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lässt, dass die Amtskirche vor Einrichtung des Truth, Justice and Healing Council nichts unternommen hätte. Und es wird der Wahrheit auch nicht gerecht, wenn man den Eindruck entstehen lässt, dass die Kirche bis zu irgendeinem nicht näher genannten Datum keine »guten« Bischöfe gehabt hätte, dass alle eine große »Seilschaft« gewesen seien, für die die Kirche wichtiger gewesen sei als die Opfer. Das ist unfaire Effekthascherei, ein Zugeständnis an eine feindselige Masse.

      Die Pädophilie-Krise ist und bleibt der heftigste Schlag, dem die Kirche in Australien ausgesetzt war. So viele furchtbare und so viele wirklich abscheuliche Verbrechen. Wenn Mitte der 1990er-Jahre irgendjemand das Ausmaß des Problems kannte, dann hat er sich darüber nicht geäußert, weder öffentlich noch bei mir persönlich. Wir dachten, die Melbourne Response würde ihre Arbeit innerhalb weniger Jahre zum Abschluss bringen können.

      Im Brevier führt Ijob sein Wortgefecht weiter und macht zwei Punkte geltend: Er macht Gott für seine Leiden verantwortlich und er beharrt darauf, dass Gott die Macht hat, etwas dagegen zu tun. Gott hat alles in der Hand. Der Mensch kann nur sehr, sehr wenig erreichen. »Sieh, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit«, spricht Gott, »das Meiden des Bösen ist Einsicht« (Ijob 28,20–28).

      Es war eine Erleichterung, zum Responsorium aus dem ersten Korintherbrief überzugehen (2,6–8); Gottes geheime Weisheit für uns ist Christus.

      Die zweite Lesung ist wieder ein schöner und berühmter Abschnitt aus Augustinus’ Bekenntnissen. Gott zu preisen ist unsere Freude, »denn auf dich hin hast du uns geschaffen; und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir«.

      Wie geschieht es, dass die Seele ihren ersten Schritt auf Gott zugeht? Augustinus ist ein glänzender Psychologe, der sehr wortgewandt und klug über sich selbst zu schreiben vermag. Aber noch besser kann er über unseren Gott der Liebe schreiben. »Ist das nicht allein schon große Pein, dich nicht zu lieben?«

      Die folgenden Worte von Augustinus sollen heute Abend mein Gebet sein:

      Herr, mein Gott, […] sprich zu meiner Seele: »Dein Heil bin ich.« Nacheilen will ich diesem Wort und so dich erfassen. Verhülle nicht vor mir dein Angesicht. Sterben will ich, um nicht zu sterben, sondern es zu schauen.

      Montag, 11. März 2019

      Das Ereignis des Tages war natürlich der Besuch von Chris Meney, direkt gefolgt von der Tatsache – die nur durch den Besuch überhaupt möglich war –, dass wir uns im Garten treffen konnten. Dass Nick und Rebecca4 nicht gekommen sind, war eine Enttäuschung. Der Himmel weiß, was sie aufgehalten haben mag, denn Nick hat noch heute Morgen am Telefon zu Chris gesagt, sein Termin sei um 12.30 Uhr. Ich hatte diese Zeit nie erwähnt und dachte, alle drei würden zur vollen Stunde kommen.

      Die Gefängnisleitung hat sich bemüht, die äußere Besuchszone ansprechend zu gestalten – sie ist hübsch gepflastert, mit runden Tischen und fest installierten Bänken versehen, in der Mitte ein überdachter Bereich mit Farnen und einem pagodenartigen Dach und einem Aborigine-Garten in der Ecke. Weiterhin gibt es ein Gefallenendenkmal, eine Tafel, auf der steht, dass der Bereich unter Pauline Toner5 eröffnet worden ist, und über dem Eingang ein Bild mit einer Ansicht von Venedig, so etwas wie die Seufzerbrücke über dem Kanal. In einer Ecke, fast ganz versteckt, blühten einige bescheidene Rosen, rot und weiß (wenn ich mich richtig erinnere). Die Hälfte der Zeit haben wir gesessen und ein bisschen sind wir auch umhergegangen. Das Wetter am heutigen Feiertag, dem »Tag der Arbeit«, war beinahe mild. Ein schöner Tag. Heute Morgen habe ich 10 oder 15 Minuten lang die Moomba-Parade6 im Fernsehen angesehen, nichts Besonderes meiner Meinung nach, aber die Kinder, die mitgingen, hatten ihren Spaß und die Jugendlichen, die angeblich die Umzugswagen entworfen hatten, ebenfalls.

      Nach der üblichen Leibesvisitation habe ich mich vor dem Besuch wieder in einen Overall gezwängt, diesmal richtig herum, nicht mit der Rückseite nach vorn. Ich hatte einen in 3XL, obwohl ich eigentlich die größte Größe brauche, wahrscheinlich 5XL.

      Chris wirkte ein bisschen unsicher – vielleicht hatte er Angst, wie ich reagieren würde, als er erklärte, dass meine Probleme und meine Haft Teil der göttlichen Vorsehung seien, auch wenn er nicht wirklich wisse, was da im Gang sei und was vielleicht an Gutem dabei herauskommen werde. Wahrscheinlich war er erleichtert, als ich ihm begeistert beipflichtete, indem ich sagte, dass Gott, der Geist, immer am Werk ist. Chris meinte, vielleicht sei es für die Gläubigen ein Hinweis darauf, dass die allgemeine Lage wahrscheinlich nicht leichter werden wird. Ich hoffe allerdings, dass nicht allzu bald allzu viele dieselbe Erfahrung machen müssen wie ich.

      Chris ist mir ein guter Freund und eine unschätzbare Hilfe. Mary Clare und Jess7 sind in Medjugorje und ich hoffe, sie beten für mich, neben ihren anderen Anliegen.

      Außer meiner Bewegung im Garten anlässlich des Besuchs hatte ich noch zweimal eine halbe Stunde Hofgang in unserem etwas heruntergekommenen Hof. Ein scharfer Kontrast, aber heute Morgen hat von dem kleinen Fleckchen Himmel, das man von dort aus sehen kann, die Sonne auf mich heruntergelacht.

      Chris hat mir den nächsten Brevierband mitgebracht, und ich bin gespannt, wann er bei mir ankommen wird. Die Wärter haben gesagt, dass ich ihn automatisch bekommen werde und nichts unterschreiben müsse.

      Ijob ist heute viel besser in Form, äußerst wortgewandt, aber er hält an seiner harten Linie fest und rechtet weiterhin mit Gott. Er erinnert sich an die guten Zeiten, als Gottes Leuchte über seinem Haupt erstrahlte (Ijob 29,3). Einst sind ihm die Jungen und die Fürsten respektvoll begegnet, doch jetzt ist er zum Gespött geworden. Schrecken haben ihn erfüllt und unaufhörlich nagt der Schmerz an ihm. Er macht Gott harsche Vorwürfe: »[…] du achtest nicht auf mich. Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich« (Ijob 30,20–21).

      Ijob war in seiner heftigen Empörung und deutlichen Sprache denkbar schlecht für diese furchtbare Situation gerüstet. Ich erinnere mich noch an Kardinal Lustiger8 aus Paris, einen konvertierten Juden, dessen Verwandte aus demselben Dorf in Polen stammten wie die Familie von Jim Spiegelman9, und an die Erbitterung, mit der er sich fragte, wie Gott das zulassen konnte, als vier oder fünf französische Bischöfe, die er als mögliche Erzbischöfe ausgewählt hatte, vor der Zeit starben. Lustigers Umgang mit der Moderne war so, wie er sein sollte: ein bedingungslos christlicher Aufruf zu Glauben und Buße. Einmal hatte er mehr junge Priester und Seminaristen als der Rest von Frankreich zusammen. Ich bin bei der Reform des Seminars in Melbourne ein Stück weit seinem Vorbild gefolgt. Die jüdische Tradition, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ist langlebig.

      Wir wissen, dass Gott, was auch immer er zulässt, doch niemals grausam zu uns ist. Gott ist nicht wie ein Oberer, der uns im Stich lässt oder sich plötzlich weigert, unsere redlichen Bemühungen zu unterstützen, und sich gegen uns wendet. Gott ist immer auf unserer Seite und verwandelt unser Leid in etwas Gutes, indem er es mit dem Leiden und Sterben Jesu vereint. Gott hört immer zu, vor allem dann, wenn er schweigt. Unser Leiden dient einem Zweck. Ijob wusste nichts von einem leidenden Messias.

      Gott, unser Vater, ich vereinige mein kleines Leid mit dem deines Sohnes Jesus, damit es, wie du willst und wenn du es willst, für die Ausbreitung des Reiches Gottes insbesondere in Australien eingesetzt werden möge.

      Dienstag, 12. März 2019

      Heute habe ich einen sorgfältig formulierten Brief an James Gargasoulas, den Bourke-Street-Mörder, gesandt, um auf seine zahlreichen Briefe und seine Karte zu antworten. Er ist entweder wahnsinnig oder wirklich gut darin, als Wahnsinniger aufzutreten. Gestern habe ich eine Karte von Sophie O. bekommen (mir unbekannt, die Schrift auf dem Umschlag war undeutlich), die mich drängt, James zu bitten, dass er beten solle, um Vergebung zu erlangen. Entgegen dem Rat meines Anwalts hielt ich es für das Beste, mich ihm gegenüber als Priester zu verhalten. Ich habe ihm offen mitgeteilt, dass ich nicht glaube, dass er der Messias ist, und ihn freundlich aufgefordert, nach Erkenntnis zu suchen und zu bereuen.

      Letzten Freitag habe ich meine Exerzitien beendet – ein fünftägiges Programm, mit dem ich am Montag begonnen hatte. Es war etwas willkürlicher als üblich, aber immerhin etwas. Das Beten ist mir nicht schwergefallen.

      Die Fastenzeit im Gefängnis zu verbringen

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