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unter einem Despoten. Dass eine von Vernunft regierte Seele im Gegensatz dazu frei ist, ist die klar beabsichtigte Kehrseite der Medaille. (Und es ist leicht, von dieser Seite der Analogie wieder zum Staat zurückzukehren und zu folgern, dass auch der Staat frei ist, wenn die Vernunft – der Philosophen-König – ihn regiert.)

      Gewöhnlich wird die Idee, dass Freiheit Gehorsam gegenüber der Vernunft heißt, Hegel zugeschrieben, was es einfach macht, sie als die Sophisterei eines „Metaphysikers“ zu behandeln, der ja, wie man sich einbildet zu wissen, dazu noch „konservativ“ war. Aber dieser Gedanke lässt sich nicht so leicht aus unseren Köpfen verbannen (genauso wenig wie Hegel übrigens). Zum einen taucht dieselbe Idee schon vorher bei Platon auf sowie bei einer Reihe anderer Denker einschließlich Rousseau, der (dem liberalen Herzen näher stehend als Platon oder Hegel) im Gesellschaftsvertrag lapidar bemerkt: „Seinen Begierden unterworfen zu sein, heißt Sklave sein, während der Gehorsam gegenüber den Gesetzen der Gesellschaft Freiheit bedeutet.“ Wichtiger ist aber noch, dass diese Verbindung zwischen Freiheit und Rationalität mit ihrer eingebauten Garantie, dass Irrationales und Inakzeptables von vornherein nicht als frei gelten kann, für die Macht und die Geschichte der Freiheitsidee wesentlich ist. Diese Annahme, verbunden mit ihrem Gegenstück, dass Freiheit nur die Freiheit ist, vernünftig zu sein, verlieh dieser Idee einen Großteil ihrer Macht und Überzeugungskraft. Ohne diese stillschweigende Übereinkunft wäre es für einen Untertanen viel schwerer gewesen, seinen Anspruch auf Freiheit zu legitimieren, und jeder Herrscher hätte noch mehr gezögert, sie zu gewähren oder für sie zu sorgen, wäre diese Garantie nicht gewesen.

      Unsere Vorstellung von Freiheit noch

      heute prägend

      Das Ausmaß, in dem dieses Konzept immer noch unsere Auffassung von Freiheit beherrscht, lässt sich an der Leichtigkeit ermessen, mit der wir behaupten, Freiheit bedeute natürlich nicht Willkür und ihr Gegenstück heiße selbstverständlich Verantwortung. Dieses und andere ähnliche Klischees könnten sich nicht auf so etwas wie das erste Freiheits-Paradigma berufen, das wir untersucht haben. Wenn Freiheit „Laune“ bedeutet, dann endet sie natürlich nicht da, wo „Willkür“ anfängt, und „Verantwortung“ ist für diese frühere Auffassung nicht Bedingung der Freiheit, sondern ihr Tod. Die zitierten Beteuerungen sind nur stichhaltig, wenn so etwas wie die heutige Auffassung von Freiheit vorausgesetzt wird. Und das gibt uns einen Hinweis, wie umfassend und allgegenwärtig diese Auffassung ist.

      Unsere

      Alltagserfahrung: Entfremdung von den Affekten

      Doch die Wurzeln dieser Auffassung reichen noch tiefer. Sie ist in unsere Alltagserfahrung und viele alltägliche Redensarten verwoben. Kämpft ein Mensch gegen eine Versuchung an und unterliegt (nehmen wir an, er will nicht trinken, trinkt dann aber doch), so betrachten wir ihn ganz selbstverständlich als unter einem Zwang stehend. Wir sagen vielleicht: Er wollte nicht trinken, aber sein Durst war stärker, und der hat ihn dazu gebracht. Das ist eine solch alltägliche Redensart, dass sie uns einfach herausrutscht und überhaupt kein Aufsehen erregt. Das sollte sie aber, denn sie ist eigentlich recht kurios. Wenn wir sagen: „Er wollte nicht trinken, sein Durst hat ihn dazu gezwungen“, dann machen wir aus einer Sache ganz lässig zwei. Wir sprechen von dem Menschen und seinem Durst so, als wäre der Durst etwas Separates. In gewisser Hinsicht tun wir sogar mehr: Da ist ein Mensch, der einen Entschluss gefasst hat und der auch Durst hat. Diese beiden Attribute sind gleichberechtigt. Aber wir beenden dieses Gleichgewicht einfach. Seinen Vorsatz formen wir um in ihn. Er besteht aus nichts als seiner guten Absicht, und dafür erhält er unsere ganze Anerkennung. Den Durst stellen wir dagegen ins Abseits. Er ist etwas Eigenständiges, Schlechtes, mit dem der Mensch konfrontiert wird und das er bekämpft wie der heilige Georg den Drachen. Man könnte nicht von „Zwang“ oder „Unterliegen“ sprechen, wenn es diese Sichtweise nicht gäbe.

      Platons Sichtweise hat ihre Grundlage in solch einer Erfahrung – und es ist eine Sache der Erfahrung und nicht bloß der Sprache, denn wir erleben den Durst als etwas, gegen das wir ankämpfen. Man könnte Platons Prinzip als eine Verallgemeinerung auffassen, als eine induktive Schlussfolgerung, die sich von diesen Erfahrungen auf die ganze Sphäre der Leidenschaften und der Vernunft ausweitet. Höchstwahrscheinlich gab es dabei eine Wechselwirkung: Diese Art und Weise, Versuchungen zu erleben, übte sehr wahrscheinlich einen Einfluss auf Platon aus, aber seine Autorität verstärkte wiederum die Gewohnheit, so zu denken, und verbreitete sie. Platon half, sie zu etwas „Normalem“ zu machen.

      Und dasselbe gilt für die Moral. Wir ziehen einen Menschen für ein vorsätzliches Verbrechen stärker zur Rechenschaft als für ein „Verbrechen aus Leidenschaft“ und bestrafen dementsprechend das erste strenger als das zweite. Wieder sagen wir: „Er ist nicht verantwortlich, seine Emotionen waren stärker als er“, und auch das klingt ganz natürlich und normal. Und doch ist es eigentlich wieder sehr kurios, denn nach beiden gängigen Bestrafungstheorien, den Theo­rien der Abschreckung und der Resozialisierung, ließe sich argumentieren, dass man in der Praxis genau andersherum verfahren sollte. Untersuchungen würden vielleicht zeigen, dass Strafen für Verbrechen, die nach langer und sorgfältiger Planung begangen wurden, bei weitem nicht so effektiv sind wie Strafen für Taten, die im Affekt begangen wurden. Strafen würden auf die Leidenschaften eines Menschen vielleicht mehr wirken als auf sein Denken – vor allem, wenn die Strafen schnell kommen. Wenn das so wäre, sollten wir für Affekttaten stärker zur Rechenschaft gezogen und strenger bestraft werden als für vorsätzliche Straftaten. Im Hinblick auf Resozialisierung oder Abschreckung wäre das nur konsequent. Aber wir weigern uns, das zu tun, und das Strafmaß in der beschriebenen Weise umzukehren, würde unser Moralgefühl verletzen. Aber warum sollte ich für vorsätzliche Taten mehr Verantwortung tragen und für Affekthandlungen weniger? Warum gehört eine Handlung mehr zu mir, wenn ich darüber nachgedacht habe, und weniger, wenn ich sie im Zorn begehe? Auch der Zorn bin ich – vielleicht mehr als mein Denken. Die Antwort lautet, dass wir auch hier etwas Ähnliches annehmen wie Platon; und auch in diesem Fall hat wahrscheinlich wieder eine Art Wechselspiel stattgefunden: Diese Art und Weise, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen, übte wahrscheinlich einen gewissen Einfluss auf Platon aus, aber er stellte sich mit seiner Autorität dahinter und verstärkte dadurch diese „Gewohnheit“.

      Dieses Element in unserer Alltagserfahrung und -moral ist der Fels – vielleicht der Sandstein –, auf dem diese zweite Auffassung von Freiheit letztendlich beruht. All ihre verschieden ausgeprägten Formulierungen ruhen auf dieser gemeinsamen Grundlage. Ohne sie hätte Platon dem sokratischen Paradoxon nie seine neue Bedeutung geben können, und wenn diese Basis nicht vorhanden gewesen wäre, hätten Freiheit und Rationalität nicht miteinander verknüpft werden können.

      Das Lebensgefühl eines nach dem platonischen Konzept freien Menschen

      Nun, da wir die grobe Skizze einer zweiten, ganz anderen „Theorie“ der Freiheit haben, können wir dieselbe Frage an sie richten, die wir weiter oben im Zusammenhang mit unserem ersten Beispiel gestellt haben. Dort sahen wir das extreme Beharren darauf, dass eine Handlung nur frei ist, wenn sie „völlig unabhängig“ ist, und wir wählten ein Element dieser allgemeinen Aussage aus, nämlich die Forderung, eine freie Handlung müsse gegen die Vernunft verstoßen, und fragten, wie ein Mensch seine eigene Vernunft erleben müsste, damit das so sei. Jetzt haben wir das genaue Gegenteil dieser These vor uns. Gemäß der jetzigen, philosophisch wesentlich angeseheneren Auffassung ist eine Handlung nur dann frei, wenn sie vernünftig ist (obwohl sie der Vernunft „gehorcht“), und wir sind unfrei genau dann, wenn gegen die Rationalität verstoßen wird, wir sind Sklaven, wenn eine Leidenschaft oder ein Gelüst uns zu irrationalem Verhalten führt.

      Die Fragestellung

      Die simpel klingende, jedoch entscheidende Frage lautet nun wieder: Was für eine Erfahrungsqualität bringt diese Position mit sich? Unter welchen Bedingungen wäre diese Doppel-These (wenn vernünftig, dann frei, wenn gegen die Vernunft, dann erzwungen) nicht nur plausibel, sondern auch wahr? Wie, kurz gesagt, müsste jemand seine eigenen Gedankengänge erleben, wenn er immer dann frei sein soll, wenn er ihnen gemäß handelt, und immer unfrei, wenn er gegen sie verstößt? Und weiter: Welche Einstellung gegenüber allem anderen, das eine Handlung verursachen kann (gegenüber Motiven, Leidenschaften, Wünschen

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