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Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
Читать онлайн.Название Zensur im Dienst des Priesterbildes
Год выпуска 0
isbn 9783429064198
Автор произведения Jessica Scheiper
Жанр Документальная литература
Серия Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Издательство Bookwire
0.3 Forschungsstand, Quellen und Methode
Das einzige Fundstück, das das Buchverbot ausführlicher, aber dennoch oberflächlich behandelt hat, war ein Artikel von Arnd Bünker und Roger Husistein. Für einen Beitrag in ihrem Sammelband über die Situation der Diözesanpriester in der Schweiz beschäftigten sie sich mit Crottogini, „dem Pionier der empirischen Priesterforschung“13, und hatten ihn 2011, ein Jahr vor seinem Tod, gebeten, ihnen über das Publikationsverbot zu berichten.14 Der Beitrag gelangte nicht über eine Kurzdarstellung des Priesterberufes und Crottoginis Erinnerungen an die Geschehnisse, ebenfalls in komprimierter Form, hinaus. Die Autoren selbst vermuteten als Motiv hinter dem Publikationsverbot die offene Behandlung der Themen Sexualität und Zölibat durch Crottogini sowie seine „ungenügende[n] Kenntnisse und eine oberflächliche Auseinandersetzung mit den Studienergebnissen“15. Weshalb das Publikationsverbot ein gutes Bespiel für die grundsätzlichen Vorbehalte sei, die die katholische Kirche lange Zeit gegenüber einer empirischen Untersuchung der kirchlichen Wahrheit gehegt habe, wie sie behaupteten, begründeten sie nicht.16
Die Aufarbeitung dieses bislang kaum beachteten Zensurfalls versprach deshalb Potenzial. Die interessierenden Details mussten dafür aber anhand von Quellen erschlossen, untersucht und belegt werden. Ausgangspunkt waren erste Recherchen zum Autor selbst. Crottogini war zwar zu Beginn dieser ersten Arbeiten erst kürzlich verstorben und konnte um kein persönliches Interview mehr gebeten werden, aber sein Nachlass ließ sich ausmachen. Diese Entdeckung erschien vielversprechend: Der zugänglich gemachte Nachlass im Staatsarchiv Luzern gewährte nicht nur einen Blick in die umfangreiche Korrespondenz Crottoginis, sondern enthielt auch Schriftstücke mit ersten chronologischen Überblicken über das Publikationsverbot.17 Bei einer der ersten Anfragen 2013 hieß es, Crottogini habe „persönlich eine [gleichwohl unvollständige] Chronologie und Dokumentation zum Verbot des Werkes zusammengestellt, […] vermutlich in seinen letzten Lebensjahren (2009/2010)“18, weil sich ein Journalist der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ) für den Zensurfall interessiert habe.19 Allerdings erschien weder in der SKZ noch andernorts ein Artikel über den Verbotsfall. In Crottoginis Nachlass fand sich ein Interview über das Publikationsverbot, das sein Mitbruder P. Fritz Frei 2007 mit ihm geführt hatte.20 Leider waren nur noch Crottoginis Antworten vorhanden, als Erzählung in der dritten Person. Das Interview bot eine kurze Zusammenfassung des Buchverbots und seiner Erfahrungen mit dem Hl. Offizium. „Was heute noch passiert an römischen Massnahmen gegen Theologen“, erinnere daran, „dass die Kirchenleitung den richtigen Umgang noch nicht gefunden hat“21, lautete das Fazit des Interviews.
Ein weiteres Interview hatte Crottogini 2004 einer Gruppe von vier Studierenden der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Luzern für deren Studienprojekt „Narratives Interview“ gegeben.22 Darin interessierten sich die Studierenden für seine Lebensgeschichte, prägende Erlebnisse und besondere Einflüsse. Zu den Erinnerungen zählte auch das Publikationsverbot, aber auch sie blieben unveröffentlicht und boten keine kritische Auskunft zu dem komplexen Zensurfall.
Die unerlässliche Grundlage für einen aussagekräftigen Zugriff auf den Zensurfall ist der Nachlass Jakob Crottoginis, der im August 2014 vom Archiv seiner Missionsgesellschaft an das Staatsarchiv in Luzern übergeben wurde,23 und seine gesammelten Korrespondenzen, Entwürfe, Zeitungsartikel, einen selbst verfassten Lebenslauf und eine von ihm selbst angelegte (wenngleich lückenhafte) Dokumentation des Publikationsverbots umfasst. Er besteht zum überwiegenden Teil aus Schreibmaschinenseiten im Format DIN A4, nur einzelne Schriftstücke und Notizen sind handschriftlich und auf kleineren Seiten bzw. Postkarten verfasst.24 Sämtliche Aktenschriftstücke an kirchliche Autoritäten, besonders seinen Churer Bischof, Briefe an seinen Doktorvater an der Universität und an Mitstreiter im Zensurfall sind meist als Abschrift vorhanden. Teilweise finden sich im Nachlass Abschriften seiner Briefe an Freunde und Mitbrüder, oftmals ermöglichen aber auch die Antworten der Korrespondenzpartner eine Rekonstruktion seiner Schreiben. Anhand des Nachlasses gelingen große Teile einer chronologischen Rekonstruktion des Verfahrens. Crottoginis umfangreiche Korrespondenzen und Dokumentationen erlauben zudem einen erhellenden Einblick in das innerkirchliche Klima der 1950er Jahre, skizzieren, wie er seine Rolle in diesem Konflikt sah, und lassen seine persönliche Entwicklung nach dem Verbot erkennen. Der Nachlass zeigt Crottoginis Beurteilung des Zensurverfahrens, seine Kämpfe mit den kirchlichen Autoritäten und seine dadurch ausgelösten Glaubenszweifel. Ergänzt wird der Nachlass von unzähligen Notizen, die Crottogini während des Verbotsverfahrens für seine eigenen Unterlagen anfertigte, ohne dass sie einen direkten Hinweis enthielten, Crottogini könnte selbst geplant haben, sie zu veröffentlichen.25 Gleichwohl finden sich dort auch Selbstzeugnisse, die seit 2002 schon „mit Blick auf die Nachwelt entstanden sind“26. Für Crottoginis erhaltene Schriftwechsel und Notizen, die vor dem Jahr 2002 datieren, ist aber begründet anzunehmen, dass sie nicht vor dem Hintergrund einer geplanten Veröffentlichung entstanden sind. Dafür spricht auch die hohe Zahl an Fehlern in den einzelnen Schriftstücken, von denen Crottogini wohl für eigene Zwecke eine Abschrift anfertigte, und keine Notwendigkeit sah, offensichtliche Tippfehler zu korrigieren.27
Der Nachlass umfasst nur wenige amtliche Schriftstücke, die nicht von Crottoginis Churer Bischof Caminada stammen. Fast alle involvierten kirchlichen Autoritäten korrespondierten nicht direkt mit ihm, sondern über seinen Bischof bzw. seinen Oberen, entsprechend lagen Crottogini die Schriftstücke auch nie vor. Besonderen Aufschluss für eine lückenlose Rekonstruktion versprächen in dieser Angelegenheit daher die Akten aus dem Bischöflichen Archiv Chur, wo sich einige Schriftstücke an und von Bischof Caminada befinden dürften. Crottogini selbst gab nur wenige Jahre vor seinem Tod in seiner selbst erstellten chronologischen Übersicht an, die Unterlagen zu seinem Imprimaturfall seien dort „bis zur Stunde […] nicht gefunden“28 worden. Crottogini hatte sich wohl einst selbst um Einsichtnahme in die Akte bemüht. Auf Anfrage der Verfasserin im August 2015 antwortete derselbe Archivar: „Pater Jakob Crottogini verstarb erst 2012. Auch wenn das Bischöfliche Archiv Chur (BAC) keinen expliziten Nachlass des Immenseer-Missionspaters besitzt […][,] sind sämtliche Akten, welche mit seiner Person im Zusammenhang stehen und bei uns (eventuell) greifbar sind, so auch die Akten wegen Crottoginis Publikation ‚Werden und Kreise [sic!] des Priesterberufes‘ gesperrt. Es kann also keine Einsichtnahme gewährt werden […].“29
Um den Fall dennoch möglichst lückenlos zu rekonstruieren und die eingangs gestellten Fragen zu beantworten, galt es dann die nächste – noch wichtigere – Quelle ausfindig zu machen: Die Akten des Hl. Offiziums im Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre. Denn diese Quellen dürften die (internen) Vorgänge des Hl. Offiziums beleuchten und so das Bild des Zensurfalls vervollständigen. Die Bestände aus dem Pontifikat Pius’ XII. sind der Forschung allerdings noch nicht zugänglich gemacht30 und auch in diesem Fall wurde eine Sondergenehmigung (Schutzfristverkürzung) nicht erteilt.31 Insbesondere zu den Fragen, wer Crottogini denunziert hat, was der letzte Auslöser für das Veröffentlichungsverbot war und wie das Verfahren innerhalb der Kongregation ablief, wären die noch nicht freigegebenen Bestände aus dem Pontifikat Pius’ XII. außerordentlich hilfreich gewesen. Gleichermaßen bedauerlich ist, dass der Briefwechsel zwischen dem Apostolischen Nuntius in der Schweiz, Crottoginis Bischof und dem Hl. Offizium nicht zugänglich gemacht wurde. Auf Anfrage bei der Apostolischen Nuntiatur in Bern teilte Nuntius Thomas E. Gullickson der Verfasserin im November 2015 mit, die „Archive vor 1985“ seien bereits „nach Rom geschickt“32 und würden dort nun gelagert, so dass er leider nicht helfen könne. Die vatikanischen Archivare seien bemüht, die Dokumente für wissenschaftliche Arbeiten zugänglich zu machen, bislang seien die Archivare aber erst bei den Beständen der 1930er Jahre angekommen und es dürfe noch „eine Weile dauern“33, bis die der 1950er Jahre zugänglich gemacht würden. Damit gelten für die Nuntiaturbestände die gleichen Sperrfristen wie für das Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt