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       Aber ich bin tatsächlich bei Ihnen auf das Hören gekommen, denn Sie bringen immer wieder Lyrik als Beispiel. Auch jetzt in dieser Situation haben Sie als Beispiel Rilke Rilke, Rainer Maria s „Panther“ gewählt. Würden Sie mir nicht zustimmen, dass Sie immer wieder auf Lyrik zu sprechen kommen?

      Es ist so, wenn man in Ungarn zur Schule gegangen ist, zumindest bis zum Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, denn nur darüber kann ich mich verbindlich äußern, hat man gelernt, dass die Lyrik alles ist. Man lernt wahnsinnig viele Gedichte von ‚unseren Dichtern‘ in ungarischen Schulen, das ist ganz wichtig. Und sie werden tatsächlich damit sozialisiert, weniger mit Prosa. Die Prosa, die wir zu meiner Zeit in der Schule lesen mussten, war unglaublich öde. Historische Romane. Und nicht aus literarischen, sondern aus historischen Gründen. Solange ich in die Schule ging, haben wir es nicht bis zur Gegenwartsliteratur geschafft, also zu den spannenden Sachen. Dabei ist in den siebziger Jahren mit der ungarischen Prosa etwas Phänomenales passiert. Man nennt das auch das Péter-Paradigma, weil recht viele Autoren Péter mit Vornamen hießen: Péter EsterházyEsterházy, Péter, Péter NádasNádas, Péter, Péter LengyelLengyel, Péter, Péter HajnóczyHajnóczy, Péter. Die ganzen Péters, und noch andere, die nicht Péter hießen, haben da was Tolles gemacht, was es bis dahin nicht gab. Ich musste mir es dann selber erlesen, in der Schule gab es dazu keinen Zugang. Deswegen ist es wahrscheinlich auch so, dass ich, wenn ich beim Schreiben auf eine Schicht zugreife, was ganz spontan passiert, ich meist bei den länger und tiefer verankerten Dingen lande, also bei der Lyrik. Die später verinnerlichte Prosa liegt darüber, auf einer neueren, einer bewussteren, weniger spontanen Ebene.

       Ich hatte für mich die Lyrik mit dem Hören und dem Klang verbunden. Und da stellt sich natürlich die Frage: Inwiefern geht es Ihnen um diesen Klang, diese Materialität der Sprache?

      Ich muss sagen, die Prosa, die ich mag, ist auch sehr rhythmisch. Einen EsterházyEsterházy, Péter-Satz können sie gar nicht monoton vor sich hinsagen, weil der ganze Satz sehr musikalisch ist.

       Eine Frage, die uns sehr beschäftigt, und die auch mit Klang und Materialität zu tun hat, ist, inwiefern Sprache das Vermögen hat, Dinge oder Welt fremd zu machen? Das hat auch mit Affekten zu tun und Empfindung. Was heißt es für Sie, eine Sprache zu spüren?

      Wichtig ist vor allem: welche Art von Literatur spricht mich an. Ich würde das tatsächlich als sinnliches Erlebnis beschreiben. Es ist so, dass ich auf Sachen, die ich gut oder schlecht finde, körperlich reagiere. Es kann buchstäblich passieren, dass man einen Text zum Kotzen findet. Das ist kein Zufall, uns allen geht das so.

      Ich kann mich erinnern, wie ich einmal versucht habe, einen Text auf Ungarisch zu machen. Mein allererster literarischer Text war eine Erzählung mit dem Titel Durst, ich war 26 Jahre alt, und er war auf Deutsch. Wenn man mehrsprachig ist, taucht ja immer wieder die Frage nach diesem Moment auf, wo man sich entschieden hat, in einer der beiden Sprachen zu schreiben. Und abgesehen davon, dass ich in Deutschland lebte, und dass es widersinnig gewesen wäre, für einen deutschen Literaturwettbewerb auf Ungarisch zu schreiben, stellt sich die Frage: Was passiert mit dem Material, wenn du anfängst auf Deutsch zu schreiben und hättest du es auch auf Ungarisch machen können? 15 Jahre später habe ich die Probe aufs Exempel gemacht und versucht, Durst auf Ungarisch zu schreiben, es wenigstens anzufangen. Wobei das natürlich keine gute experimentelle Situation war, denn 15 Jahre später ist man ja nicht mehr an demselben Punkt. Man kann also nicht mehr herausfinden, was wirklich passiert wäre, hätte man es damals auf Ungarisch geschrieben. Tatsache ist, dass es jetzt, später, überhaupt nicht ging. Schon beim zweiten Satz auf Ungarisch hatte ich das Gefühl, ganz unsicher zu sein, obwohl ich mittlerweile schon einige Erfahrungen als Autorin gesammelt hatte. Während ich damals, als blutige Anfängerin, mit dem Deutschen ein ganz anderes, ganz sicheres Gefühl hatte. Da dachte ich schon nach dem ersten Satz, „Großvater trinkt“, ja, das ist es, von hier aus sehe ich die ganze Erzählung vor mir. Während das Ungarische ebenso deutlich nirgendwo hinführte.

       Wenn Sie jetzt am Schreibtisch sitzen oder wo immer Sie auch schreiben, klingt dann noch die ungarische Sprache im deutschen Schreiben mit?

      Durchaus an manchen Stellen, also dort, wo das Deutsche sehr dünn wird.

       Was heißt das?

      Wo mein Deutsch dünn wird, kommt das Ungarische herein. Mitunter tut sich beim Schreiben eine Lücke im Satz auf, weil mir nur das ungarische Wort einfällt. Warum ist das eine Lücke? Weil an dieser Stelle das Deutsche fadenscheinig ist oder das Ungarische sehr stark ist. Warum ist es stark, kommt dann die Frage. Warum kommt an dieser Stelle das ungarische Wort herein? Überprüfe: Inwiefern unterscheidet es sich von dem nächstmöglichen deutschen Wort? Kannst du das dann nehmen, ja oder nein? Du musst natürlich ein deutsches Wort nehmen, aber welches nimmst du? Das Ungarische ist im Grunde genommen eine Störung, aber auch eine Hilfe, denn offensichtlich befindest du dich im Satz an einem Punkt, wo für dich eine Frage entsteht. Du kannst sie nicht spontan beantworten, du musst darüber nachdenken. Also mache ich das. Das Ungarische ist auch jedes Mal präsent, wenn es inhaltlich evoziert wird, wenn zum Beispiel die Figur Ungarin ist oder die Behauptung aufgestellt wird, sie würde auf Ungarisch scheiben.

      Mein Roman Das Ungeheuer enthält beispielsweise zwei Texte: Einmal den Text eines trauernden Ehemannes, der Deutscher ist, und einmal die nachgelassenen Aufzeichnungen seiner verstorbenen ungarischen Ehefrau Flora, die diese Aufzeichnungen auf Ungarisch verfasst hat. Wir wissen nicht genau, weshalb, aber wir können es uns denken: Weil das ihre geheime Sprache ist. Für mich als Autorin stellte sich daraufhin die Frage: In welcher Sprache schreibst du jetzt Floras Texte? Es wird am Ende zwar ein deutschsprachiges Buch sein, aber es wäre schlau, die Texte zuerst auf Ungarisch zu schreiben. Das ist ein sehr spannender Moment, weil ich ein paar Monate vorher die Erfahrung gemacht habe, dass ich immer noch nicht auf Ungarisch schreiben kann.

      Das hat mich dann dazu veranlasst, einen halben Roman auf Ungarisch zu schreiben. Ich wusste, dass Das Ungeheuer schwierig werden würde, aber ich wollte, dass sich die beiden Texte radikal voneinander unterscheiden. Floras Text sollte tatsächlich etwas komplett anderes sein und dazu habe ich meine nicht mehr so gut beherrschte Muttersprache benutzt. Es kostete mich Blut, Schweiß und Tränen. Häufig fing ich an, auf Ungarisch zu schreiben, merkte jedoch: Das ist nicht Ungarisch, du übersetzt gerade! Ich habe das Schreiben in solchen Momenten dann immer radikal unterbrochen. Es war furchtbar! Schließlich habe ich mich aber mit Floras Text durchgequält und das hat tatsächlich dazu geführt, dass der Text weniger literarisch wurde oder besser gesagt, dass der Text privater und inoffizieller wirkt. Als ich damit fertig war, kam die nächste Herausforderung: Der Text sollte einsprachig deutsch sein und das heißt, dass der ungarische Text ins Deutsche gebracht werden musste, darauf achtend, dass ich ihn nicht verbessere. Das war ein wahnsinnig spannender Prozess. Das Ungeheuer ist das Buch, in dem ich das Ungarische ganz bewusst und ganz massiv eingesetzt habe, um einen speziellen deutschen Text zu erhalten.

       Sie haben jetzt schon viel von Ihrem Verfahren erklärt, das auf Zweisprachigkeit beruht. Wie verhält sich das zur Frage des Originals, die wir vorhin am Beispiel Rilke Rilke, Rainer Maria diskutiert haben? Und inwiefern ist die Frage des Originals an Einsprachigkeit gebunden?

      Ich schätze, für Sie als Germanistin ist die Frage wichtig, was das Original ist. Ich als Autorin kann sagen: Ich bestimme jetzt einfach mal, was das Original ist, nämlich das einsprachige Buch, das hier erschienen ist, und das Ungarische ist das, was als Hilfstext benötigt worden ist, um das Original zu erstellen. Die Frage wird dann nochmal kompliziert, wenn man bedenkt, dass es eine ungarische Übersetzung von diesem Buch gibt. Ich sagte dem ungarischen Verlag und der Übersetzerin, ich möchte, dass sie das deutsche Original nimmt und ins Ungarische übersetzt. Das heißt, es hätte dann sozusagen zwei ungarische Versionen gegeben. Das hat man aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Erstens sicherlich aus Geldgründen. Und zweitens wollte sich die Übersetzerin vermutlich nicht in die Lage bringen lassen, in der ihre ungarische Version mit

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