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Schriftsteller wie den heiligen Johannes vom Kreuz. Ich habe nicht viel von ihm gelesen, weil mich seine Schriften immer etwas erschreckt haben. Doch Die innere Burg [1588] der heiligen Teresa von Avila, die eine ähnlich handfeste spanische Theologie vertritt, habe ich zu Ende gelesen.

      Ich konnte mich eher mit der Herangehensweise von Jude Chens Großvater anfreunden, der laut Jude mit Sun Yat-sen8 befreundet gewesen war. Sein Großvater hatte die Angewohnheit, Gott um kleine Prüfungen zu bitten, weil er ohne sie stolz werden könnte, und durch sie wollte er größeres Leid vermeiden. Die Chens waren gläubige Mitglieder der Untergrundkirche im kommunistischen China. Sie verloren alles, erduldeten großes Leid, und einige von ihnen waren lange im Gefängnis, bis es in den späten 1980er- und 1990er-Jahren eine Amnestie gab. Damals floh Jude nach Australien. Wir wurden gute Freunde, und die Familie half ihm, bis er nach Kanada auswanderte, weil er hier keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten konnte. Wir haben noch immer Kontakt und ich kann mir vorstellen, wie aufgebracht er und seine Frau Monica über meine missliche Lage sind.

      David, Judy und Sarah haben mich zum ersten Mal besucht. Es war (natürlich) schön und wir haben viel gelacht. Vor dem Besuch musste ich mich einer Leibesvisitation unterziehen. Wir trafen uns in einem größeren Raum mit hellen Fenstern und bunten Kinderbildern an den Wänden. Ich hatte es geschafft, mich in den obligatorischen Overall zu zwängen – allerdings falsch herum: mit dem Reißverschluss auf der Vorderseite!

      David meinte, er halte es nicht für wahrscheinlich, dass das Berufungsgericht mir eine Freilassung auf Kaution zugestehen würde. Dies bestätigte sich später, als Paul, Kartya und Ruth [Shann] vorbeikamen, um mir zu erklären, dass mit einer Berufung gleich nach der Urteilsverkündung nichts gewonnen wäre, weil die Staatsanwaltschaft ihre Erwiderung noch nicht eingereicht hätte und ein verfrühter Vorstoß das Gericht womöglich verärgern würde. Ruth erklärte, dass sie keinen Präzedenzfall für eine Freilassung auf Kaution finden konnte, die allein wegen der Beweiskraft der Berufungsgründe gewährt worden sei. Ich habe beschlossen, im Fall der Fälle das zu tun, was Ruth mir rät – vorausgesetzt, dass sie ihre eigene Meinung äußert und nicht die ihres Vorgesetzten. Daraufhin hat sie erwidert, dass sie ein bisschen rebellisch veranlagt sei und immer ihre eigene Meinung von sich gebe.

      Es hat mich beunruhigt, dass Nick [Pell]9 so aus dem Gleichgewicht gebracht ist und nicht zur Arbeit geht, und deshalb habe ich vorgeschlagen, Charlie [Portelli] zu bitten, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Paul hat versprochen, Nick anzurufen, um ihm zu helfen. David hat erzählt, dass Marg10 vergesslich ist, aber dass es ihr ansonsten nicht allzu schlecht geht. Paul hat mit ihr gesprochen und hatte den Eindruck, dass sie klarkommt.

       Gott, unser Vater, gib allen, die tief erschüttert sind, und insbesondere meinen nahen Verwandten Frieden und Gelassenheit. Hilf Nick, dass er zurechtkommt und sich helfen lässt. Und ich danke dir, guter Gott, dass in der Öffentlichkeit über das Urteil debattiert wird. Möge dieser Kampf auf die seltsamste Weise die Entschlossenheit der gläubigen Katholiken stärken und sie dazu führen, sich an Jesus zu halten, damit wir alle erkennen, dass er unsere einzige Rettung ist.

       Dienstag, 5. März 2019

      In der heutigen Lesung im Brevier ist Ijob eingeknickt, hat »den Schnuller ausgespuckt«, wie es in der alten australischen Ausdrucksweise heißt. Er wendet sich nicht gegen Gott, aber er beklagt den Tag seiner Geburt: »Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen. Jener Tag werde Finsternis.« Weiter unten in Kapitel 3 bedauert er, dass er nicht gleich nach seiner Geburt gestorben ist: »Was mich erschreckte, das hat mich getroffen, wovor mir bangte, das kam über mich« (Ijob 3,3.25).

      Seine Situation ist extrem: die Familie tot, Hab und Gut vernichtet, eine abstoßende Krankheit, die Aschegrube seine letzte Zuflucht, verloren in der Stille. Kein Wunder, dass er sich beklagt.

      Natürlich wusste Ijob nichts von Christus, und seine Vorstellung vom Leben nach dem Tod scheint nicht zwischen Guten und Bösen, Glücklichen und Unglücklichen zu unterscheiden. Bei den Schatten, so glaubt er, »[…] hören Frevler auf zu toben, dort ruhen aus, deren Kraft erschöpft ist. […] Klein und Groß ist dort beisammen, der Sklave ist frei von seinem Herrn« (Ijob 3,17.19), doch der eine und wahre Gott wird nicht als der letzte und einzige Richter gesehen, der die Guten belohnen und obendrein alle, die gelitten haben, die arm und unglücklich waren, auf immer mit dem und in dem ewigen Leben segnen wird. Ijobs Leben nach dem Tod ist, soweit man daran glaubt, eine Zuflucht für alle, die keine klare Vorstellung davon haben, dass die Schafe von den Böcken getrennt und alle, die gelitten haben, entschädigt werden.

      Nach Kiko Argüello11 trennt vor allem eine Lehre die Christen und Säkularisten voneinander, und das ist die unterschiedliche Einstellung zum Leiden. Säkularisten wollen das Leiden ausblenden oder beenden. Daher stammt ihre Begeisterung für Abtreibung und Euthanasie. Wir Christen dagegen sind davon überzeugt, dass das im Glauben ertragene Leiden erlösungswirksam sein kann, dass Christus uns durch sein Leiden und Sterben das Heil erworben hat und dass auch der böseste Mensch erlöst werden kann. Gleichzeitig engagiert sich keine Gruppe mehr als die Christen dafür, die Leiden zu lindern. Die Juden haben keinen Messias erwartet, der Leid erdulden und geschlagen werden würde, und Ijob hatte in seinem Leiden nicht das Vorbild Christi vor Augen.

      Auch die Vorstellung von Himmel oder Hölle, Belohnung oder Strafe – von einem Jenseits also, in dem diejenigen, die in diesem Leben über das ihnen zugemessene Maß hinaus gelitten haben, die Waagschalen der Gerechtigkeit und des Erbarmens zu ihren Gunsten geneigt vorfinden werden – war ihm unbekannt.

      Himmel heißt, dass die schlimmste menschliche Katastrophe nicht das letzte Wort hat, und ich glaube, der liebe Gott wird im nächsten Leben hauptsächlich damit beschäftigt sein, den Milliarden von Anawim12 seine Fürsorge angedeihen zu lassen.

      Die antike Tragödie ist von einer ganz anderen Brutalität und Endgültigkeit: Hier ist Gott nicht der Herr über das Leben nach dem Tod, er ist nicht gerecht, er belohnt nicht und er bestraft nicht. Ich wusste natürlich immer, dass die alten Griechen nicht an unseren Himmel glaubten, doch erst nach vielen Jahren wurde mir klar, dass ich Sophokles (vor 60 Jahren!) durch die katholische Brille gelesen und mir nie wirklich bewusst gemacht hatte, welche Endgültigkeit Tod, Zerstörung und Schande für Sophokles und sein Publikum bedeuteten.

      Heute war ein ruhigerer Tag, der erste von vielen, nur Kartya hat mich besucht. Wir haben über das mögliche Strafmaß gesprochen (fünf bis sieben Jahre?) und waren uns einig, dass [der Oberste Richter] Kidd für hohe Strafen bekannt ist. Das Berufungsverfahren beginnt wahrscheinlich am 5. Juni.

      Das Urteil zu hören, wird unangenehm werden, und ich habe beschlossen, dabei zu stehen, obwohl mir der Richter die Möglichkeit des Sitzens angeboten hat. Was soll ich währenddessen tun? Ich habe mir überlegt, dass ich für den Richter beten werde, und ich werde ihn ansehen und zu mir sagen, dass er selbst weiß, dass das Urteil ungerecht ist. Er steckt in einer Zwickmühle, das Prozedere muss eingehalten werden, aber ich hoffe, er hört auf sein Gewissen und spielt nicht den Pontius Pilatus, sondern tut sein Möglichstes für die Berufung.

      Während der Verhandlungen empfand ich einen größeren Groll gegen den Staatsanwalt. Er hat die Fakten verschleiert und verdreht und verwischt und ihnen zum Teil sogar widersprochen, damit die Geschworenen ihre aberwitzige Entscheidung fällen konnten. Ruth hat Gibson13 bei unserem Berufungsantrag wiederholt in die Ecke gedrängt, aber zu meiner Überraschung gemeint, er hätte wohl selbst nicht damit gerechnet, dass die Geschworenen eine solche Mischung schlucken würden. Sie glaubt, seine unerwarteten Zugeständnisse bei den Anträgen vor Gericht seien ein Zeichen für sein Unbehagen gewesen.

      Ich habe einen Besen bekommen und meine kleine Zelle gefegt. Die Farbe auf dem Boden ist immer noch abgeblättert, es gibt keinen Vorhang, und während ich hier sitze und schreibe, ist die offene Toilette nur gut einen Meter von mir entfernt. Doch das ist für den Moment mein Zuhause.

       Gott, unser liebender Vater, hilf mir, den Hass von meinem Herzen fernzuhalten. Ich sollte die Wahrheit nicht nur in Liebe sagen, sondern auch die Wahrheit in Liebe denken.

       Aschermittwoch, 6. März

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