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obwohl es dir anfangs affektiert erschien.

      Du hättest eine Frau kennengelernt, sagst du und wünschst dir, du könntest deine Therapeutin jetzt sehen.

      Dr. Cohen wartet, nicht zu lange, sie weiß, dass du Führung brauchst.

      »Was mögen Sie an ihr?«

      Sie sei nur eine Kellnerin, unklar, woher sie stamme. Geheimnisvoll und vertraut zugleich.

      »Eine Projektionsfläche. Ist es das, was Sie attraktiv an ihr finden?«

      Eher die Art und Weise, wie sie spreche und sich bewege. Du beschreibst, wie sie in deiner Wohnung tanzte, nur für sich. Sie habe nicht einmal versucht, dich damit zu verführen. Du hättest zum ers-ten Mal dein Unvermögen überwunden.

      Dr. Cohen hält den Atem an, dein andauerndes Versagen steht, wenn auch indirekt, immer im Zentrum der Analyse.

      Inès’ Geruch erwähnst du nicht, ein olfaktorisches Echo, eine gestohlene Erinnerung. Noten von Hölzern und Moschus. Du erwähnst auch nicht, dass der Ring deines Vaters am nächsten Morgen nicht aufzufinden war, der mit dem Halbmond. Ein Rätsel, wie sie ihn abbekommen hat. Du verschweigst die irrationale Angst, sie nicht wiederzusehen. Die Befürchtung, dass sie und nur sie den Schlüssel zu deinem Verlangen in der Hand hat. Du wirst ins Chez Farida gehen heute Abend. Sie wird da sein. Mit oder ohne den Ring, der dir egal ist. Sie hätte die Uhr nehmen können, selbst die alberne Geldklammer ist mehr wert.

      Das Geräusch eines heranfliegenden Hubschraubers reißt dich aus den Gedanken. Das ganze Gebäude vibriert, dein Herzschlag poltert. Du schließt die Augen und presst deine Faust auf die Brust, eine nutzlose Geste, medizinisch gesehen wirkungslos gegen Bluthochdruck und Arrhythmie. Die einhergehenden Panikattacken und die Schlaflosigkeit haben den Zustand verschlimmert, vielleicht ist es auch andersherum. Impotenz ist eine demütigende Nebenwirkung dieser Herzbeschwerden. Du kannst kaum atmen.

      »Alles in Ordnung, Monsieur Zaman?« Dr. Cohens rostbraunes Ensemble – es war dir angenehm auf gefallen – raschelt. Sie schlägt wahrscheinlich gerade ein seidenbe strumpftes Bein über das andere oder öffnet den Knopf der Jacke. »Ist es der Hubschrauber?«

      Selbst wenn du madame le docteur nicht sehen kannst, ist ihre Präsenz immer spürbar. Gebildet, schick, diskret parfümiert und mit der rauchigen Stimme einer Jazzsängerin, ist sie trotz ihres Alters eine anziehende Frau, eine parisienne.

      Das Grollen wird lauter, und du siehst einen Sanitätshubschrauber durch das graue Pentagon fliegen. Der Druck in der Brust nimmt zu. Dr. Cohen reicht dir ein Glas Wasser über die Schulter. »Trinken Sie einen Schluck.«

      Es gehe schon wieder. Du presst die Worte durch die Lippen.

      »Es ist das Geräusch, das Sie irritiert, nicht wahr? Was assoziieren Sie damit?«

      Die Entführung deiner Schwester, sagst du.

      »Uzma?«

      Uzma.

      »Ihre Schwester wurde entführt? Das haben Sie mir nie erzählt.«

      Es sei eine lange Geschichte.

      »Jede Geschichte ist eine lange Geschichte.«

      Als das Dröhnen nachlässt, wird dein Herzschlag ruhiger.

      Du hättest nie herausgefunden, was wirklich geschehen ist. Du hättest mit unzureichenden Informationen arbeiten müssen. Damals, es sei Mitte der Achtzigerjahre gewesen, hättest du dir ihr Verschwinden selbst erklären müssen. Hättest dir eine Geschichte herbeiphantasiert, komplett mit dramaturgischem Bogen, dir Ursache und Wirkung zusammengereimt. Nichts davon habe mit der Wahrheit zu tun. Nichts.

      »Dieses Nichts löst aber immer noch sehr starke Reaktionen aus. Da ist etwas, und es scheint eine große Wirkung auf Sie zu haben. Wir werden den roten Faden vielleicht nicht gleich finden, aber das muss auch nicht in einer Sitzung geschehen.« Es gelingt ihr immer, dich in die dunklen Gassen des Unterbewusstseins zu locken. Du glaubst nicht an die kathartische Kraft von Worten, aber du wirst versuchen, diese Geschichte zu rekonstruieren.

      Du seist gerade nach Paris gezogen und hättest dich an der Sorbonne eingeschrieben.

      »Ihre Eltern müssen stolz auf Sie gewesen sein.«

      Ja, sie glaubten, du würdest Geologie an der ParisTech studieren.

      »Sie haben gelogen.«

      Du hättest gelogen.

      Schweigend siehst du eine Zeit lang durch das Fünfeck in den tief verhangenen Himmel. Deine ersten Wochen in Paris. Die Stadt schillerte von Möglichkeiten. Dein weltgewandter Vater aber hätte deine Ambitionen – Kunst, Philosophie und Film – nie akzeptiert. Du solltest ein Geschäftsmann werden und sein Unternehmen weiterführen.

      Du hättest nicht nur deinem Vater etwas vorgespielt, sondern auch den anderen Filmstudenten und deinen neuen französischen Freunden. Du hättest ihnen ein Phantasie-Afghanistan beschrieben und die Rückständigkeit des Landes heruntergespielt. Du hast die Hippie-Legenden vom Karakorum Highway wiederaufleben lassen und vom Hasch geschwärmt, obwohl all dies nichts mit deiner Realität dort zu tun hatte. Die exotischen Geschichten kamen gut an bei den jungen Cineasten mit ihren Cahiers du Cinema, die sie wie die Mitgliedskarte zu einem geheimen Club mit sich herumtrugen, während sie das Ende des Kinos heraufbeschworen.

      Am meisten hast du dir selbst vorgemacht, aber das verschweigst du. Du wolltest jemand anderes sein, eine bessere Variante von Hasir. Du warst besessen von Alain Delon, nachdem ein Mädchen, das du auf einer Party kennengelernt hast, behauptete, du sähest ihm ähnlich. Du hast dich leidenschaftlich in die neue Rolle geworfen, schamlos seinen Stil kopiert. Du hast Anzüge nachschneidern lassen, trugst die gleiche Armbanduhr wie Delon in Le Samuraï, auf der Innenseite des Handgelenks, und selbst im tiefsten Winter Maß-schuhe ohne Socken. Du hast dir seine Gesten abgeschaut, den unterkühlten Duktus imitiert und den unergründlichen Gesichtsausdruck. Socken trägst du bis heute nicht.

      »Was haben Sie Ihren Freunden von Ihrer Schwester erzählt?«

      Wenig. Später, nach dem Vorfall, habest du immer behauptet, deine Schwester hätte sich den Autorenfilmern Hollywoods angeschlossen.

      »Sicherlich Wunschdenken. Erzählen Sie mir von der Entführung.«

      Es muss kurz vor Weihnachten gewesen sein, die Diskussion um Godards Je vous salue, Marie war in der Presse wieder aufgeflammt. Der Papst hatte sich in Le Monde oder Figaro darüber empört, dass der Film die Jungfrau Maria herabwürdige. Beim Frühstück in einem Café machten sich deine Freunde über den Katho lizismus lustig. In derselben Zeitung war ein Foto aus Afghanistan abgebildet, ein Panzer mit sowjetischen Soldaten, gut gelaunt, einer von ihnen hatte eine Tulpe im Knopfloch stecken, als wäre er auf Klassenfahrt. In dem Artikel stand, sowjetische Soldaten hätten afghanische Frauen verschleppt.

      Ein paar Wochen später rief dein Vater an, du warst mitten in den Prüfungen, Filmtheorie. Er sagte, deine Schwester sei nach der Schule von Soldaten gekidnappt worden. Sie hätten Uzma inzwischen wieder freigelassen. Dein Vater war kein Mann großer Worte. Es war völlig unklar, ob es sich um einen oder mehrere Männer handelte, wo Uzma überfallen wurde oder wie lange sie in deren Händen war. Uzma gab seitdem keinen Ton mehr von sich. Dein Vater wollte, dass du umgehend nach Kabul kommst, um sie zu trösten und aufzumuntern. Du musstest ihm versprechen, sie nicht mit der Erinnerung an den Übergriff zu quälen. Bevor du auch nur eine klärende Frage stellen konntest, legte er auf.

      »Er hat Ihnen nicht gesagt, was während der Entführung passierte?«

      Ein hübsches Mädchen aus gutem Hause in den Händen junger Soldaten, die seit Wochen oder Monaten keine Frau mehr gesehen haben. Was könnte das wohl heißen?

      Du siehst in den auberginefarbenen Himmel. Vierzehn lange Jahre ist das her. Damals hast du zum ersten Mal das Stechen in der Brust gespürt. Es war der Beginn deines Versagens als Mann. Vierzehn Jahre des Versagens.

      »Sind Sie dem Wunsch Ihres Vaters nachgekommen?«

      Dein Vater

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