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Wei­se an der Lei­che zu wa­chen, und ver­such­ten, nicht ein­zu­schla­fen. Aber ge­gen Mit­ter­nacht schlief Du­roy doch ein. Als er auf­wach­te, sah er, dass Ma­da­me Fo­res­tier gleich­falls schlum­mer­te. Er setz­te sich dann mög­lichst be­quem zu­recht, schloss die Au­gen wie­der und brumm­te:

      »O Gott, im Bett ist es doch be­que­mer.«

      Ein plötz­li­ches Geräusch ließ ihn auf­fah­ren. Die Wär­te­rin trat ein; es war hel­ler Tag. Die jun­ge Frau, die in ih­rem Lehn­stuhl ge­gen­über saß, schi­en ge­nau so über­rascht zu sein wie er. Sie war et­was bleich, aber noch im­mer frisch, hübsch und rei­zend, trotz der sit­zend ver­brach­ten Nacht.

      Du­roy warf einen Blick auf den To­ten und rief jetzt zit­ternd:

      »Oh! Sein Bart!«

      Der Bart war al­ler­dings in sei­nem ent­stell­ten Ge­sicht in we­ni­gen Stun­den umso viel ge­wach­sen, wie sonst nicht an meh­re­ren Ta­gen. Starr und ver­blüfft stan­den sie an­ge­sichts die­ses Le­bens nach dem Tode, wie vor ei­nem grau­en­haf­ten Wun­der, als dro­he ih­nen hier eine über­na­tür­li­che Macht mit der Au­fer­ste­hung vom Tode, ei­ner na­tur­wid­ri­gen und ent­setz­li­chen Er­schei­nung, die den Ver­stand ver­wirrt und un­be­greif­lich bleibt. Sie gin­gen alle bei­de bis elf zur Ruhe. Dann wur­de Charles in den Sarg ge­legt und so­fort fühl­ten sie sich er­leich­tert und be­ru­higt.

      Wäh­rend sie sich beim Früh­stück ge­gen­über­sa­ßen, hat­ten sie bei­de Lust, von trös­ten­den, fro­he­ren Din­gen zu re­den und ins Le­ben zu­rück­zu­keh­ren, denn den To­des­fall hat­ten sie nun hin­ter sich.

      Durch die weit­ge­öff­ne­ten Fens­ter drang die mil­de, war­me Früh­lings­luft her­ein und trug den Duft der Nel­ken mit sich, die vor der Tür blüh­ten.

      Ma­da­me Fo­res­tier schlug Du­roy einen klei­nen Spa­zier­gang durch den Gar­ten vor, und sie wan­der­ten lang­sam um die klei­nen Ra­sen­plät­ze her­um und at­me­ten ent­zückt die mil­de Luft ein, die nach Tan­nen­bäu­men und Eu­ka­lyp­tus duf­te­te.

      Plötz­lich sprach sie, ohne ihn an­zu­se­hen, ge­nau so wie er es in der Nacht ge­tan hat­te. Sie brach­te die Wor­te lang­sam mit ernst­haf­ter, tiefer Stim­me her­aus:

      »Hö­ren Sie mich an, lie­ber Freund. Ich habe es mir reif­lich über­legt … jetzt schon … was Sie mir vor­ge­schla­gen ha­ben, und ich will Sie nicht ab­rei­sen las­sen, ohne Ih­nen we­nigs­tens ein Wort der Er­wi­de­rung mit auf den Weg zu ge­ben. Ich sage Ih­nen üb­ri­gens we­der ja noch nein. Wir wer­den war­ten und se­hen; wir wer­den uns bes­ser ken­nen­ler­nen. Den­ken Sie über al­les rich­tig nach. Las­sen Sie sich nicht zu rasch hin­rei­ßen. Wenn ich jetzt schon über die­se Din­ge spre­che, be­vor der arme Charles noch be­gra­ben ist, so tue ich es, weil ich will, dass Sie sich über mich im Kla­ren sind, da­mit Sie sich nicht län­ger sol­chen Ge­dan­ken hin­ge­ben, wenn Sie nicht so … ge­ar­tet sind, dass Sie mich ver­ste­hen und mich so neh­men, wie ich bin. — Ver­ste­hen Sie mich wohl? Für mich ist die Ehe kei­ne Ket­te — son­dern ein Bünd­nis. Ich be­an­spru­che stets vol­le Frei­heit in mei­nen Hand­lun­gen, mei­nen Un­ter­neh­mun­gen, mei­nem Ein- und Aus­ge­hen, in al­lem. Ich ver­tra­ge we­der Kon­trol­le, noch Ei­fer­sucht, noch Aus­ein­an­der­set­zun­gen über mein Be­neh­men. Na­tür­lich wür­de ich mich ver­pflich­ten, den Na­men des Man­nes, den ich hei­ra­te, nie­mals bloß­zu­stel­len, ihn we­der ver­ächt­lich noch lä­cher­lich zu ma­chen. Da­für müss­te sich der Mann ver­pflich­ten, mich als sei­ne eben­bür­ti­ge Bun­des­ge­nos­sin zu be­han­deln, nicht aber als eine Un­ter­ge­be­ne und ge­hor­sa­me Gat­tin. Ich weiß, mei­ne An­sich­ten sind nicht die all­ge­mein gül­ti­gen, aber ich än­dere sie trotz­dem nicht. So. — Ich füge noch hin­zu: Ant­wor­ten Sie mir heu­te nicht, es wäre über­flüs­sig und un­pas­send. Wir wer­den uns wie­der­se­hen und wer­den uns spä­ter mal dar­über un­ter­hal­ten. — Nun ma­chen Sie noch einen Spa­zier­gang, ich muss zu ihm zu­rück. Auf Wie­der­se­hen heu­te Abend.«

      Er küss­te ihr lan­ge die Hand und ging, ohne ein Wort zu sa­gen.

      Abends tra­fen sie sich nur zur Mahl­zeit. Dann gin­gen sie auf ihre Zim­mer, denn sie wa­ren bei­de ganz zer­schla­gen vor Mü­dig­keit.

      Charles Fo­res­tier wur­de am nächs­ten Mor­gen ohne je­den Prunk auf dem Fried­hof von Can­nes be­er­digt. Ge­or­ges Du­roy woll­te den Schnell­zug nach Pa­ris neh­men, der um halb zwei ab­fuhr. Ma­da­me Fo­res­tier hat­te ihn zur Bahn be­glei­tet. In Er­war­tung des Zu­ges gin­gen sie ru­hig auf dem Bahn­steig auf und ab und un­ter­hiel­ten sich von gleich­gül­ti­gen Din­gen.

      Der Zug lief ein. Er war ganz kurz; ein rich­ti­ger Schnell­zug, der nur fünf Wa­gen hat­te.

      Der Jour­na­list be­leg­te einen Platz und stieg dann noch ein­mal aus, um noch ein paar Au­gen­bli­cke mit ihr zu plau­dern. Er wur­de plötz­lich trau­rig; er be­dau­er­te schmerz­lich, sie ver­las­sen zu müs­sen, als ob er sie für im­mer ver­lie­ren könn­te.

      Der Be­am­te rief: »Mar­seil­le, Lyon, Pa­ris ein­stei­gen.«

      Du­roy stieg ins Ku­pee und lehn­te sich zur Tür hin­aus, um ihr noch ein paar Wor­te sa­gen zu kön­nen. Die Lo­ko­mo­ti­ve pfiff und der Zug setz­te sich lang­sam in Be­we­gung.

      Der jun­ge Mann lehn­te sich zum Wa­gen­fens­ter hin­aus und sah die jun­ge Frau, die un­be­weg­lich auf dem Bahn­steig stand und ihm nach­blick­te. Und plötz­lich, als er sie fast aus sei­nen Au­gen ver­lo­ren hat­te, warf er ihr mit bei­den Hän­den eine Kuss­hand zu.

      Sie gab ihm den Gruß zu­rück, zau­dernd und nur an­ge­deu­tet.

Teil 2

      I

      Ge­or­ges Du­roy hat­te sich wie­der ganz in sei­ne al­ten Ge­wohn­hei­ten ein­ge­lebt.

      In sei­ner klei­nen Par­terre­woh­nung in der Rue Con­stan­ti­no­ple leb­te er still und zu­rück­ge­zo­gen, wie ein Mann, der sich auf eine neue Le­bens­füh­rung vor­be­rei­tet. Selbst sei­ne Be­zie­hun­gen zu Ma­da­me de Ma­rel­le hat­ten jetzt einen ehe­li­chen Cha­rak­ter an­ge­nom­men, als ob er sich für das be­vor­ste­hen­de Er­eig­nis ein­üben woll­te. Sei­ne Ge­lieb­te war auch oft sehr er­staunt über die fried­li­che Re­gel­mä­ßig­keit ih­res Zu­sam­men­seins und sag­te ihm la­chend:

      »Du bist noch bra­ver und häus­li­cher als mein Mann. Es hat sich wirk­lich nicht ge­lohnt, zu wech­seln.«

      Frau Fo­res­tier weil­te noch im­mer in Can­nes. Er er­hielt einen Brief von ihr, worin sie schrieb, dass sie erst Mit­te April zu­rück­käme; von den letz­ten Stun­den ih­res Bei­sam­men­seins schrieb sie nichts. Er war­te­te; er war jetzt fest ent­schlos­sen, sie zu hei­ra­ten und alle Mit­tel an­zu­wen­den, falls sie noch zau­dern soll­te. Er ver­trau­te auf sein Glück und auf die un­wi­der­steh­li­che An­zie­hungs­kraft, die er auf alle Frau­en aus­üb­te, und de­ren er sich wohl be­wusst war.

      Ein paar kur­ze Zei­len be­nach­rich­tig­ten ihn, dass die Ent­schei­dungs­stun­de bald schla­gen wür­de.

      »Ich bin in Pa­ris, kom­men Sie, mich be­su­chen.

       Ma­de­lei­ne Fo­res­tier.«

      Nichts wei­ter. Er er­hielt den Brief mit der Neun­uhr­post und kam am sel­ben Tage um drei zu ihr. Sie reich­te ihm bei­de Hän­de und lä­chel­te mit ih­rem rei­zen­den, lie­bens­wür­di­gen

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