch vorgelesen. Dazu muss man folgendes sagen, apropos der ‚geheime Text‘: Als ich in Salzburg war, dachte ich, das ist ja Österreich, das ist quasi nebenan und es werden bestimmt ungarische Studenten da sein. Ich hielt meinen ersten Vortrag mit zahlreichen ungarischen Einsprengseln und sie fielen in diesen Raum hinein, fielen vor meine Füße und verendeten, denn niemand in dem Raum konnte Ungarisch.

      Und da ist es mir klargeworden, wie müssen

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