Скачать книгу

geografisch unverbindlich, kennst du auswendig: Soupe à l’Oignon, Couscous Marocain, Boeuf Bourguignon. Die Tajine Farida ist nach Ziads Mutter benannt, die dafür Kalbfleisch statt Lamm verwendet hat. Angeblich soll die Matriarchin die Kälber eigenhändig geschlachtet haben. Du nimmst die Tajine, und Inès verschwindet in der Küche.

      Ziad schlendert an deinem Tisch vorbei. »Eine manouche, keine Papiere, Zigeunerpack. Legasthenikerin, ein Wunder, dass sie überhaupt eine Bestellung aufnehmen kann. Unzuverlässig, kein Zeitgefühl. Sei bloß vorsichtig. Die kommen und gehen, können nicht anders. Sie hat es auf dein Geld abgesehen.« Trotz seiner abfälligen Worte scheint auch er fasziniert. Aber ihre Blicke gelten dir.

      Später räumt sie den schweren Tontopf ab, die Tajine hast du kaum angerührt. »Nicht hungrig?«

      Nicht besonders. Du fragst Inès, ob sie hungrig sei. Du willst, dass sie stehen bleibt, willst ihre heisere Stimme hören. Sie überlegt einen Moment.

      »Immer, nur nicht nach Essen.« Melancholie schwingt in ihrer Antwort mit.

      Ob sie Lust hätte, nach der Arbeit auszugehen, ihr könntet gemeinsam hungrig sein.

      Sie schnalzt mit der Zunge und wendet sich ab.

      Vor dem Restaurant zündest du dir eine Filterlose an und wartest trotzdem. Der Nieselregen verschleiert die Straßenbeleuchtung. Als Inès endlich herauskommt, zerrt sie den Gummi aus den Haaren, und ihre wilden Locken springen in der Feuchtigkeit auf. Sie nimmt einen Zug von deiner Zigarette, pflückt Tabakkrümel von ihren Lippen und bläst perfekt geformte Rauchringe in die Herbstluft.

      »Wo willst du hin?«

      In eine Bar?

      Sie zuckt mit den Schultern, enttäuscht.

      Les Bains?

      »Ich sehe verboten aus.«

      Sie könnte sich umziehen. Wo sie wohne?

      »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich jemals in diese Gegend verläufst.«

      Du bietest an, sie zur Metro zu begleiten.

      »Wie, das war’s jetzt? Wo wohnst du denn?«

      In der Nähe. Drüben im 11. Arrondissement.

      »Warum gehen wir nicht zu dir? Das Wetter ist grässlich.«

      Das vorzuschlagen hättest du nicht gewagt, zu dieser Uhrzeit.

      »Du bist zu höflich, um mich anzuspringen.« Sie zittert in der Kälte.

      Dass es Unvermögen, nicht Höflichkeit sei, verkneifst du dir zu sagen.

      Auf dem Weg hältst du den Schirm über ihren zerschlissenen Trenchcoat. Dein Maßanzug wird nass.

      »Ist Ziad ein Freund von dir?«

      Ihr habt beide an der Sorbonne studiert. Film, lange her.

      Sie schweigt, und du überlegst, was eure Freundschaft wirklich ausmacht.

      Im Aufzug schlägst du vor, ein paar Platten aufzulegen, obwohl dein Musikgeschmack dein Alter verraten wird. Wie alt Inès wohl ist?

      »Ja! Tanzen.« Ein Lächeln erhellt ihre Züge. Es erstirbt, als sie aus dem Aufzug ins Penthouse tritt. Selbst höhere Töchter, die du früher oft in Clubs aufgegabelt hast, waren eingeschüchtert, wenn sie in die Wohnung kamen, obwohl sie weder besonders groß noch teuer eingerichtet ist. Keine Kunst an den Wänden. Manche loben die Aussicht über Paris, den offenen Kamin, andere das Zusammenspiel verschiedener Design epochen oder die ungewöhnliche Farbgebung. Letztes Jahr hast du die Sessel eines obskuren italienischen Möbelmachers in staubigem Lila neu beziehen und die Wände in der Farbe des Vergessens streichen lassen. Die Beleuchtung ist dir gelungen, sie verleiht den Räumen eine gelassene Eleganz. Das Filmstudium war nicht völlig umsonst.

      Inès reagiert auf etwas anderes. »Was ist das für ein Geruch?«

      Oud, erklärst du und zündest ein brüchiges Stück Agarholz an, das du einem Gauner aus den Emiraten für eine obszöne Summe abgekauft hast.

      Sie atmet den Rauch ein und schließt die Augen. »Es riecht magisch!«

      Du streifst die Schuhe ab und hängst ihren nassen Mantel auf, das Ausrufezeichen auf der billigen Bluse ist nun verlaufen, der Nagellack an ihren Zehen abgeblättert. Vor dem Bücherregal legt sie den Kopf zur Seite und zieht das kommentierte Drehbuch von Antonionis Il deserto rosso heraus.

      Du fragst sie, ob sie gerne lese.

      »Ich mag Geschichten, die mich an andere Orte transportieren, zu fremden Kulturen und Menschen. Ich bin aber eher ein langsamer Leser.« Es klingt, als würde sie sich eines Verbrechens bekennen.

      Geschichten. Orte. Menschen.

      Du überlässt sie den Büchern und setzt in der Küche Tee mit Nelken und Zimt auf. Im Schlafzimmer schlüpfst du in trockene Sachen. Dein Herz rast.

      Als du zurückkommst, sitzt sie auf dem Teppich und ist in das Fotoalbum deiner Kindheit vertieft. Das lose Foto von einer Schulklasse in Kabul rutscht heraus.

      »Wo ist das?«

      Afghanistan.

      Sie fährt mit dem Finger über das Foto.

      Es sei ein Waisenhaus, das du finanziell unterstützt. Das klingt viel großzügiger, als es ist, denkst du und bist froh, dass sie nicht nachhakt. Du erwähnst nicht, dass der Junge mit den roten Haaren und den Sommersprossen auf dem Bild dein Neffe ist.

      Die Personen auf den eingeklebten Bildern stellst du vor. Deine Eltern neben einem Sportwagen vor der Villa in Kabul, bei den Pyramiden in Ägypten, vor der Freiheitsstatue in New York. Andere Bilder zeigen deinen Vater in seinem Arbeitszimmer neben einer Godrej-Schreibmaschine, Bekannte aus LA und Beirut, die Lkw-Flotte des Familienunternehmens, Zaman Logistics, blühende Mohnfelder. Ein größeres deiner Eltern, auf einem Sofa mit König Zahir Shah in dessen Exil in Rom. Die Augen von allen dreien rot angeblitzt.

      »Sie sehen aus wie Aliens.« Inès erkennt den Monarchen nicht.

      Bei den Aufnahmen eines buzkashi-Turniers hält sie inne. Reiter jagen über ein offenes Feld, die weiß gepuderten Gipfel des Hindukusch dahinter ragen in den Technicolor-Himmel. Dein Vater hatte deine Schwester und dich mitgenommen, du warst noch ein kleiner Junge.

      »Was ist das? Ein Pferderennen?«

      So ähnlich. Ein Sport aus Zentralasien, erklärst du.

      In der Handschrift deiner Mutter steht darunter: Uzma et Hasir 1976.

      »Wer sind Uzma und Asir?«

      Uzma sei deine Schwester. Hasir mit H, betonst du, das H werde ausgesprochen, wie bei den Arabern. Es sei dein afghanischer Name.

      »Hhhhasir mit hasch. Ich mag den Namen.« Sie runzelt nachdenklich die Stirn.

      Du seist aber kein Araber.

      »Dann musst du etwas Besseres als Tee im Haus haben. Cognac? Mir ist kalt.«

      Du holst eine Flasche alten Armagnac aus dem Küchenschrank, schenkst ihr ein und überlegst, selbst ein Glas zu trinken. Auf das bisschen Alkohol kommt es jetzt auch nicht mehr an. Du wirst wie immer versagen.

      »Wolltest du nicht Musik auflegen?«

      Grace Jones’ »Walking in the Rain« scheint dem Wetter angemessen.

      Das Album auf dem Schoß, bewegt sich Inès zum Rhythmus und summt eine jazzige Gegenmelodie.

      »Erzähl mir von dem Sport.«

      Buzkashi sei Afghanistans Antwort auf Polo, sagst du. Zwei Mannschaften sogenannter chapandaz-Reiter versuchten, sich gegenseitig einen kopflosen Schafsbock abzujagen, den sie über ein Spielfeld zerren. Ziel sei es, den Kadaver vor dem Preisrichter abzulegen. Manchmal ginge so ein Turnier tagelang. Buzkashi sei in Zentralasien einmal sehr prestigeträchtig gewesen, doch Tadschiken, Usbeken und selbst Pakistanis hätten das primitive

Скачать книгу