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Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
Читать онлайн.Название Zensur im Dienst des Priesterbildes
Год выпуска 0
isbn 9783429064198
Автор произведения Jessica Scheiper
Жанр Документальная литература
Серия Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Издательство Bookwire
1.5 Missionseinsätze (1982–1996)
Trotz seiner 63 Jahre hegte Crottogini noch immer den Wunsch, in die Mission zu gehen. Seines Alters und auch der fehlenden Fremdsprachenkenntnisse war er sich sehr wohl bewusst. Aber das Versprechen, das ihm der Generalobere Blatter einst gegeben hatte, Crottogini könne eines Tages noch in den Missionseinsatz gehen, jenes „Trostpflästerchen“121, wollte er eingelöst wissen – und die neue Leitung der SMB stimmte seinem Anliegen zu.
Im April 1982 trat Crottogini seinen ersten Missionseinsatz in Kolumbien an. Er bedauerte, dass er anstelle eines Sprachstudiums zuerst für mehrere Wochen den Pfarrer der deutschsprachigen Pfarrei in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, vertreten sollte.122 Im Anschluss erst konnte er sich dem Sprachstudium widmen, das er als „hartes Brot“123 bezeichnete. Aber er blieb zuversichtlich und plante, nach seinem Sprachkurs für
„einige Monate auf Wanderschaft [zu] gehen. Das heisst, ich werde bei einigen unserer Equipen eine ‚Schnupperlehre‘ absolvieren. Bei dieser Gelegenheit wird sich zeigen, wie weit ich das bisher Gelernte in der Praxis anwenden kann. Gleichzeitig hoffe ich zu sehen, ob und wo für mich noch ein sinnvoller Einsatz zu leisten ist.“124
Das Erlebte, so schrieb er in einem Rundbrief zum Weihnachtsfest 1982, könne er aber bisher nicht „auch nur einigermassen objektiv einordnen.“125 Weder beschwerte er sich noch brach er den Einsatz frühzeitig ab, doch fielen seine Erfahrungsberichte nüchtern aus:
„Seit meinem Aufenthalt in Kolumbien bin ich zweimal ‚unter die Räuber‘ gekommen. […] Das Schlimme ist nicht der Verlust des Geldes, der Kleider und der andern Utensilien, um die ich und meine Begleiter bei dieser Gelegenheit erleichtert wurden. Weit schlimmer scheint mir die Tatsache zu sein, dass die ‚Ladrones‘ meist sehr junge Leute sind, die keine andere Möglichkeit sehen, als sich durch solche Überfälle die nackte Existenz zu sichern. Die tägliche Konfrontation mit den harten sozialen Gegensätzen hier in Bogotá macht mir mehr Mühe als die Diebereien im Bus“126.
Nach dem Abschluss seines Sprachstudiums und nach Einblicken in die Tätigkeiten verschiedener Equipen in Kolumbien wurde er zu Beginn des Jahres 1984 für einige Monate nach El Rosario/Nariono gebeten. Dort sollte er bei den Vorbereitungen helfen, die dortige Pfarrei in die Selbstständigkeit zu entlassen, die bisher von der SMB betreut worden war.127
Mit zwei SMB-Mitarbeiterinnen aus der Schweiz begann er anschließend mit der Arbeit in einem Armenviertel der karibischen Hafenstadt Cartagena. Hier wurde er über die Jahre Zeuge, wie Leute „Tag für Tag um das nackte Überleben kämpfen“128. Die Hilfe zur Selbsthilfe, die er leisten wollte, war den meisten Bewohnern des Viertels zu abstrakt, in den meisten Fällen erhofften sie sich „Direkthilfe, […] Brot für sich und ihre Familien, […] ärztliche Betreuung der Kranken und Schulunterricht für die Kinder.“129 Crottogini wurde in dieser Zeit sehr „gefordert und das bei einer Temperatur, die nachts noch 30 Grad zählte. Dabei wurden wir mit allem konfrontiert, was es im Leben gibt und, nach europäischen Vorstellungen, nicht geben kann. Rückblickend ist diese Zeit die abwechslungsreichste, intensivste Wegstrecke meines Lebens.“130 Im Mai 1990 wurde er fernab des Ufers auf offenem Meer beim Schwimmen von einem Motorboot erfasst. Seine Verletzungen waren lebensbedrohlich, doch wurde er gerade noch rechtzeitig in ein Krankenhaus gebracht. Infolge des Unfalls musste er für ein Jahr aus dem Dienst ausscheiden und war nun selbst in der Rolle des Hilfsbedürftigen. In dieser Rolle fühlte er sich nicht wohl, schämte sich anfangs sogar, empfand sich aber letztlich als „der von ihnen [den eigentlich Hilfsbedürftigen; J. S.] Beschenkte.“131
Zum Jahresende 1991 flog er für knapp ein Jahr zurück in die Schweiz, wo er mit einer Evaluation der Equipeneinsätze der SMB begann. Diese Arbeit setzte er ab Oktober 1992 in Kolumbien fort. „Um zu erfahren, was von unseren missionarischen Einsätzen vor Ort aus der Sicht der Einheimischen geblieben ist, musste ich auf all diesen Plätzen mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen. Der ständige Orts- und Klimawechsel war recht ermüdend.“132 Im Rahmen dieser Evaluationsarbeit reiste Crottogini Anfang 1996 außerdem nach Ecuador, Peru und Bolivien.
1.6 Rückkehr in die Schweiz (1996–2012)
Im Sommer 1996 kehrte Crottogini endgültig zurück in die Schweiz, wo er zunächst in seiner Heimatstadt und -region Chur in der Seelsorge tätig war.133 Crottogini nannte es selbst den „Beginn einer neuen ‚Missionsarbeit‘“, weil ihm auch kleinere „Diasporagemeinden“134 übertragen wurden. Im darauffolgenden Jahr feierte er den fünfzigsten Jahrestag seiner Priesterweihe in seiner Primizkirche, der Kathedrale von Chur. Im Jahr 2000 wurde er für vier Monate vertreten, um die einst begonnene Evaluationsarbeit abzuschließen.135 Für drei Wochen reiste er zudem noch ein letztes Mal nach Kolumbien. 2001 kehrte er schweren Herzens nach Immensee zurück. Nach der langen Abwesenheit und wegen der vielen freien Zeit ohne konkrete Aufgabe fiel es Crottogini zunächst schwer, sich in Immensee wieder einzuleben. Der Anschluss an Gesprächsgruppen erleichterte ihm die Rückkehr schließlich. Bis auf altersbedingte Krankheiten und einen Unfall im Mai 2002, bei dem er sich am rechten Schultergelenk verletzte, erfreute sich Crottogini guter Gesundheit.136 So hielt er 2002 auch noch einmal schriftlich fest, man möge nach seinem Tod seinen Leichnam „dem Anatomischen Institut der Universität [Fribourg; J. S.] […] zur Verfügung stellen.“137
Schließlich verstarb Jakob Crottogini im Alter von 93 Jahren am 7. Mai 2012 in Immensee. Dort fand am 19. Mai 2012 ein Gedenkgottesdienst für ihn statt. Eine Beerdigung gab es nicht, weil man seinem letzten Wunsch entsprach und seinen Körper der Forschung vermachte.138
37„Obwohl militärisch neutral, war die Schweiz als Exportnation in den Krieg und dessen Folgen voll involviert und zwar mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen. […] Im europäischen Vergleich war die Schweiz mehr als glimpflich davongekommen. Doch diese Einschätzung entsprach nicht der Wahrnehmung der kleinen Leute, die sich als Leidtragende der Entwicklung sahen. Sie hatten mit jahrelangem Militärdienst bei minimalem Sold und durch die Verteuerung von Lebensmitteln die Hauptlast des Krieges getragen.“ (REINHARDT, Geschichte, 419).
38 Vgl. StaLu, MEIER u. a., Biographie, 6 und StaLu, CROTTOGINI, Skizzen, 1.
39 Vgl. StaLu, DERS., Chronologie, 1. Crottoginis älteste Schwester war zu diesem Zeitpunkt neun Jahre, die jüngste Schwester war drei Jahre alt (vgl. ebd.).
40 StaLu, MEIER u. a., Biographie, 6.
41 Vgl. ebd. sowie StaLu, CROTTOGINI, Skizzen, 1.
42 Vgl. StaLu, MEIER u. a., Biographie, 6.
43 Ebd.
44 Ebd.
45 „Was sie in dieser Zeit ohne Sozialhilfe, ohne Witwenrente oder anderweitige Unterstützung in der Stadt mit sieben unmündige[n] Kinder[n] durchgemacht hat, von dem hatte ich damals keine Ahnung. Das ist mir erst viel später aufgegangen“, so Crottogini im Alter von 83 Jahren (vgl. StaLu, CROTTOGINI, Skizzen, 1 und StaLu, MEIER u. a., Biographie, 6).
46 StaLu, CROTTOGINI, Skizzen, 1.
47 Ebd.
48 StaLu, DERS., In memoriam Caminada, 1.
49 Vgl. ebd., 1f. Christian Caminada (1876–1962) empfing 1900 die Priesterweihe, war seit 1934 Generalvikar und 1941 wählte ihn das Domkapitel zum Bischof von Chur (vgl. SURCHAT, Caminada, 122f. und SAUSER, Caminada, 285). Bei den Kindern, die den hageren Dompfarrer „Plattfuss Indianer“ (StaLu, CROTTOGINI, In memoriam Caminada, 1) nannten, war er beliebt. Dies lag nicht zuletzt an den beiden Vatikanmarken, die der Schüler mit den besten Antworten