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Verbot durch das Hl. Offizium, wie es der Nachlass Crottoginis belegt. Die Konstitution Papst Benedikts XIV. Sollicita ac provida hatte seit 1753 mitunter den Ablauf von Indizierungsverfahren geregelt. Ging man davon aus, dass es – wie einst von der Konstitution vorgegeben – für das Veröffentlichungsverbot des Crottogini-Buches Voten von Mitarbeitern des Hl. Offiziums gegeben hatte, waren diese vielleicht auch anders zu ermitteln. Deshalb war es unerlässlich, mögliche Quellen außerhalb des Archivs der Kongregation für die Glaubenslehre zu ermitteln, die Aufschluss über das Verfahren geben könnten. In der Hoffnung, in den Privatnachlässen der deutschsprachigen Konsultoren des Jahres 1955 relevante Gutachtenentwürfe, Ausfertigungen, Gesprächsnotizen oder Korrespondenzen zu finden, wurden diese nach Möglichkeit konsultiert, um so mehr oder minder deren Beteiligung zu be- oder widerlegen und Aufschlüsse über das Verfahren zu liefern.34

      Freilich dürfen die Grenzen dieses Vorgehens nicht verschwiegen werden: Auch wenn Sollicita ac provida Zensurverfahren klar regelte, sind doch Abweichungen von der Konstitution bekannt geworden. Es kann deshalb angenommen werden, dass sich das Vorgehen des Hl. Offiziums beim Priesterberuf 1955 an der Konstitution von 1753 orientierte, diese aber nicht vollends befolgte. Dennoch handelt es sich a) um eine Vermutung, die b) bisweilen auch nur unscharf be- oder entkräftet werden kann. Abweichungen von dieser Verfahrensordnung und mögliche Begründungen für diese Abweichungen werden nach Möglichkeit beschrieben.

      Ergänzend wurden Akten aus dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln (AEK) zu Rate gezogen. Crottoginis Nachlass ließ darin wichtige und aufschlussreiche Belege vermuten, weil 1955 sowohl der Kölner Generalvikar als auch der Erzbischof an dem Verfahren beteiligt waren. Über den eigentlichen Zensurfall hinaus halfen weitere dort archivierte Akten mit Schriftstücken aus der Nachkriegszeit, das Klima zu konturieren, in dem sich das Publikationsverbot ereignete. Auch im Erzbischöflichen Archiv in Freiburg i. Br. (EAF) ließen sich Schriftstücke zu dem Zensurfall ausmachen. Das gemeinsam geführte Diözesanarchiv für Lausanne, Genf und Fribourg (AEvF) wies einige Korrespondenzen zwischen mehreren beteiligten Personen auf. Hier gerieten auch erstmals Personen ins Blickfeld, über deren Beteiligung Crottogini selbst nichts zu wissen schien. Der damalige Bischof von Basel hatte Crottogini bei einer Überarbeitung seines Buches auch Unterstützung angeboten. Deshalb verfügte das Baseler Diözesanarchiv in Solothurn (BiASo) ebenfalls über einige Unterlagen, wenngleich auch viele Duplikate bereits vorhandener Dokumente.

      Weil die beanstandete Studie Crottoginis in Fribourg entstand, und sein Doktorvater dort weiter lehrte, war anzunehmen, auch dort könnten sich relevante Quellen aus den Jahren 1955–1957 befinden. Das Universitätsarchiv in Fribourg verfügte aber nicht über solche Unterlagen. Ebenso führten die Recherchen im Archiv der Schweizer Bischofskonferenz in Fribourg leider nicht zum erhofften Ergebnis. Es fanden sich keine Unterlagen in dieser Angelegenheit. Der Nachlass des Mainzer Weihbischofs Reuß enthielt ebenso keine Korrespondenzen mit bzw. über Crottogini, obwohl sich einige seiner Briefe im Nachlass von Crottogini befanden.35 Die um Korrespondenzen, interne Notizen oder ähnlich erhaltene Schriftstücke angefragten Priesterausbildungsstätten, in denen Crottogini seine Studie hatte durchführen dürfen, antworteten entweder leider gar nicht oder konnten keine positive Rückmeldung geben.36 Viele dieser Einrichtungen waren inzwischen auch geschlossen. Unter Umständen bedeutete aber eine Fehlanzeige in einem Archiv oder eine negative Rückmeldung dennoch einen Befund, weil sich damit die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Person oder Institution sei involviert gewesen, verringerte.

      Die vorhandenen Quellen konnten in eine chronologische Reihenfolge gebracht und Handlungsstränge und Protagonisten herausgearbeitet werden. Die Quellen konnten oftmals von zeitgenössischer Literatur gestützt werden, die sich zwar nicht immer ausdrücklich mit Crottogini und dem Priesterberuf auseinandersetzte, aber doch Rückschlüsse auf das (kirchenpolitische) Klima dieser Jahre zuließ.

      Im Rahmen einer kanonistischen Fallanalyse soll in der vorliegenden Arbeit anhand der verfügbaren Quellen der „Zensurfall Crottogini“ historisch und rechtlich rekonstruiert werden. Auf der Grundlage des altkodikarischen (Lehr-)Rechts und ergänzender Rechtsquellen soll dieser spezielle Zensurfall einerseits biographisch eingeordnet und andererseits untersucht werden, inwieweit sich die einzelnen kirchlichen Autoritäten und speziell das Hl. Offizium an das geltende Recht hielten bzw. gebunden sahen. Die zeitgeschichtliche Kontextuierung unter Einbeziehung spezifischer kirchenamtlicher Sensibilitäten und der selektiven Rezeption sozialwissenschaftlicher Ergebnisse durch die kirchliche Hierarchie kann die Konturen des Falles schärfen.

      Dem entspricht die Schrittfolge: Ein erster Teil behandelt die Vorgeschichte des Zensurfalls, ein zweiter Teil die Zeit ab dem Zensurfall. Ausgehend von der Lebensgeschichte Crottoginis (1.), seiner persönlichen Motivation, den Priesterberuf abzufassen, und den näheren Entstehungsbedingungen seiner Studie (2.), werden zur näheren Kontextuierung das zeitgenössische Priesterbild und die darauf zielende Priesterbildung eingeblendet (2.1). Für das Verständnis der späteren Buchbeanstandung sind Methode, Durchführung und Befunde der Crottogini-Studie ebenso aufschlussreich (2.2) wie die (fach-)wissenschaftliche Rezeption seiner Arbeit, die Kritiker erst auf seine Arbeit aufmerksam machte (2.3). Die kirchliche Ablehnung geschah vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der vermeintlich prüden 1950er Jahre, als die katholische Kirche die Sexualität der Gläubigen streng zu normieren und zu regulieren versuchte (3.). Im zweiten Teil folgen auf die historischen Hintergründe und die zeitgeschichtliche Einbettung die Rekonstruktion des Verfahrens und seine kanonistische, näherhin lehrrechtliche Einordnung (4.). Im Umfeld des II. Vatikanums und der auf ihm angeregten Reformen für die Büchergesetzgebung geriet Crottogini Anfang der 1960er Jahre ein weiteres Mal ins Visier des Hl. Offiziums, kurz bevor sich die kirchliche Büchergesetzgebung 1966 grundlegend änderte (5.). In einer Zusammenfassung werden schließlich die Ergebnisse der historischen Rekonstruktion und kanonistischen Analyse des Zensurfalls vorgestellt und gewürdigt (6.).

      1 Dies geschieht in Anlehnung an SCHULZE, Johannes, Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 98 (1962) 1–11.

      2 Vf.in folgt der Vorlage von STOLZ, Michael/SCHÖLLER, Robert/VIEHAUSER, Gabriel, Transkriptionsrichtlinien des Parzival-Projekts, in: Beiheft zu editio 26 (2007) 295-326, hier 316.

      3 Ebd.

      4 Vgl. ZIEMANN, Kirche, 207.

      5 Ebd.

      6 Ebd.

      7 Vgl. ebd.

      8 Im Folgenden wird der Titel mit „Priesterberuf“ abgekürzt.

      9 Vgl. GATZ, Zweiter Weltkrieg, 205; STENGER, Wissenschaft, 12; GRIESL, Ende, 40 und STELZER, Seelsorgestudie, 148 Anm. 5.

      10 In einem Spiegel-Artikel von 1971 hieß es knapp, der Priesterberuf sei „bekämpft worden“ (AA. VV., Massenflucht, 92). Etwas aussagekräftiger waren ein Jahr später die Ausführungen von PFÜRTNER, Kirche, 276f.: Der Priesterberuf sei „schnell unterdrückt [worden]: Das Buch musste seinerzeit auf obrigkeitliches Geheiß nach seinem Erscheinen aus dem Handel gezogen werden.“ Welche Obrigkeit, blieb offen. Da das Buch nie offiziell erschienen war, konnte es dementsprechend auch nicht aus dem Handel gezogen werden. Pfürtner gab nicht an, woher die Informationen stammten. Ob er das Verbot als Konsequenz von Crottoginis (aus Sicht der 1970er Jahre) „methodisch reichlich unvollkommene[m] Versuch“ (ebd.) betrachtete, ist nicht erkennbar. Auch FORSTNER, Priester, 109 Anm. 71 hat den Sachverhalt inkorrekt wiedergegeben, wenn er schreibt, Crottogini habe „gegen offenbar nicht geringen innerkirchlichen Widerstand“ statistisches Material gesammelt. Das Sammeln des statistischen Materials hatte aber tatsächlich kaum innerkirchlichen Widerstand ausgelöst, erst die geplante Veröffentlichung rief die Kritiker auf den Plan. Im Jahr 2000 berichtete MEIER, Ehe- und Sexualmoral, 569 Anm. 9, der Priesterberuf habe trotz bischöflicher Druckerlaubnis „auf Betreiben der Deutschen Bischofskonferenz nicht ausgeliefert“ werden dürfen. Wie er zu der Aussage gelangen konnte, zu dem Verbot sei es durch die Deutsche Bischofskonferenz gekommen, ist unklar

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