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bereitete sich auf die gleiche Weise vor wie ein heutiger Schauspieler des Dramatischen Theaters, verbarg sich hinter einer frisch ausgeschlagenen Eberesche und studierte ihre Rolle ein.

      Dann kam sie hervor und ging mit resoluten Schritten direkt zu jener Tür. Sie hatte sich in Ordnung gebracht, Gesicht und Hände waren sauber, kein einziges Haar sah unter dem Kopftuch vor.

      Als die Frau des Hauses öffnete, knickste Eli brav, aber nicht untertänig, sie lächelte, sah der Frau in die Augen, sagte ihren Namen und woher sie kam.

      Das mit den Haaren lässt sich heute nur schwer verstehen. Manche Einwanderergruppen stehen am Pranger, weil wir eine solche Unterdrückung der Frau nicht tolerieren können.

      Aber mein Vater, der 1989 gestorben ist, hat von seiner Großmutter, also der Mutter meines Großvaters, hier aus dem Nachbardorf erzählt. Sie trug immer ein breites weißes Band unterm Kopftuch. Dieses Band verhinderte, dass ihr Haar sichtbar wurde. Niemand hat je Ulv Kerstis Haar gesehen, außer Stor Tros Ola natürlich, ihrem Gatten. Doch das hieß nicht, dass er so viel mehr von ihrer Schönheit erblickt hatte, trotz der sechs Kinder, deren Ursprung die beiden erwiesenermaßen waren. Einmal, als meine Urgroßmutter als alte Frau in ein Moorloch geraten war und Großmutter sie hinterher hatte entkleiden müssen, sagte sie, so viel habe sonst keiner zu Gesicht bekommen: Man stelle sich vor, du hast ja sogar Muschi und Hintern gesehen.

      Eli also, die einen guten Eindruck machen, die eine Chance haben wollte, ins Haus zu kommen, um sich zu empfehlen, hatte ihren Finger mit Speichel befeuchtet und auch die kleinste Strähne des reichen Haarschwalls unter das Tuch gesteckt und sah richtig adrett aus.

      Sie durfte eintreten, und nach einigem Sträuben nahm sie am Herd Platz. Ein Mensch, ein Fremder, war fast immer willkommen, und niemand konnte es obendrein tadeln, wenn man ein normales Mädchen für ein Stündchen beherbergte. Das brachte Abwechslung, und man wollte Neues aus der großen weiten Welt erfahren – jede Art von Klatsch und Tratsch wurde in der Zeit vor den Nachrichtensendungen, vor den Zeitungen und dem Internet begehrlich konsumiert.

      Sie war trotz allem erst elfeinhalb Jahre alt, auch wenn sich ihr Körper mühte, etwas anderes zu behaupten. Als sie dann ihr Anliegen vorbrachte und sofort auf ihre beruflichen Erfahrungen zu sprechen kam, wirkte es irgendwie rührend, dass dieses zarte Mädchen, das ganz allein eine Stellung suchte, sich als nahezu fertig ausgebildet bezeichnete, wenn es um die Zucht und Pflege von Ziegen, die Zubereitung von Ziegenkäse, das Trocknen von Ziegenfleisch und die Bearbeitung der Häute ging, ja sogar Klauen und Hörner ließen sich verwerten, und Eli wusste, wie man das machte.

      Natürlich hatte sie zuvor festgestellt, dass es auf dem Hof Ziegen gab und dazu ein Pferd. Und das fand Eli wunderbar, selbst wenn das Gehöft ansonsten einfach war. Der neu erbaute Hof gleich nebenan, der den Namen Wasserfall trug, sollte später einmal das Zuhause ihrer Tochter Karen werden, aber, wie gesagt, Eli wusste nicht einmal, ob sie selbst bis ins Erwachsenenalter leben würde. Manchmal ist es eine große Gnade, vielleicht die größte, nicht zu wissen, was die Zukunft bringt. Manchmal ist es bedauerlich, dass man die Toten nicht damit trösten kann, dass alles wahrhaftig besser geworden ist, als sie zu hoffen gewagt hatten.

      Man muss sich wohl vorstellen, dass die Leute es sich leisten konnten, Eli aufzunehmen, selbst wenn sie nicht mehr als das Essen bekam. Aber was vielleicht den Ausschlag bei der Sache gab, war ihre Geschichte, dass sie Schlimmes heilen könne, indem sie einer Kröte das Blut aussauge.

      Das war selbst zur damaligen Zeit äußerst mitleiderregend.

      Ein paar starke Jungmädchenarme mit tüchtigen Schwielen an den Händen waren auch nicht zu verachten. Der Sommer stand vor der Tür, und die Ziegen mussten nach Ørmo, zur Sennhütte hoch. Dieses Mädel hier schien aus zähem Holz, konnte man sie vielleicht allein dort lassen? Da wären ja die Ziegen, um die sie sich kümmern müsste, und die Käserei, ja, es gäbe eine Menge zu tun. Sie hätte Ebereschenblätter für den Winter zu pflücken, auch sonst alles Mögliche zu sammeln, was man brauchen konnte, und wenigstens ein Dutzend Handarbeiten der einen oder anderen Sorte anzufertigen – übrigens in Nadelbindung –, da bliebe wohl keine Zeit, um traurig zu sein oder Sehnsucht zu verspüren.

      Wieder unentbehrlich, liebe Eli. Doch obwohl die Leute auf diesem Hof nicht vermögend waren, waren sie doch vernünftig und verlässlich. Sie behandelten das Mädchen gut.

      Sie blieb dort mehrere Jahre.

      Das Mädchen wurde zur Frau. Als das schlimmste Notjahr anbrach, war sie siebzehn, sie stand in ihrer Blüte, obgleich nichts anderes zum Blühen kam. Wollte es denn nie Sommer werden? Das Futter für die Ziegen – wirklich zähe Tiere – hatte nicht ausgereicht, und die Familie musste schon im April eine von ihnen schlachten.

      Es wurde nicht viel gesagt, nein, darüber konnte man kaum Worte verlieren, es war nun mal, wie es war. Eine gewisse Kraftlosigkeit hatte die Leute apathisch gemacht.

      Sie zog später als je zuvor zur Alm hoch, die Tiere waren sehr mager und schwach, und der eigene Proviant ließ sich leicht tragen, viel zu leicht. Mit knapper Not hatte das Eis den Fluss aus seinem Griff entlassen, die Vegetation war weit zurück, und im Wald war es still, da die Vögel erfroren oder nicht wie sonst zurückgekehrt waren.

      Die Sorge, die sie verspürte, können wir uns heute nicht vorstellen. Wenn ihre Bauersleute selbst kein Essen hatten, wie sollten sie dann auch noch sie ernähren? Sie hatten vom Saatgut gegessen und den Rest ungewöhnlich spät in die Erde gebracht. Die Saat war von schlechterer Qualität als üblich, aufgrund des anhaltenden Regens im vergangenen Jahr. Alles sah äußerst schlecht aus.

      Noch wusste sie nicht, dass sich der Frost schon im August zurückmelden sollte. Kartoffeln und Getreide waren mit Ach und Krach in die Erde gekommen und begannen zu sprießen, als die ersten Frostnächte hereinbrachen. Die Blumen, an die man sich aus diesem Sommer am besten erinnerte, waren die Eisblumen an den Fensterscheiben. Seit Mensehengedenken hatte niemand Ähnliches erlebt.

      Doch noch ist Sommer, ein sogenannter Sommer, und Eli weilt auf der Alm, ungemein einsam und ungemein hungrig. Sie denkt vor allem an Essen und hat das Wenige, was sie besitzt, weit weggepackt. Vor sich selbst weggepackt. Es muss lange reichen, muss eingeteilt werden. Sie darf nur einmal am Tag Grütze kochen, sonst verhungert sie, auf Hilfe kann sie nicht zählen, das weiß sie.

      Und doch, es war gerade dieser Sommer, in dem sie ihre erste wahre Liebe erlebte! Es gibt sogar einen Namen, er hieß Martin Vold.

      Seine Augen waren ihr gefolgt. Er war der Sohn eines Nachbarhofs, auch dieser ein einfacher Ziegenhof, aber Martin war schließlich dessen Erbe.

      Die Eltern waren bereits mit Leuten übereingekommen, die sich in derselben Lage befanden, es stand fest, wer ihre Schwiegertochter wird. Martin wusste davon und begriff, dass es eine gute Partie war.

      Dennoch aber heiratete er nie, auch das ist erwiesen, meine Großmutter begegnete ihm einmal, als er schon alt war, und da hat er es ihr erzählt.

      Dass er nie geheiratet hat, hoffe und glaube ich, lag an diesem Sommer mit Eli. Warum aber hat er ihr dann nicht geholfen? War dennoch nicht genug Liebe vorhanden?

      Wenn es nur das gewesen wäre. Für einen heutigen Menschen ist so etwas kein Problem, man nimmt, was man haben will, und folgt dem Gesetz des Herzens. Auch dann, wenn man Kinder hat, gibt es keine materiellen Hindernisse. Echten Hunger, von welcher Art auch immer, hat man nie erlebt.

      Alles griff tiefer. War blutiger. Oft ging es ums nackte Leben, die Liebe kam zuallerletzt, sie war nicht von Belang.

      Seine Augen waren ihr gefolgt.

      Verstohlen hatte sie zurückgeschaut, doch miteinander geredet hatten sie fast nie. Der Bauernsohn und die arme Dienstmagd, wenn das jemand gesehen hätte, was hatten die beiden zu bereden? Nein, nur ab und zu ein paar Blicke, und Eli kannte ganz sicher ihren Platz, sie wagte nichts zu erhoffen.

      Als sie aber auf die Alm gezogen war und er sie nicht mehr zu Gesicht bekam, wurde er ganz trübsinnig, die Farben verblassten, es gab nichts mehr, was ihm besonders wichtig war. Verblüfft verstand er, wie sehr ihm die tägliche Hoffnung fehlte, Eli auch nur flüchtig zu erblicken, selbst wenn es nur aus der Ferne

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