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Krankheiten irgendwann vielleicht vollständig heilbar waren.

      Ein Stipendium ermöglichte ihr das alles, was sie vorher nie zu glauben wagte. Zwar hatte ich ihr damals angeboten, alles zu bezahlen, wenn es nötig gewesen wäre, doch selbstverständlich lehnte sie ab und tat alles dafür, um in das Stipendienprogramm aufgenommen zu werden. Jetzt war sie seit etwas mehr als einem halben Jahr dabei und offenbar mächtig stolz darauf. Genauso wie ich.

      »Der Harvard-Schriftzug steht dir, Sommersprosse. Nur der Pullover dazu ist ein paar Nummern zu groß, fürchte ich.« Grinsend blieb ich direkt vor ihr stehen und zog die dämliche Sonnenbrille ab, nachdem ich mich unbemerkt und leise an sie herangeschlichen hatte.

      Annies Kopf schoss nach oben und ihre Augen weiteten sich vor Schock, als sie mich erkannte. »Jonah?«

      Ich lachte. »Wie er leibt und lebt.«

      »Was zum Teufel machst du hier?«, fragte sie fassungslos und musterte mich einen Moment, um sich zu vergewissern, dass ich tatsächlich gerade vor ihr stand.

      »Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, entgegnete ich schmunzelnd und schob mir vor lauter ungewohnter Nervosität die Hände in die Hosentaschen.

      Annie runzelte die Stirn und starrte mich einige Sekunden lang nur sprachlos an. Bis ihr scheinbar etwas bewusst wurde, weswegen sie schwer und tief seufzte. »Lass mich raten, Beth wird nicht kommen, hab ich Recht? Das hatte sie auch gar nicht vor.«

      Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern. »Tja, wenn du nie auf meine Anrufe und Nachrichten reagierst… Was hätte ich sonst tun sollen, deiner Meinung nach?«

      »Es irgendwann vielleicht einfach aufgeben?«, schoss sie augenblicklich schlagfertig zurück.

      »Niemals! Du kennst mich.« Erneut setzte ich mir das breite Grinsen auf und zwinkerte ihr zu. Statt mich über ihre Reaktion, mich nach über einem Jahr endlich wiederzusehen, aufzuregen, freute ich mich einfach nur bei ihr sein zu können. Denn erst jetzt merkte ich so richtig, wie sehr ich sie eigentlich vermisst hatte und wie unsagbar stark meine Sehnsucht und mein Verlangen nach ihr waren.

      Annie sah wahnsinnig gut aus. Selbst in diesem eher locker-chaotischen Collegelook. Ich wollte sie auf der Stelle küssen, wollte sie in meine Arme ziehen und nicht mehr loslassen. Doch das alles tat ich nicht. Ich wusste, ich musste aufpassen und vorsichtig mit dem sein, was ich nun tat oder sagte. Auf keinen Fall wollte ich sie für ein weiteres Jahr verlieren. Das sah Annie aber offenbar anders.

      »Wieso bist du hier, Jonah? Es hat einen Grund, warum ich mich nicht bei dir melde.«

      Mit angespanntem Kiefer biss ich die Zähne zusammen. »Der Grund ist mir langsam aber sicher egal, Annie. Es ist jetzt über ein Jahr her, du hattest genug Zeit und Abstand zu mir.«

      Meine Freundin kniff die Augen leicht zusammen. »Nur weil du das so empfindest, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch so sehe.«

      »Beth tut es aber. Und die Jungs ebenso. Meine Mutter erst recht«, knurrte ich ungeduldig, doch Annabelle runzelte abermals die Stirn.

      »Du… Was?!« Verwirrt starrte sie mich an. Vielleicht auch ein wenig entsetzt. Möglicherweise sogar verärgert. Ihr schien es nicht recht, dass ich mit meinen Freunden und auch mit meiner Mutter über sie und meine Gefühle zu ihr sprach. Selbst schuld! Sie war es, die sich nicht ein einziges Mal bei mir gemeldet hatte. Sie ließ mich zappeln und das sogar ganz bewusst. Jetzt musste sie eben die Konsequenzen daraus tragen.

      »Ist auch egal, ob du protestierst oder dich wehrst, ich werde dich jetzt einfach für ein paar Stunden entführen und danach werden wir sehen, ob du noch mehr Zeit und Abstand brauchst. Einverstanden?«, versuchte ich dennoch etwas einzulenken, damit sie sich mir gegenüber nicht wieder verschloss oder gar abhaute und mich hier stehen ließ wie einen Idioten.

      Annie atmete tief durch und sah dann unentschlossen an sich hinunter. »Ich bin davon ausgegangen Beth zu treffen. Wie du siehst, habe ich mich nicht großartig herausgeputzt, um ausgerechnet mit dir irgendwo hinzugehen, also…«

      »Für das, was ich vorhabe, reicht es allemal.« Grinsend sah ich sie erwartungsvoll an, bevor ich einfach nach ihrer Hand griff und sie hinter mir herzog.

      »Was?! Jonah! Stopp! Nein, ich kann doch nicht…« Unsicher sah sie sich nach allen Seiten um, während sie neben mir her stolperte. Dennoch ließ sie meine Hand nicht los, sondern folgte mir, statt sich von mir loszureißen.

      Erst als wir bereits kurz vor unserem Ziel waren, das Gott sei Dank nur wenige Gehminuten vom Campus entfernt lag, wunderte sie sich. »Wo zum Henker gehen wir hin? Du kennst dich doch in dieser Stadt gar nicht aus.«

      Schulterzuckend sah ich zu ihr rüber und lächelte zufrieden. »Muss ich auch nicht. Wir gehen einfach zurück zum Bus.«

      »Zum Bus? Was denn für ein Bus?«

      »Unser neuer, schicker Tourbus natürlich! Beth und Mark sind im Hotel, soweit ich weiß. Die brauchten mal eine Nacht für sich allein, schätze ich. Und die anderen sind unterwegs.« Ich versuchte wirklich mir das anzügliche Grinsen zu verkneifen. Es gelang mir nur leider nicht, als ich ihrem nervösen Blick begegnete.

      »Also werden wir dort ganz allein sein?«

      Schnell schleuste ich sie mit meinem VIP-Ausweis am Parkplatzwächter vorbei und deutete nickend zu unserem neuen Tourbus. »Und ob wir allein sein werden! Hast du etwa Angst davor, Schneewittchen?«

      Annie klappte unweigerlich der Mund auf, als sie vor dem riesigen, schwarzen Bus stand, auf dem eine silbergraue Aufschrift meinen Namen zeichnete. »Scheiße, ist das beeindruckend! Warum hattet ihr das Teil nicht schon, als ich noch mit auf Tour war? Das ist ja der helle Wahnsinn!«

      Ich lachte amüsiert. »Warte erst, bis du es von Innen siehst.«

      Mit einer speziellen Chipkarte, die den Bus entriegelte, öffnete ich die Tür und ließ Annabelle neugierig die wenigen Stufen hinauf gehen. Drinnen war es komfortabel und überraschend geräumig. Im Gang in der Mitte hatte man genug Platz, während sich an beiden Seiten mehrere bequeme Sitzecken aus feinstem Leder reihten. Dazu auf der linken Seite eine Art Küche, auf die Beth bestanden hatte und natürlich die ersten ebenso geräumigen Schlafkabinen.

      Annie staunte nicht schlecht, als ich ihr zeigte, wo die Jungs tagtäglich schliefen. Noch mehr staunte sie aber über die zwei winzigen Räume am hinteren Ende des Busses. Wir nannten sie: Die Suites. Weil sie einem kleinen Schlafzimmer gleichkamen. Beth und Mark bekamen die linke Suite, ich die rechte. Denn darin hatte ich selbst während der Fahrt zum nächsten Gig meine Ruhe und konnte sogar hin und wieder an einigen Songs schreiben, was für unsere Zukunft unabdingbar war.

      Als ich Annabelle bat sich zu setzen, nachdem wir wieder zurück im vorderen Teil des Busses waren und neben einer der Sitzecken standen, drehte sie sich zu mir um und sah mich eindringlich an. Ihr Blick spiegelte Unsicherheit und noch etwas anderes, das ich nicht zu deuten vermochte.

      »Was machen wir hier, Jonah? Ich meine, wieso bist du gekommen?« Statt sich zu setzen, kam sie mir etwas näher und betrachtete mein Gesicht mit solch einer Sorgfalt und Konzentration, dass ich unweigerlich schwer schlucken musste. War sie wütend, dass ich gekommen war? War sie erleichtert? In diesem Moment glaubte ich, es war beides zugleich.

      »Wir haben hier morgen einen Gig, das hab ich doch schon erzählt, oder etwa nicht?«

      »Du weißt genau, was ich meine«, bohrte Annie jedoch weiter und wirkte dabei mit jeder weiteren Sekunde, die wir so nah beieinander standen, immer ungeduldiger und nervöser.

      »Ich wollte dich sehen, Annabelle. Ich musste einfach!«, sagte ich mit heiser Stimme und spürte, wie mein Widerstand gegen das, was richtig wäre im Vergleich zu dem, was ich in diesem Moment wirklich wollte, immer stärker zu bröckeln begann. Dafür war sie mir einfach zu nah und ihre Lippen zu einladend, als dass ich mich noch länger zurückhalten könnte, wenn sie nicht endlich etwas Abstand zwischen uns brachte.

      Annie tat mir den Gefallen jedoch nicht. Stattdessen hörte ich

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