Скачать книгу

das sich zu den Theorien über die Freiheit so verhält wie eine Gleichung zu den Werten, die ihre Variablen annehmen können. Die meisten der in der Vergangenheit entwickelten Theorien der Freiheit stellen den Versuch dar, einer bestimmten Identifikation den Vorzug zu geben, und andere Bedeutungen, die der Freiheit zugewiesen werden, differieren davon auf eine nun ziemlich offensichtliche Weise: Die generelle Logik ist die gleiche, aber es wird eine andere Identifikation bevorzugt.

      Die Erkenntnis, dass die Präsentation eines bevorzugten Konzepts von Freiheit im Endeffekt auf eine Einladung hinausläuft, sich eine bestimmte Identifikation zu Eigen zu machen und aus ihr heraus zu handeln, hilft nicht nur bei der Bestimmung der jeweiligen Spezies und Spielart von Freiheit. Sie sollte auch so wirken, als sähe man ein Theaterstück – oder einen Zaubertrick – nicht vor, sondern hinter den Kulissen. Um nur ein Beispiel dafür zu geben: Rousseaus berühmte Formulierung, dass „Freiheit Gehorsam gegenüber dem allgemeinen Willen“ sei, verliert die Aura des Paradoxen, die ihr zum Teil Schutz verleiht. Gemäß unserer Interpretation empfiehlt Rousseau hier eine Identifikation mit dem allgemeinen Willen und formuliert, dass Freiheit ein Handeln aus dem allgemeinen Willen heraus oder in Harmonie mit ihm ist. Und nun können wir viel klarer sehen, was das eigentlich beinhaltet: Ein rechter Bürger im Sinne Rousseaus (wenn wir diesen einen Satz aus dem Zusammenhang nehmen!) identifiziert sich mit dem allgemeinen Willen; das heißt, weit davon entfernt, zu seinem eigenen, privaten Besten zu handeln, betrachtet er das Wohl der Allgemeinheit als das seine. (Man könnte ihn sich fast als das politische Gegenstück zu einem Heiligen vorstellen.) Solch ein Bürger wäre natürlich „frei“, wenn er dem allgemeinen Willen „gehorchte“, einfach deshalb, weil der allgemeine Wille sozusagen sein eigener ist. Aber nun zeigt sich auch ein wenig von der Ironie, die diesem Diktum innewohnt: Solch einen Bürger müsste man natürlich zu nichts „zwingen“, aber nur weil aller Zwang von vornherein unnötig geworden ist; mit solch einer Identifikation würde er „freiwillig“ weit mehr tun, als die Gesellschaft normalerweise erwartet. Er würde nur zugunsten des Gemeinwohls handeln, und die Gesellschaft kann es sich natürlich problemlos leisten, ihm diese Freiheit zuzugestehen. Die Gesellschaft verliert nichts und bekommt im Gegenzug alles, denn dieser Bürger gibt ihr das Maximum dessen, was sie ihm zumuten kann.

      Innere statt

      äußere Faktoren

      Aus einem anderen Blickwinkel gesehen, verlagert unsere Definition die Aufmerksamkeit vom Äußeren auf das Innere des Menschen. Letztendlich reicht es nicht aus, nur die äußeren Bedingungen neu zu arrangieren. Man kann ein Hindernis nach dem anderen entfernen, aber damit schaffen wir nur eine planierte Fläche, oder noch schlimmer, es fehlt jedweder Widerstand, es entsteht eine Art Vakuum, und das ist keine Freiheit. Die Beseitigung von Barrieren und Risiken geht vielleicht am tiefer liegenden Problem vorbei. Die meisten von uns haben irgendwann etwas Schwieriges getan und dabei vielleicht Lehrgeld gezahlt, aber das hatte etwas Befreiendes, hat uns vielleicht zum ersten Mal wirklich frei gemacht – nicht, weil alle Hindernisse beseitigt worden waren, sondern weil wir endlich das verwirklichten, was wir in uns zuvor nur schemenhaft geahnt hatten. Dies ist ein Punkt, an dem diese Art und Weise, über die Freiheit nachzudenken, Bodenhaftung bekommt. Die primäre Voraussetzung der Freiheit ist ein Impuls, ist ein Selbst, das etwas in die Tat umsetzen will.

      Fördert unsere Gesellschaftsform wirklich die Freiheit?

      Wenn aber die Bildung von Identifikationen Vorbedingung ist für die Möglichkeit der Freiheit, dann entsteht auch die Möglichkeit eines merkwürdigen Interessenkonfliktes. Man könnte sich leicht eine Gesellschaft vorstellen, in der zwei Kräfte gegeneinander arbeiten. Auf der einen Seite werden vielleicht große Anstrengungen unternommen und Opfer gebracht, um für die Ausübung der Freiheit einen Rahmen zu schaffen. Es werden vielleicht Institutionen aufgebaut, die Wahlmöglichkeiten und Mitbestimmung zulassen, und zahlreiche weitere Strukturen in dieser Art organisiert. Wenn jedoch andere Kräfte in dieser Kultur gleichzeitig das Wachstum von Identifikationen unterminieren, wenn sie das beschneiden, was ein Selbst werden soll, dann sind die in diese institutionelle Organisation investierten Anstrengungen komplett vergeudet. Denn in solch einer Gesellschaft würde es trotz der umfangreichen Vorkehrungen keine Freiheit geben. Wenn die erste Bedingung der Freiheit ein echtes Selbst ist, dann schließt eine Gesellschaft, die dem Selbst die Grundlage entzieht, die Möglichkeit der Freiheit von vornherein aus.

      Eine der Stärken dieser Auffassung von Freiheit ist, dass sie diesen Vorrang des Selbst ans Licht bringt. Denn diese Zwiegesichtigkeit, die Möglichkeit, mit einer Gruppe von Kräften genau die Hoffnung zunichte zu machen, die von einer anderen Gruppe von Kräften wachgerufen wird, sowie die damit verbundene furchtbare Verschwendung – das Bild einer großartigen Maschine, die vor sich hin rostet, weil der eine Gang, der sie als einziger antreiben kann, nicht eingelegt wird und sie leer läuft – kommt der Realität ziemlich nahe. Sogar beim flüchtigen Hinschauen muss man bemerken, dass in unserer Gesellschaft etwas in dieser Art passiert: Wir haben, oft unter großen Opfern, institutionelle Rahmenbedingungen geschaffen, deren Zweck die Verwirklichung der Freiheit war. Und dennoch haben wir uns auch zu einer Gesellschaft entwickelt, in der das Selbst beschnitten wird, einer Gesellschaft, die es einem sehr schwer macht, Objekte der Identifikation zu finden, damit ein Selbst entstehen könnte.

      Zwei

      Schluss­folgerungen

      Und das zieht zwei einfache Schlussfolgerungen nach sich. Zum einen verstehen wir nun allmählich eine Erfahrung besser, die viele von uns gemacht haben. Es ist ein Gefühl der Enttäuschung, ein Gefühl, betrogen worden zu sein. Es verschafft sich in Wutausbrüchen Luft und in einer verzweifelten Suche nach diesem „Mehr“, das man eigentlich erwartet. Für diese Erfahrungen haben wir nun die Umrisse einer Erklärung: Wir haben die Institutionen, die uns eigentlich Freiheit geben sollten, und doch erleben wir Freiheit nicht; in unserem wirklichen Leben entzieht sie sich uns, so wie sich der Becher dem Tantalus entzog. Und wenn sogar wir, die wir privilegiert sind und keinerlei Mangel leiden, die wir zur Erklärung dessen, was uns fehlt, auf keine Ungerechtigkeit verweisen können – wenn sogar wir uns zu kurz gekommen fühlen, dann vielleicht deshalb, weil uns diese andere Seite fehlt: ein Selbst, das diese Institutionen ausfüllen könnte, ein Selbst, das allein in und durch seine Taten Freiheit Wirklichkeit werden lassen kann.

      Die andere Schlussfolgerung führt uns zu der Erkenntnis, dass uns weitere Veränderungen und die immer sorgfältigere Weiterentwicklung der alten Institutionen vielleicht nicht weiterhelfen. Das Versagen, der Fehler liegt vielleicht gar nicht bei ihnen; der Mangel entspringt womöglich nicht ihrer Unzulänglichkeit, sondern rührt aus einer ganz anderen Quelle her. Wenn die Vorbedingung der Freiheit ein Selbst mit einer stabilen Identität ist, dann werden die üblichen Heilmittel aufgrund einer Fehldiagnose verschrieben – wir haben einen Schuh geweitet, der gar nicht drückte. Es könnte sein, dass wir ein völlig anderes Problem angehen müssen, wenn wir eine Gesellschaft schaffen wollen, die uns Freiheit gibt. Solch eine Gesellschaft müsste so aufgebaut sein, dass ein Selbst in ihr Identifikationsobjekte finden könnte, und das Mindeste, das hierzu letztendlich erforderlich ist, ist vielleicht eine Gesellschaft, für die dieses Selbst sich nicht schämt.

      4 Fjodor Dostojewskij, Aufzeichnungen aus dem Untergrund, übers. von Hartmut Herboth, Berlin/Weimar: Aufbau, 1994. Der Text ist im Deutschen auch unter dem Titel Aufzeichnungen aus dem Kellerloch bekannt, übers. von Swetlana Geier, Stuttgart: Reclam, 1984.

      5 Lat. „das höchste Gut“, theologischer Ausdruck für die Gotteserkenntnis.

      6 Regie: David Lean (1964). Lawrence von Arabien kämpfte im Ersten Weltkrieg auf britischer Seite gegen das mit den Mittelmächten verbündete türkisch-osmanische Großreich (Anm. d. Übers.)

      7 Deutsche Ausgaben z. B.: Platon, Der Staat, übers. und erl. von Otto Apelt, hrsg. von Karl Bormann, Hamburg: Meiner, 111989; Platon, Politeia, hrsg. von Otfried Höffe, Berlin: Akademie-Verlag, 1997 (Klassiker auslegen, Bd. 7); Platon, Der Staat, übers. und hrsg. von Karl Vretska. Stuttgart: Reclam,

Скачать книгу