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heutzutage die Gefühle, ist alles, einschließlich des Menschen, nur noch reiner Konsum? Die Lebensdauer eines Hundes ist überschaubar, man kann während eines Lebens mehrere Tiere haben. Ich könnte nie so leben. Bei uns geht es um Jan und mich. Wir haben Åsa, aber ich bin froh, dass unsere Beziehung jetzt die zwischen erwachsenen Menschen ist, sie hat ihr Leben, und sie soll unseretwegen nie ein schlechtes Gewissen haben. Um Jan und mich geht es, wir werden das Alter miteinander teilen. Was immer auch passiert, außer dem Tod natürlich. Der Tod ist das Einzige, gegen das man nichts ausrichten kann, da hilft selbst die Sache mit dem Muskel nicht.

      Bei der morgendlichen Arbeitsbesprechung erfuhren wir, dass wir es an diesem Tag nicht schaffen würden, all die alten Leutchen zu baden, denn eine von uns musste bei Stig-Erik sitzen, ihm ging es inzwischen sehr schlecht. Eine Tochter war unterrichtet worden und saß schon im Zug von Stockholm.

      Maj-Lis und Elisabeth schauten mich an. Ich konnte solche Dinge am besten. Der Tod erschreckte mich nicht, ich hatte schon bei vielen bis zum Ende gewacht. Auch meine beiden Kolleginnen hatten keine Angst davor, aber meine Haltung war vielleicht eine andere, war besinnlicher, ich sah einen Wert darin, einen sterbenden Menschen bei seinen letzten schwankenden Schritten zu begleiten. Ich empfand es immer als feierlich, ja, fühlte mich sogar auserwählt.

      Ich wollte niemanden sterben sehen. Das Leben war es, was ich sehen wollte, das Leben bewunderte ich, das Leben dieser Menschen bis zum letzten Augenblick; und dass die Menschenwürde dort vielleicht wiederhergestellt wurde, in den allerletzten Minuten, wenn der Boden endlich trug und der Gedanke einschlug: Jetzt sterbe ich, und dass man das mit Fassung hinnahm, es akzeptierte. Ja, ich sterbe, lebt wohl. Und dann starben sie.

      Und die Stille hinterher, die Milde darin. Der Schlusston pflegte in den allermeisten Fällen ein guter zu sein, wenn ein Mensch, der zu Ende gelebt hatte, das Leben verließ.

      Man konnte es anderen nicht erklären. Warum ich nichts dagegen hatte, die Sonderwache bei einem Sterbenden zu übernehmen.

      Die Ärztin war gerade da gewesen. Stig-Erik lag am Tropf, vor allem um die Unannehmlichkeiten aufgrund der Austrocknung auszuschalten. Und er hatte auch einen Katheter, aber ich sah, dass darin nicht viel Urin war. Die Organe in seinem Körper schienen jetzt ungefähr gleichzeitig ihre Werkzeuge niederzulegen, er hatte ganz einfach zu Ende gelebt.

      Die großen schweren Hände lagen auf der Bettdecke. Seine Atemzüge waren langsam und tief. Er befand sich im Dämmerzustand. Die Hände waren kalt, aber sie durften dennoch auf der Decke liegen bleiben. Die Füße waren ebenfalls kalt. Ich nahm eine zusätzliche Decke aus dem Schrank und breitete sie über ihn. Ich wusste nicht, ob sterbende Patienten die Kälte spürten, wenn sie kam. Niemand war zurückgekehrt, um es zu erzählen. Ich sorgte für Stig-Erik einfach genauso, wie ich glaubte, dass ich an jenem Tag behandelt werden wollte.

      Aber vielleicht stirbt man ja auf einem Stück nassem Asphalt mit einem zerquetschten Auto über sich oder sinkt, im Gehirn eine geborstene große Ader, vor der Spüle zusammen, wo einen der eigene Mann findet, oder man wird an der Haustür erschlagen, aus Versehen, weil man verwechselt worden ist. Woher soll man das wissen. Stig-Erik konnte man gratulieren, er hatte sein Leben zu Ende leben dürfen. Ein Leben, das sich, nach allem zu urteilen, hauptsächlich um die Werft Eriksberg gedreht hatte. Seit er zu uns gekommen war, hatte er bedeutend mehr von Meistern und Nagelstiften geredet als von der eigenen Familie. Aber jetzt war er ausgepumpt und still, fast geheimnisvoll schwieg er zu den Bildern, die sich in seinem Gehirn abspielten, nichts drang nach außen. Er seufzte schwer. Lag völlig reglos. Einzelne graue Haare lugten über die Paspel der Pyjamajacke, sie vibrierten vom leichten Schlag des Pulses am Hals.

      Die Ärztin hatte ihr Stethoskop vergessen. Oder vielleicht hatte sie es mit Absicht dagelassen. Es lag auf dem Nachttisch, ringelte sich wie eine kleine Schlange um Wasserglas, Notizblock und Tablettenröhrchen.

      Die Tochter war unterwegs. Ich hoffte, dass sie es rechtzeitig schaffte. Ich sank auf den Stuhl an Stig-Eriks Kopfende und legte meine Hand auf die seine, damit er spürte, dass jemand da war. Ich konzentrierte mich ganz auf ihn.

      Die Zeit verging. Der Tropf tropfte. Nichts geschah im Katheterbeutel. Ich hörte, wie die Mädchen draußen auf dem Korridor mit Frühstücktabletts und Bettpfannen hin und her eilten. Das sanfte Licht der Nachttischlampe glättete die Runzeln des alten Mannes, sodass er jung und rosig wirkte. Friede herrschte im Zimmer. Friede und das Gefühl von Anwesenheit.

      Nach langen, inhaltsreichen Augenblicken, in denen nichts geschah, drehte Stig-Erik plötzlich den Kopf und sah mich an. Was für ein Glück, dass ich da war, dass er nicht allein war!

      Sein Blick war warm, er sagte Lebewohl.

      Danach drehte er den Kopf zurück und atmete drei Mal tief ein.

      Dann wurde es still.

      Er atmete nicht mehr.

      Ich stand auf und betrachtete sein Gesicht. Die Augen waren halb geöffhet, und der Blick war starr. Er sah nichts mehr. Ich nahm das Stethoskop, legte es mir um, atmete aus alter Gewohnheit auf die Membran, damit sie sich nicht kalt anfühlte, und steckte ihm das Hörrohr unter die Jacke.

      Es war lange still. Dann hörte ich – einen einzigen Herzschlag. Ein Nachschlagen.

      Darauf blieb es still in der Brust.

      Ich nahm das Stethoskop ab. Der Tod war eingetreten. Ich schaute auf die Uhr und schrieb den Zeitpunkt auf den Notizblock. Wir waren nicht mehr zwei im Zimmer. Ich war allein mit einem toten Menschenkörper. Das Herz schlug nicht mehr. Stig-Erik war nicht mehr da, und in dem Dasein, wo er sich befunden, gelebt und das Leben selbst beeinflusst hatte, wo er ein Teil von ihm gewesen war, gab es noch ein großes klaffendes Loch. Mit dem Tod veränderte sich alles, und seine Tochter hatte es nicht rechtzeitig geschafft, Abschied zu nehmen, bevor sie für ewig getrennt wurden.

      Sobald ich auftauchte, begriff Elisabeth, was geschehen war. Still und behutsam ging sie zu dem Toten hinein. Sie betrachtete ihn eine Weile und nickte ihm dann ein letztes Lebewohl zu. Wir schwiegen einvernehmlich und begannen seine Gesichtszüge zu richten, es genügte, ihm die Augen zuzudrücken, den Mund konnten wir hingegen nicht völlig schließen, wir legten ihm ein Buch unters Kinn. Die Bibel, sie hatte den richtigen Umfang.

      Dann ging die Tür auf, und Monika schaute herein. Ach so, er ist gestorben? Er sieht gut aus. Du hast einen dringenden Anruf im Büro, Siv.

      Ich war erstaunt. Und beunruhigt – Jan?

      Die Tür zu Stig-Eriks Zimmer stand halb offen, und durch die großen Glasfenster des Büros konnte ich noch immer das Fußende seines Bettes sehen, bemerkte die Ausbuchtung der Decke, dort, wo seine Füße lagen. Die sich nie mehr bewegen würden, ein Standbild. Nachdem das Herz aufgehört hatte zu schlagen.

      Ich nahm den Hörer auf, und mein eigenes Herz, das in dem wehmütigen Schlussklang dort drinnen hätte verweilen sollen, klopfte mir jetzt bis zum Hals, lieber Gott, lass Jan nichts passiert sein. Oder Åsa. Aber ich dachte an Jan und dass er sich ins Scheinwerferlicht, in die Schusslinie gestellt hatte.

      Es war mein Cousin Karl-Erik, er rief aus Malmö an. Karl-Erik?

      Er dachte, er meldet sich am besten sofort bei mir. Wo man sich doch so nahe steht.

      Tun wir das?

      Ja, Mama hat in dir fast eine eigene Tochter gesehen. Sie ist tot.

      Er schluchzte auf. Mein Gehirn kam nicht mit. Es entstand eine Pause. Ja, aber ... wir sprachen doch erst ...? Das ist nicht wahr?

      Doch, es war wahr. Seine Mutter, meine geliebte Tante Ingeborg war tot. Nicht mehr da. Ich würde sie nie mehr wieder treffen.

      Das Gespräch war völlig verworren, wir redeten ständig aneinander vorbei. Durch die Scheiben sah ich noch immer Stig-Eriks tote Fußpartie und wie Maj-Lis und Elisabeth sich in seinem Zimmer zu schaffen machten. Sie bewegten sich verhalten, würdig in der Nähe des Todes, ich begriff, dass sie das Bett bezogen, ihn ein wenig wuschen und Kerzen anzündeten. Die Tochter würde bald hier sein.

      Der neue Nachbar neben Ingeborg, Niels, war mit einer Baggerschaufel Sand vorbeigekommen, weil es auf dem letzten Hangstück

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