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gan­zen Schmerz ei­ner Frau ver­rät:

      »Ich habe … ich habe nichts zu sa­gen,« stam­mel­te sie, »… ich kann nichts tun … du … hast recht ge­han­delt … du … du hast gut ge­wählt … was du brauchst …«

      Sie mach­te sich mit ei­ner schnel­len Be­we­gung nach rück­wärts von ihm los und ging fort, ohne dass er noch ver­sucht hät­te, sie zu­rück­zu­hal­ten.

      Als er al­lein war, stand er auf, be­täubt, als hät­te er einen Schlag auf den Kopf er­hal­ten. Dann nahm er sich zu­sam­men und mur­mel­te:

      »Na, so oder so, es ist er­le­digt … we­nigs­tens ohne Sze­ne. Das ist mir ganz recht.«

      Und plötz­lich fühl­te er sich wie von ei­ner schwe­ren Last be­freit; das neue Le­ben konn­te be­gin­nen. Auf ein­mal be­gann er mit der Faust ge­gen die Wand zu schla­gen, mit hef­ti­gen Schlä­gen, be­rauscht von Kraft und Er­folg, als kämp­fe er mit dem Schick­sal.

      Als Ma­da­me Fo­res­tier ihn frag­te:

      »Ha­ben Sie Ma­da­me de Ma­rel­le be­nach­rich­tigt?« — ant­wor­te­te er ru­hig:

      »Ja, ge­wiss.«

      Sie be­ob­ach­te­te ihn mit ih­rem kla­ren, klu­gen Blick und frag­te:

      »War sie sehr er­regt dar­über?«

      »Aber nein, nicht die Spur; sie fand es im Ge­gen­teil sehr gut.«

      Die Kun­de ver­brei­te­te sich rasch. Die einen wa­ren er­staunt, die an­de­ren be­haup­te­ten, sie hät­ten es vor­aus­ge­se­hen, an­de­re lä­chel­ten und lie­ßen durch­bli­cken, es hät­te sie kei­nes­wegs über­rascht.

      Der jun­ge Mann zeich­ne­te jetzt die Feuil­le­tons mit D. de Can­tel, die Lo­kal­be­rich­te mit Du­roy und die po­li­ti­schen Ar­ti­kel, die er von Zeit zu Zeit für das Blatt schrieb, mit du Roy. Er ver­brach­te den hal­b­en Tag bei sei­ner Ver­lob­ten, die ihn mit brü­der­li­cher Ver­traut­heit be­han­del­te, in die sich je­doch eine wirk­li­che, wenn auch zu­rück­hal­ten­de Ver­trau­lich­keit misch­te, eine Art Ver­lan­gen, das ver­bor­gen blieb, aus Furcht, für eine Schwä­che ge­hal­ten zu wer­den.

      Sie hat­ten be­schlos­sen, dass die Hoch­zeit in al­ler Stil­le statt­fin­den soll­te, nur in Ge­gen­wart der Trau­zeu­gen, und dass sie noch am sel­ben Abend nach Rou­en ab­rei­sen woll­ten. Am nächs­ten Tage woll­ten sie die al­ten El­tern des Jour­na­lis­ten be­su­chen und ein paar Tage bei ih­nen blei­ben.

      Du­roy ver­such­te, sie von die­sem Vor­ha­ben ab­zu­brin­gen, aber es ge­lang ihm nicht, und so füg­te er sich schließ­lich.

      Der 10. Mai war ge­kom­men. Das jun­ge Paar be­gab sich zum Stan­des­amt, und da sie die kirch­li­che Trau­ung für über­flüs­sig hiel­ten und kei­nen Men­schen ein­ge­la­den hat­ten, kehr­ten sie nach Hau­se zu­rück, um ihre Kof­fer zu schlie­ßen. Mit dem Zuge um sechs Uhr abends fuh­ren sie vom Bahn­hof Saint-La­za­re nach der Nor­man­die.

      Bis zu dem Au­gen­blick, wo sie al­lein im Ei­sen­bahn­zu­ge wa­ren, hat­ten sie kei­ne zwan­zig Wor­te mit­ein­an­der ge­wech­selt. So­bald sie merk­ten, dass der Zug sich in Be­we­gung setz­te, sa­hen sie sich an und be­gan­nen zu lä­cheln, um eine ge­wis­se Ver­le­gen­heit zu ver­ber­gen, von der sie nichts mer­ken las­sen woll­ten.

      Der Zug fuhr lang­sam durch den lan­gen Bahn­hof von Ba­ti­gnol­les, dann durch­eil­te er die häss­li­che, fla­che Stre­cke zwi­schen den Forts und der Sei­ne.

      Du­roy und sei­ne Frau spra­chen zu­wei­len ein paar un­nüt­ze Wor­te und wand­ten sich dann wie­der dem Fens­ter zu; als sie über die Brücke bei As­nières ka­men, stimm­te sie der An­blick des Flus­ses, der von Boo­ten, Ang­lern und Ru­de­rern wim­mel­te, hei­ter und fröh­lich. Die kräf­ti­ge Mai­son­ne warf ihre schrä­gen Abend­strah­len auf die Boo­te und den ru­hi­gen Fluss, der un­ter der Glut der sin­ken­den Son­ne un­be­weg­lich wie eine Glas­flä­che er­schi­en. Eine Se­gel­jacht mit­ten auf dem Was­ser­spie­gel hat­te ihre zwei großen, wei­ßen Lei­ne­wand­drei­e­cke aus­ge­spannt, um auch den lei­ses­ten Wind­hauch auf­zu­fan­gen, und glich so ei­nem rie­si­gen Vo­gel, der ge­ra­de im Be­griff war, auf­zu­flat­tern.

      »Ich schwär­me für die Um­ge­bung von Pa­ris«, mur­mel­te Du­roy. »So herr­lich ge­rös­te­te Fi­sche wie hier habe ich in mei­nem Le­ben nie ge­ges­sen.«

      »Und das Boot­fah­ren«, er­wi­der­te sie. »Wie schön ist es, bei Son­nen­un­ter­gang über das Was­ser zu glei­ten.«

      Dann schwie­gen sie, als ob sie nicht ge­wagt hät­ten, noch mehr von ih­rem ver­gan­ge­nen Le­ben aus­zu­plau­dern; sie blie­ben stumm und kos­te­ten viel­leicht schon die Poe­sie des Zu­rück­seh­nens.

      Du­roy saß sei­ner Frau ge­gen­über. Er er­griff ihre Hand und küss­te sie lang­sam und be­däch­tig.

      »Wenn wir zu­rück sind, wol­len wir öf­ters bei Cha­tou es­sen.«

      »Wir wer­den so viel zu tun ha­ben,« mein­te sie in ei­nem Ton, als woll­te sie sa­gen: »Man muss das An­ge­neh­me dem Nütz­li­chen op­fern.«

      Er hielt noch im­mer ihre Hand und über­leg­te un­ru­hig, auf wel­chem Wege er zu Zärt­lich­kei­ten über­ge­hen konn­te. Vor der Un­wis­sen­heit ei­nes jun­gen Mäd­chens wäre er da­bei we­ni­ger in Ver­le­gen­heit ge­we­sen, aber die raf­fi­nier­te Er­fah­rung und der schnel­le Ver­stand, den er bei Ma­de­lei­ne vor­aus­setz­te, mach­te sei­ne Hal­tung schüch­tern und un­si­cher. Er fürch­te­te, in ih­ren Au­gen lin­kisch und al­bern zu er­schei­nen, zu ängst­lich oder zu bru­tal, zu lang­sam oder zu has­tig vor­zu­ge­hen. Er drück­te lei­se ihre Hand, ohne dass sie den Druck er­wi­der­te.

      »Es kommt mir sehr ko­misch vor,« sag­te er, »dass Sie mei­ne Frau sind.«

      »Wa­rum?« frag­te sie über­rascht.

      »Ich weiß nicht. Ich habe ein selt­sa­mes Ge­fühl; ich möch­te Sie küs­sen und wun­de­re mich, dass ich ein Recht dazu habe.«

      Sie hielt ihm ru­hig die Wan­ge hin, und er küss­te sie, wie er eine Schwes­ter ge­küsst hät­te.

      Er führ fort:

      »Das ers­te Mal, wo ich Sie sah, er­in­nern Sie sich, es war bei dem Di­ner, zu wel­chem mich Fo­res­tier ein­ge­la­den hat­te, da dach­te ich mir: ›Herr­gott, wenn ich nur so eine Frau fin­den könn­te!‹ Nun ist es ge­sche­hen, ich habe sie.«

      »Es ist rei­zend«, mur­mel­te sie und sah ihn da­bei mit ih­ren stets lä­cheln­den Au­gen an.

      Er dach­te: »Ich bin zu kalt. Ich bin blöd, ich muss ener­gi­scher aufs Ziel ge­hen.« Und er frag­te:

      »Wie ha­ben Sie Fo­res­tier ei­gent­lich ken­nen­ge­lernt?«

      Sie ant­wor­te­te her­aus­for­dernd und bos­haft:

      »Rei­sen wir denn nach Rou­en, um uns von ihm zu un­ter­hal­ten?«

      Er wur­de rot.

      »Ich bin zu dumm. Aber Sie ma­chen mich ver­le­gen und schüch­tern.«

      Sie war ent­zückt:

      »Ich? Nicht mög­lich! Aber wes­halb denn?«

      Er setz­te sich ganz dicht ne­ben sie. Da rief sie:

      »Ach, ein Hirsch!«

      Der

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