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damit wir den Geiz hassend und der Gerechtigkeit nachjagend, den Dürftigen mit dem Unsrigen beispringen und auf diesem Wege für unsere Sünden einiges Labsal empfangen. Hat Gott dich reich gemacht, was machst du selber dich arm? Er hat dich reich gemacht, daß du den Dürftigen helfest, daß du deine Sünden durch die Freigebigkeit gegen Andere tilgest. Er hat dir Schätze gegeben, nicht daß du sie zu deinem Verderben verschließest, sondern sie zu deinem Heile ausstreuest. Darum hat er auch ihren Besitz unsicher gemacht und nicht bleibend, um auch dadurch die tolle Gier nach ihnen zu brechen. Denn wenn jetzt, da die Besitzer nicht auf sie bauen können, sondern überdieß noch viele Fallstricke aus der Sache erwachsen sehen, sie dennoch von solcher Begierde nach ihnen entbrennen, — wenn noch Dieses beim Reichthum wäre, nämlich Festigkeit und Unwandelbarkeit, — was würden sie verschonen? wessen sich enthalten? welcher Wittwen, welcher Waisen? welcher Armen? Laßt uns also nicht dafür halten, daß der Reichthum ein großes Gut sei. Ein großes Gut ist nicht, Schätze besitzen, sondern Furcht Gottes und Frömmigkeit haben. Siehe, wenn jetzt Einer gerecht wäre und feste Zuversicht hätte zu Gott — und ob er unter allen Menschen der ärmste wäre, — es reichte hin, dem vorhandenen Mißgeschick ein Ende zu machen. Es reichte hin, daß er nur die Hände zum Himmel ausstreckte und Gott anriefe, und diese Wolke würde vorübergehen. So viel Gold liegt verwahrt und es nützt weniger als Koth zur Abwendung der Übel, die auf uns lasten. Nicht in dieser Fährlichkeit allein, sondern wenn uns Krankheit befällt oder der Tod oder etwas Anderes der Art, so zeigt sich die Macht der Schätze als Ohnmacht und kann uns an sich selber keine Linderung in den Unfällen bringen. Eines ist es, was der Reichthum vor der Armuth voraus zu haben scheint, nämlich Tag für Tag schwelgen und bei den Gelagen mit einer Fülle von Vergnügen sich mästen zu können. Jedoch das kann man auch an dem Tische der Armen sich ereignen, ja Letztere noch größeren Vergnügens genießen sehen, als alle Reichen zusammen. Und wundert euch nicht und haltet nicht für unglaublich, was ich da sage! Denn ich werde es durch die Darstellung der Sache selber klar machen. Denn ohne Zweifel wißt ihr und gesteht es alle selbst zu, daß bei den Gelagen das Vergnügen gewöhnlich nicht von der Beschaffenheit der Gerichte, sondern von der Stimmung der Gäste abhängt. Ich gebe ein Beispiel. Wenn Jemand mit Hunger zu Tisch geht, so wird ihm die Nahrung, und wäre sie die allerärmlichste, süßer schmecken als alle Zukost und Würze und zahllose Leckerbissen; wer aber das Bedürfniß nicht abwartet und bis zum Hunger ausharrt — was die Reichen thun — und dann erst zu Tische geht, der wird, ob er auch Kuchen darauf liegen fände, kein Vergnügen empfinden, weil seine Begierde nicht aufgeregt ist. Und damit du erkennest, daß die Sache sich auf diese Weise verhalte, so seid zunächst ihr alle deß Zeugen. Lasset uns aber auch die Schrift hören, welche eben Dasselbe sagt: „Denn eine gesättigte Seele,” heißt es,
67 „verspottet Honigwaben; aber einer hungrigen Seele dünkt auch das Bittere süß.” Und doch, was könnte es Süßeres geben als Waben und Honigseim ? Aber er erscheint dem nicht süß, den nicht hungert, heißt es. Was ist widriger als das Bittere? Allein es ist für Diejenigen süß, die in Hunger versetzt sind. Daß nun die Armen mit Noth und Hunger an die Sache gehen, die Reichen aber diesen nicht abwarten, ist männiglich bekannt. Darum werden letztere auch keines ächten und unverfälschten Vergnügens theilhaftig. Und nicht allein hinsichtlich der Speisen, sondern auch der Getränke kann man Dieß zutreffen sehen. Wie nämlich dort der Hunger statt der Beschaffenheit der Speisen das Vergnügen bewirkt, so pflegt auch hier der Durst das Getränk am süßesten zu machen, und ob es auch nur Wasser ist, was man trinkt. Gerade darauf deutet der Prophet hin, wenn er sagt: „Es sättigte sie Honig aus einem Felsen.”
68 Und doch lesen wir nirgends, daß Moses Honig aus einem Felsen hervorgelockt habe, sondern überall lesen wir von Strömen und Wassern und frischen Quellen. Wie verhält es sich denn mit diesem Ausspruch? Denn die Schrift lügt nimmer. Dieweil sie (die Israeliten) durstig und aufgerieben vor Mangel über das frische Wasser herfielen, so nennt die Schrift, indem sie die den Trunk begleitende Wollust bezeichnen will, das Wasser Honig, nicht als ob Dessen Natur in Honig verwandelt worden, sondern weil die Verfassung der Trinkenden Diesen jene Flüßigkeit süßer machte, denn Honig. Hast du gelernt, wie die Verfassung der Durstigen auch den Trank süß zu machen pflegt? Viele Arme haben nun, ermüdet und erschöpft und brennend vor Durst, oft mit der erwähnten Lust dergleichen Getränke genommen; die Reichen aber haben bei dem Genusse süßen Weines voll Blüthenduft und aller Tugend, die der Wein besitzen mag, das gleiche Vergnügen wohl nicht empfunden.
8.
Dasselbe kann man auch in Bezug auf den Schlaf beobachten; denn weder weiche Pfühle, noch ein mit Silber umrändertes Bett, noch die im Hause herrschende Stille, noch irgend etwas Anderes der Art hat jeden Schlaf sanft und süß gemacht, wie Dieses geschieht, wenn uns nach Arbeit und Mühe das dringende Bedürfniß schlaftrunken hinstreckt. Und auch Dieß bezeugt nicht nur die Erfahrungder Sache, sondern bezeugt vor aller Erfahrung auch die Aussage der Schrift. Denn eben das will der im Wohlleben aufgewachsene Salomon ausdrücken, wenn er spricht:, „Dem Knechte ist der Schlaf süß, er habe wenig oder viel gegessen.” 69 Warum setzt er hinzu: „Er habe wenig oder viel gegessen?” Dieß Beides — Hunger und Völlerei — pflegt Schlaflosigkeit zu erzeugen. Jener dörret den Leib 70 aus und verknöchert die Augenlider und hindert sie sich zu schließen; diese zwängt und preßt den Athem zusammen und bereitet vielerlei Schmerzen. Aber dennoch ist die wohlthätige Kraft der Arbeit so groß, daß, ob auch Beides vorhanden wäre, der Knecht dennoch schlafen kann. Denn nachdem sie den ganzen Tag aller Orten umhergelaufen sind, ihre Herren bedienend, — zerschlagen, zerplagt, ohne die geringste Erholung: so empfangen sie für diese ihre Leiden und ihre Mühen in der Wollust des Schlafes hinreichende Vergeltung. Und zwar ist Dieß ein Werk der Menschenfreundlichkeit Gottes, daß das Vergnügen nicht käuflich ist für Gold und Silber, sondern für Mühe und Drangsal und Noth und jedwede Weisheit. 71 Aber nicht also die Reichen; vielmehr bleiben sie auf ihren Pfühlen oft die ganze Nacht schlaflos und kommen, soviel Künste sie auch anwenden, dennoch nicht zum Genusse eines solchen Vergnügens. Der Arme aber hat, wenn er von seinem harten Tagewerk abläßt, ermüdete Glieder, und kaum daß er sich niederlegt, überkömmt er einen vollständigen, süßen und tiefen Schlaf und empfängt auch darin einen nicht kleinen Lohn für seine rechtschaffenen Mühen. —
Wenn also der Arme mit größerem Vergnügen sowohl schläft als trinkt als ißt: welcher Werth bleibt dann dem Reichthum noch übrig? Selbst der Vorzug, den er vor der Armuth zu haben schien, ist ihm entrissen. Darum hat auch Gott von Anbeginn die Arbeit dem Menschen beigesellt, nicht aus Rache und zur Strafe, vielmehr um ihn weise zu machen und zu erziehen. Als Adam ein müheloses Leben führte, wurde er des Paradieses verlustig; als hingegen der Apostel ein mühseliges und drangvolles führte und sagte: „Tag und Nacht ringe ich mit Jammer und Drangsal,” 72 enteilte er ins Paradies und stieg in den dritten Himmel empor. Darum laßt uns die Mühe nicht schlecht machen und die Werkthätigkeit nicht herabsetzen; denn noch vor dem himmlischen Reiche empfangen wir dafür schon hienieden die reichste Vergeltung, indem wir das Vergnügen als Frucht des Werkes genießen, und nicht das Vergnügen allein, sondern, was viel höher ist als das Vergnügen, auch die reinste Gesundheit. Denn über die Reichen brechen außer der Unlust auch viele Krankheiten herein; die Armen sind den ärztlichen Händen entnommen. Und wenn sie auch je in Schwachheit verfallen, so sind sie schnell von selbst wieder hergestellt, da sie frei sind von Weichlichkeit und starke Körper besitzen. —
Ein großes Gut ist die Armuth für die, welche sie mit Weisheit ertragen, 73 ein unverlierbarer Schatz, der kräftigste Stab, das ungekränkteste Besitzthum, eine unangefochtne Behausung. „Aber,” sagt man, „der Arme wird übervortheilt!” Allein dem Reichen wird viel heftiger nachgestellt. „Der Arme,” sagt man, „wird verachtet und verhöhnt!” Allein der Wohlhabende wird beneidet. Nicht so leicht wird der Arme niedergeworfen, als Dieß beim Reichen leichtlich der Fall ist, da er allenthalben wie dem Teufel, so den Widersachern zahllose Blößen darbietet und Aller Sklave ist durch den großen Umfang seiner Geschäfte. Wer auf den Dienst Vieler gestellt ist, der ist gezwungen, Vielen zu schmeicheln und mit knechtischer Unterthänigkeit aufzuwarten. Der Arme hingegen, wenn er Weisheit zu üben versteht, kann auch von dem Teufel selber nicht überwältiget werden. So war Job zwar vorher schon stark; als er aber Alles verlor, da ward er noch stärker und trug den glänzendsten Sieg über den Teufel davon. Übrigens kann der Arme auch nicht einmal
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