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Fo­res­tier zuck­te leicht mit den Ach­seln und er­hob die Au­gen­brau­en mit ei­ner ein­zi­gen, viel­sa­gen­den Be­we­gung.

      »Oh! Er ist In­spek­tor der Nord­bahn. Er ver­bringt im Mo­nat acht Tage in Pa­ris, das, was sei­ne Frau die Ar­beits­wo­che oder auch die hei­li­ge Wo­che nennt. Wenn Sie sie bes­ser kenn­ten, wür­den Sie se­hen, wie klug und nett sie ist. Ma­chen Sie ihr doch nächs­tens mal einen Be­such.«

      Du­roy dach­te über­haupt nicht mehr ans Fort­ge­hen. Ihm war zu­mu­te, als müss­te er im­mer hier­blei­ben, als wäre er hier zu Hau­se.

      Da ging die Tür ge­räusch­los auf und ein großer Herr trat un­an­ge­mel­det ein. Er stutz­te, als er den Mann sah. Ma­da­me Fo­res­tier schi­en einen Au­gen­blick ver­le­gen zu sein; dann sag­te sie mit na­tür­li­cher Stim­me, trotz­dem eine leich­te Röte von ih­ren Schul­tern zum Ge­sicht em­por­stieg:

      »Kom­men Sie doch nä­her, mein Lie­ber. Ich will Ih­nen einen gu­ten Freund von Charles vor­stel­len; Herr Ge­or­ges Du­roy, auch ein zu­künf­ti­ger Jour­na­list.« Dann setz­te sie mit et­was an­de­rem Ton hin­zu:

      »Un­ser bes­ter und in­tims­ter Freund, Graf de Vau­drec.«

      Die bei­den Män­ner grüß­ten sich und be­trach­te­ten sich ge­nau. Du­roy ver­ab­schie­de­te sich gleich dar­auf. Sie hielt ihn nicht zu­rück.

      Er stot­ter­te noch ei­ni­ge Dan­kes­wor­te, drück­te die hin­ge­streck­te Hand der jun­gen Frau, ver­beug­te sich vor dem Gra­fen, der das küh­le und erns­te Ge­sicht ei­nes Man­nes aus der bes­ten Ge­sell­schaft be­wahr­te, und ging in höchs­ter Ver­wir­rung fort, als ob er eben eine Dumm­heit be­gan­gen hät­te.

      Auch auf der Stra­ße fühl­te er sich be­drückt und un­be­hag­lich und hat­te die dunkle Emp­fin­dung ei­nes ver­bor­ge­nen Kum­mers. Er schritt vor sich hin und frag­te sich nach dem Grund die­ser plötz­li­chen Schwer­mut. Er fand kei­nen, aber die erns­te Ge­stalt des schon et­was al­ten Gra­fen de Vau­drec mit dem grau­en Haar und dem ru­hi­gen, an­ma­ßen­den Ge­sicht ei­nes un­ab­hän­gi­gen, sehr rei­fen Man­nes, trat ihm im­mer wie­der vor die Au­gen.

      Es wur­de ihm klar, dass der Ein­tritt die­ses Frem­den nicht bloß das rei­zen­de Zu­sam­men­sein ge­stört hat­te, an das sein Herz sich schon zu ge­wöh­nen be­gann, son­dern in ihm auch die­sen Ein­druck von Käl­te und Verzweif­lung her­vor­ge­ru­fen hat­te, wie es oft ein auf­ge­fan­ge­nes Wort oder der flüch­ti­ge An­blick von Elend oder sonst ir­gend­ei­ne Klei­nig­keit in uns aus­löst.

      Au­ßer­dem schi­en ihm auch, ohne dass er sa­gen konn­te, warum, als ob die­ser Mann un­zu­frie­den ge­we­sen sei, ihn dort zu tref­fen.

      Bis drei Uhr hat­te er nichts mehr zu tun, und es war noch nicht Mit­tag. Er hat­te noch 6 Fran­cs 50 in der Ta­sche. Er ging in die Bouil­lon Du­val früh­stücken. Dann trieb er sich auf dem Bou­le­vard her­um und Punkt drei Uhr stieg er die große prunk­haf­te Trep­pe zur Vie Françai­se hin­auf. Die Lauf­bur­schen sa­ßen mit ge­kreuz­ten Ar­men auf ei­ner Bank und war­te­ten, wäh­rend hin­ter ei­nem klei­nen Ka­the­der ein Be­am­ter die so­eben an­ge­kom­me­ne Post sor­tier­te. Die gan­ze Auf­ma­chung war vor­treff­lich und muss­te je­dem Be­su­cher im­po­nie­ren. Al­les hat­te Hal­tung und Wür­de, wie es sich für den War­te­raum ei­ner großen Zei­tung ge­bührt.

      Du­roy frag­te:

      »Ist Herr Wal­ter zu spre­chen?«

      Der Die­ner ant­wor­te­te:

      »Der Herr Di­rek­tor hat eben eine wich­ti­ge Kon­fe­renz. Wenn der Herr einen Au­gen­blick Platz neh­men will.«

      Und er wies auf ein War­te­zim­mer, das schon vol­ler Men­schen war.

      Man sah dort erns­te, wür­di­ge Män­ner mit Or­dens­band, und auch et­was ver­nach­läs­sig­te Ge­stal­ten mit un­sicht­ba­rer Wä­sche, de­ren bis zum Hal­se zu­ge­knöpf­te Rö­cke eine wah­re Land­kar­te von Fle­cken zeig­ten.

      Zwi­schen den War­ten­den be­fan­den sich drei Frau­en; eine von ih­nen war hübsch, ele­gant und lä­chel­te freund­lich; es schi­en eine Ko­kot­te zu sein. Ihre Nach­ba­rin blick­te düs­ter, ihr Ge­sicht war vol­ler Run­zeln; auch sie war bes­ser ge­klei­det, doch sie hat­te et­was Ver­brauch­tes, künst­lich Er­hal­te­nes, wie man es manch­mal bei al­tern­den Schau­spie­lern sieht, eine Art falscher, ab­ge­stan­de­ner Ju­gend, die an ran­zig ge­wor­de­nes Par­füm d’A­mour er­in­nert.

      Die drit­te Frau trug Trau­er und saß in der Ecke, mit der Hal­tung ei­ner un­tröst­li­chen Wit­we. Du­roy hielt sie für eine Bitt­stel­le­rin.

      In­des­sen wur­de nie­mand vor­ge­las­sen, ob­gleich über zwan­zig Mi­nu­ten ver­stri­chen wa­ren.

      Da hat­te Du­roy eine gute Idee; er ging noch­mals zum Die­ner hin­aus und sag­te:

      »Herr Wal­ter hat mich um drei Uhr her­be­stellt. Se­hen Sie bit­te nach, ob mein Freund Fo­res­tier hier ist?«

      Man führ­te ihn jetzt durch einen lan­gen Flur in einen großen Saal, in dem vier Her­ren um einen großen grü­nen Tisch sa­ßen und schrie­ben.

      Fo­res­tier stand vor dem Ka­min, rauch­te eine Zi­ga­ret­te und spiel­te Bil­bo­quet (Fang­ball). Er war ein vor­treff­li­cher Spie­ler und fing die Ku­gel aus gel­bem Buchs­baum mit der klei­nen Holz­spit­ze fast je­des Mal rich­tig auf. Er zähl­te: »22 … 23 … 24 … 25.«

      »26!« rief Du­roy.

      Da blick­te sein Freund auf, ohne sei­ne re­gel­mä­ßi­ge Arm­be­we­gung ein­zu­stel­len.

      »Ah, da bist du ja«, rief er. »Ges­tern habe ich sie­ben­und­fünf­zig­mal hin­ter­ein­an­der ge­trof­fen. Nur Saint-Po­tin kann es noch bes­ser als ich. Hast du den Chef ge­spro­chen? Nichts ist ko­mi­scher, als die­sen al­ten Nor­bert Fang­ball spie­len zu se­hen. Er reißt den Mund auf, als woll­te er die Ku­gel run­ter­schlu­cken.«

      Ei­ner der Re­dak­teu­re dreh­te den Kopf nach ihm um.

      »Weißt du, Fo­res­tier, ich ken­ne ein aus­ge­zeich­ne­tes Bil­bo­quet aus An­til­len­holz, das zu ver­kau­fen ist. Es soll der Kö­ni­gin von Spa­ni­en ge­hört ha­ben. Man ver­langt da­für sech­zig Fran­cs, das ist nicht teu­er.«

      »Wo ist es zu ha­ben?« frag­te Fo­res­tier.

      Da er sei­nen 37. Wurf ver­fehlt hat­te, öff­ne­te er den Schrank, in dem Du­roy ge­gen zwan­zig wun­der­ba­re Bil­bo­quets sah, die alle ge­ord­net und num­me­riert wa­ren, wie Kost­bar­kei­ten aus ei­ner Kunst­samm­lung. Fo­res­tier stell­te das In­stru­ment auf sei­nen rich­ti­gen Platz und wie­der­hol­te die Fra­ge:

      »Wo steckt die­ses Klein­od?«

      Der Jour­na­list ant­wor­te­te:

      »Bei ei­nem Bil­lett­händ­ler beim Vau­de­ville-Thea­ter. Wenn du willst, brin­ge ich dir das mor­gen mit.«

      »Ja gut. Wenn es wirk­lich schön ist, nehm’ ich es. Man kann nie zu viel Bil­bo­quets be­sit­zen.«

      Dann wand­te er sich zu Du­roy.

      »Komm jetzt, ich füh­re dich zum Chef, sonst kannst du hier war­ten bis zum spä­ten Abend.«

      Sie gin­gen wie­der durch den War­te­saal, wo die­sel­ben Per­so­nen ge­nau in der­sel­ben Rei­hen­fol­ge

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