Скачать книгу

Denn was frommt es, wenn wir uns zwar der Vögel und Fische enthalten, die Brüder aber beissen und fressen? Der Ehrabschneider ißt des Bruders Fleisch und verzehret das Fleisch des Nächsten. Deßwegen schrecket auch Paulus und spricht: „So ihr euch aber unter einander beisset und fresset, so sehet zu, daß ihr nicht von einander verzehrt werdet.” 103 Nicht ins Fleisch hast du deine Zähne gedrückt, aber die Schmähung hast du in die Seele gedrückt, sie mit übler Meinung verwundet, und bereitest dir selber wie jenem und vielen Andern tausendfältiges Übel. Denn auch den Hörer machst du schlechter, indem du den Nächsten verleumdest. Ist er nämlich ein Sünder, so wird er leichtsinnig, weil er einen Mitgenossen der Sünde gefunden; ist er ein Gerechter, so wird er zum Hochmuth verleitet und blähet sich auf an Anderer Sünde und wird verleitet, sich Großes einzubilden auf sich selber. Zudem hast du der Gesammtheit der Kirche geschadet; denn nicht nur lästern nun Alle, die es hören, den Sünder, sondern der Schandfleck hängt sich dem ganzen Volke der Christen an. Die Ungläubigen nämlich beschränken sich nicht darauf, zu sagen: „Der da ist ein Hurer und Wüstling,” sondern statt des Verbrechers verlästern sie die Christen alle. Zudem hast du verursacht, daß die Ehre Gottes geschändet wird; denn wie der Name Gottes geehrt wird, wenn wir in gutem Rufe stehen, so wird er, wenn wir sündigen, geschändet und verhöhnt. Zum vierten hast du den in bösen Ruf Gebrachten beschimpft und ihn dadurch schamloser und zum Widersacher und Feinde gemacht. Fünftens hast du dich selbst der Strafe und Ahndung ausgesetzt, da du in Dinge dich gemischt, die dich Nichts angingen. Denn das sage mir Keiner: Ich verläumde nur dann, wenn ich Lügen sage; wenn ich Wahrheit spreche, aber nicht. Und ob du auch Wahrheit sprichst, wenn du ehrabschneidest: 104 es bleibt dennoch ein Vergehen; denn auch jener Pharisäer sagte die Wahrheit, als er den Zöllner schmähte, und dennoch schützte ihn Dieses auf keine Weise. Denn sage mir: War der Zöllner ein Zöllner und Sünder? Ganz sicher war er das; aber dennoch ging der Pharisäer, weil er ihn schmähte, mit dem Verluste von Allem hinweg. Willst du den Bruder bessern? So weine, bete zu Gott, nimm ihn bei Seite und ermähne ihn, rathe ihm, muntere ihn auf. So handelte auch Paulus: „Daß ich nicht abermal komme,” sprach er, „und mich Gott demüthige und ich Leid tragen müße über Viele, die zuvor gesündigt und nicht Buße gethan haben für die Ünreinigkeit und Hurerei und Unzucht, die sie getrieben.” 105 Offenbare deine Liebe gegen den Sünder; zeige ihm, daß du aus Sorge und Bekümmerniß, nicht in der Absicht, ihn an den Pranger zu stellen, ihn an die Sünde erinnerst; fall ihm zu Füßen, liebkose ihn, schäme dich nicht, wenn du ihn in Wahrheit heilen willst. So machen es oft auch die Ärzte; wenn sie widerspenstige Kranke haben, liebkosen und ermuntern sie dieselben und bereden sie, das rettende Mittel zu nehmen. So thue auch du! Dem Priester zeige die Wunde! So handelt der, welcher voll wahrhafter Theilnahme, voll wahrer Vorsorge und Bekümmerniß ist. — Aber nicht die Verläumder allein, sondern auch Diejenigen, welche Andere verläumden hören, ermahne ich, die Ohren zu verstopfen und dem Propheten nachzuahmen, welcher spricht: „Wer seinen Nächsten heimlich verläumdet, den verfolge ich.” 106 Sprich zu dem Nächsten: „Hast du Einen zu loben und zu verherrlichen? Ich öffne die Ohren, den Myrthenduft zu empfangen; willst du aber Übles reden, so verschließe ich den Worten den Eingang; denn Mist und Koth aufzunehmen, das widersteht mir.” Was habe ich für einen Gewinn, wenn ich erfahre, daß der und der schlecht ist? Ja den größten Schaden und den äußersten Nachtheil habe ich davon! Sprich zu ihm: „Laß uns für das Unsere sorgen, wie wir Rechenschaft geben wollen für unsere Übertretungen! Diese Forschbegier und Geschäftigkeit lasset uns auf unser eigenes Leben verwenden! Welche Entschuldigung werden wir haben und welche Vergebung, wenn wir das Unsere nie und nimmer bedenken und uns um fremde Dinge gar so bekümmern? Wie es unanständig ist und voll großer Schande, wenn ein Vorübergehender sich in das Haus bückt und zusieht, was drinnen ist; so verräth es auch einen höchst niedrigen Sinn, sich um ein fremdes Leben zu kümmern. Und dabei ist das Lächerlichste, daß die, welche solch ein Leben führen und ihren eigenen Zustand vernachläßigen, so oft sie Etwas gesagt haben, was nicht hätte gesagt werden sollen, den Zuhörer ermähnen und beschwören, es weiter keinem Andern zu sagen, wodurch sie von selbst zu erkennen geben, daß sie etwas Strafwürdiges gethan. Denn wenn du Jemand ermahnst, es keinem Andern zu sagen, so hättest du um so mehr es zuvor ihm nicht selbst sagen sollen. Das Wort lag bei dir in Verwahrung; nun du es verrathen hast, jetzt erst sorgst du für seine Sicherheit! Willst du, daß es nicht zu einem Andern getragen werde, so plaudere es selber nicht aus. Nachdem du aber die Obhut des Wortes an einen Andern verrathen, so thust du ein vergeblich und unnützlich Ding, wenn du ermahnest und beschwörest zu hüten, was du ausgeschwatzt hast. — Allein Verläumden ist süß! Süß ist es vielmehr, nicht zu verläumden! Denn wer Übles geredet, ist fortan in Ängsten; er argwöhnt und fürchtet, bereut und benagt seine eigene Zunge; denn er fürchtet und zittert, das Wort, an Andere verplaudert, könne irgend einmal große Gefahr bringen und denen, welche es ausgesprochen, unnöthige und unnütze Feindschaft gebären. Wer es aber bei sich behält, der kann in ungestörter Freude und in voller Sicherheit leben. „Hast du Etwas gehört,” heißt es, „so laß es in dir sterben; sei getrost, du wirst nicht davon bersten!” 107 Was heißt das: „Laß es in dir sterben” ? Verlösche es, vergrabe es; laß es nicht zum Vorschein kommen und rücke es ganz und gar nicht von der Stelle! Aber vor allen Dingen beeifre dich, daß du Solche nicht leidest, die Andere verläumden. Und wenn du auch einmal zufällig Etwas auffängst, so vergrabe, tödte das Gesagte, übergib esder Vergessenheit, damit du denen gleich werdest, die es nicht gehört haben, und du das zeitliche Leben in voller Ruhe und Sicherheit zubringest. Wenn die Afterredner merken, daß wir uns mehr von ihnen selbst als von den Verläumdeten abwenden, so werden auch sie über kurz oder lang von dieser bösen Gewohnheit ablassen und ihre Sünden bessern und werden später voll Lobes sein und uns selbst als ihre Retter und Wohlthäter preisen. Wenn nämlich Gutesreden und Lobpreisen der Anfang der Freundschaft ist, so wird Schmähen und Verläumden Anfang und Grundlage zu Feindschaft und Haß und zu tausendfachem Gezänk. Denn aus keiner andern Ursache vernachlässigen wir unser eigenes Heil, als aus Geschäftigkeit und Bekümmerniß um fremde Angelegenheiten. Denn es ist nicht möglich, daß ein Mensch, welcher afterredet und sich mit Anderer Lebensart viel zu thun macht, Sorge trage für sein eigenes Leben. Denn da er all seinen Eifer an die Geschäftigkeit um das Leben Anderer vergeudet, so muß nothwendig all das Seinige unverrichtet und vernachlässigt bleiben. Wohl muß es uns lieb sein, wenn wir alle Muße auf die Sorge für unsere eigenen Sünden und auf deren Gericht verwendet haben, noch Etwas darüber thun zu können. Wenn du dich aber durchaus nur um fremde Dinge kümmerst, wie kannst du für deine Gebrechen Sorge tragen?

      6.

      Laßt uns also, Geliebte, laßt uns die Schmähreden fliehen und lernen, wie sich in dieser Hinterlist die ganze unergründliche Tiefe der Nachstellungen offenbart, die uns der Satan bereitet. Denn daß wir das Unsere vernachlässigen und uns die künftige Rechenschaft schwieriger machen, das ist es, warum uns der Teufel zu dieser Angewohnung verleitet! Ja, nicht das allein ist das Schlimme, daß wir werden Rechenschaft geben müssen von dem, was wir damals gesagt haben, sondern daß wir dadurch unsere Sünden bedeutend erschweren, indem wir uns auf solche Weise alle Entschuldigung abschneiden. Denn wer fremde Sünden mit Bitterkeit durchzieht, wird dereinst für seine eigenen Vergebungen keine Verzeihung erlangen. Denn nicht von der Natur unserer Sünden allein, sondern auch von deinem Gerichte über Andere wird Gott den Maaßstab für sein Urtheil entnehmen. Deßwegen ermahnt er uns mit den Worten: „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.” 108 Denn fortan wird die Sünde dort nicht in der Größe erscheinen, wie sie geschehen ist, sondern sie wird einen großen und unabwendbaren Zuwachs erhalten durch das Gericht, welches von dir über deinen Mitknecht ergangen. Denn wie der Leutselige, Sanftmüthige und Versöhnliche die Bürde seiner Sünden um ein Großes verringert, so setzt der bittere, grausame und unerweichbare Mensch seinen eigenen Sünden ein Bedeutendes zu. Laßt uns daher alles Afterreden von unserm Munde verbannen, da wir wissen, daß, ob wir auch Asche äßen, uns diese harte Zucht Nichts nützen würde, woferne wir uns nicht des Afterredens enthalten; denn „was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was zum Munde herausgeht.” 109 Falls Jemand im Koth rührte, wenn du vorübergehst, sag’ an, würdest du nicht schimpfen und schmähen auf den, der das thäte? So thue auch du dem Verläumder. Denn der Koth, wenn er aufgerührt wild, trifft das Gehirn derer, welche

Скачать книгу