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ver­beug­ten sich vor dem Chef, der lä­chel­te, und Du­roy, durch sei­nen Er­folg be­rauscht, leer­te sein Glas in ei­nem Zuge. Er hät­te, so war ihm zu­mu­te, ein gan­zes Fass aus­trin­ken kön­nen, er hät­te einen Och­sen auf­es­sen, einen Lö­wen er­wür­gen kön­nen. Er fühl­te über­mensch­li­che Kraft in sich, un­be­sieg­ba­re Ener­gie und un­be­grenz­te Hoff­nun­gen. Jetzt war er in­mit­ten die­ser Men­schen zu Hau­se, er hat­te sich hier eine Stel­lung ver­schafft, sei­nen Platz er­obert. Jetzt blick­te er je­dem ein­zel­nen zu­ver­sicht­lich ins Auge, und zum ers­ten Male wag­te er auch sei­ne Nach­ba­rin an­zu­spre­chen.

      »Sie ha­ben die schöns­ten Ohr­rin­ge, Ma­da­me, die ich je ge­se­hen habe.«

      Lä­chelnd wand­te sie sich zu ihm hin.

      »Es war ein gu­ter Ein­fall von mir, die Dia­man­ten so ein­fach am Ende ei­nes Gold­fa­dens auf­zu­hän­gen. Nicht wahr, sie se­hen aus wie Tau­trop­fen?«

      Ver­wirrt durch sei­ne ei­ge­ne Kühn­heit und vol­ler Angst, ob er auch nicht eine Al­bern­heit sage, mur­mel­te er:

      »Ganz rei­zend … Aber an Ihren Ohren se­hen sie be­son­ders schön aus.«

      Sie dank­te ihm mit ei­nem Blick, mit ei­nem je­ner of­fe­nen Frau­en­bli­cke, die bis ins Herz drin­gen.

      Als er den Kopf her­um­wand­te, be­geg­ne­te er wie­der den Au­gen der Frau Fo­res­tier, die ihn noch im­mer wohl­wol­lend an­sa­hen, doch glaub­te er in ih­nen jetzt eine leb­haf­te­re Hei­ter­keit, eine lei­se Hin­ter­list und eine Er­mu­ti­gung zu le­sen.

      Die Her­ren re­de­ten jetzt alle durch­ein­an­der, mit leb­haf­ten Ge­bär­den und schal­len­der Stim­me. Man be­sprach den Rie­sen­plan der Un­ter­grund­bahn. Der Ge­gen­stand war auch beim Des­sert noch nicht er­schöpft und je­der hat­te ei­ni­ge Din­ge zu sa­gen über die zu lang­sa­men Ver­bin­dun­gen in Pa­ris, über die Un­be­quem­lich­kei­ten der Stra­ßen­bahn und der Om­ni­bus­se und über die gro­be Un­ver­schämt­heit der Dro­schen­kut­scher.

      Dann ver­ließ man den Spei­se­saal, um Kaf­fee zu trin­ken. Du­roy bot aus Scherz dem klei­nen Mäd­chen sei­nen Arm an, das ihm mit erns­ter Mie­ne dank­te und sich auf die Fuß­spit­zen stell­te, um ihre Hand auf den Arm des Nach­bars le­gen zu kön­nen.

      Als er in den Sa­lon ein­trat, hat­te er von Neu­em das Ge­fühl, in ein Treib­haus zu kom­men. Hohe Pal­men öff­ne­ten ihre an­mu­ti­gen Fä­cher in al­len vier Ecken, stie­gen bis zur De­cke em­por und ver­brei­te­ten sich dann wie Was­ser­strah­len. Zu bei­den Sei­ten des Ka­mins stan­den zwei run­de Gum­mi­bäu­me mit ih­ren lan­gen, dun­kel­grü­nen, über­ein­an­der wach­sen­den Blät­tern, und auf dem Flü­gel prang­ten zwei ganz ori­gi­nel­le, run­de Sträu­cher, mit Blü­ten be­deckt, die einen dun­kel­ro­sa, die an­de­ren schnee­weiß. Sie sa­hen aus, als ob sie künst­lich wä­ren und zu schön, um echt zu sein.

      Die Luft war an­ge­nehm frisch, von ei­nem dis­kre­ten, zar­ten Par­füm er­füllt, das man nicht nä­her be­stim­men konn­te.

      Du­roy fühl­te sich jetzt be­deu­tend si­che­rer und sah sich das Zim­mer auf­merk­sam an. Es war nicht groß, und au­ßer den Sträu­chern war nichts dar­in, was den Blick be­son­ders auf sich lenk­te, kei­ne leb­haf­ten Far­ben tra­ten her­vor; man fühl­te sich ru­hig und ge­müt­lich dar­in; es um­fing den Kör­per sanft wie eine zärt­li­che Lieb­ko­sung. Die Wän­de wa­ren mit ei­nem al­ten, vio­let­ten Stoff be­spannt, mit klei­nen gelb­li­chen Pünkt­chen, die klei­ne Blüm­chen dar­stell­ten und so groß wa­ren wie eine Flie­ge. Blau­graue Tuch­por­tie­ren mit leich­ten Sti­cke­rei­en aus ro­ter Sei­de be­deck­ten die Tü­ren und Fens­ter, und durch das gan­ze Zim­mer stan­den, wahl­los ver­streut, Sitz­mö­bel in al­len For­men und Grö­ßen, Chai­se­lon­gues, große und klei­ne Fau­teuils, Puffs und Ta­bu­retts mit Louis-XVI.-Sei­de oder schö­nem Ut­rech­ter Samt be­zo­gen, mit gra­nat­far­be­nem Mus­ter auf cre­me­far­be­nem Grund.

      »Neh­men Sie eine Tas­se Kaf­fee, Herr Du­roy?«

      Frau Fo­res­tier reich­te ihm die vol­le Tas­se mit ei­nem freund­li­chen Lä­cheln, das ihre Lip­pen nicht ver­ließ.

      »Ja, gnä­di­ge Frau, ich dan­ke Ih­nen.«

      Er nahm ihr die Tas­se aus der Hand, und wäh­rend er sich ängst­lich vor­beug­te, um mit der sil­ber­nen Zan­ge ein Stück Zu­cker aus der Scha­le zu neh­men, die das klei­ne Mäd­chen hielt, sag­te die jun­ge Dame halb­laut:

      »Sie müs­sen jetzt Frau Wal­ter den Hof ma­chen.«

      Dann ent­fern­te sie sich, be­vor er ein Wort hat­te ant­wor­ten kön­nen.

      Zu­nächst trank er sei­nen Kaf­fee aus, weil er fürch­te­te, den­sel­ben wo­mög­lich noch auf den Tep­pich zu gie­ßen. Dann fühl­te er sich et­was frei­er und such­te nach ei­ner Mög­lich­keit, sich der Frau sei­nes zu­künf­ti­gen Di­rek­tors zu nä­hern und eine Un­ter­hal­tung an­zu­knüp­fen.

      Plötz­lich be­merk­te er, dass sie eine lee­re Tas­se in der Hand hielt. Sie be­fand sich ziem­lich weit von ei­nem Tisch und wuss­te nicht recht, wo sie die Tas­se hin­stel­len soll­te. Er eil­te auf sie zu.

      »Ge­stat­ten Sie, Ma­da­me.«

      »Ich dan­ke Ih­nen, mein Herr.«

      Er trug die Tas­se fort und kam wie­der zu­rück:

      »Wenn Sie wüss­ten, gnä­di­ge Frau, welch glück­li­che Stun­den mir die Vie Françai­se da un­ten in der Wüs­te be­rei­tet hat. Sie ist wirk­lich die ein­zi­ge Zei­tung, die man au­ßer­halb Frank­reichs le­sen kann, denn sie ist geist­vol­ler, li­te­ra­ri­scher und lan­ge nicht so mo­no­ton und ba­nal wie die üb­ri­gen. Man fin­det al­les, was man will.«

      Sie lä­chel­te mit lie­bens­wür­di­ger Gleich­gül­tig­keit und sag­te dann ernst:

      »Herr Wal­ter hat sich viel Mühe ge­ge­ben, eine sol­che Zei­tung zu schaf­fen. Sie ent­spricht dem jet­zi­gen mo­der­nen Be­dürf­nis.«

      Sie be­gan­nen zu plau­dern. Er sprach leicht und ober­fläch­lich mit ei­ner reiz­vol­len Stim­me. Auch hat­te er viel An­mut im Blick und einen un­wi­der­steh­lich be­ste­chen­den Schnurr­bart. Er wir­bel­te sich kraus und al­ler­liebst auf der Lip­pe, dun­kel­blond, mit ei­nem Stich ins Röt­li­che, wäh­rend die Haar­spit­zen et­was hel­ler schim­mer­ten.

      Sie un­ter­hiel­ten sich über Pa­ris und sei­ne Um­ge­bung, über die Ufer der Sei­ne, über die Ba­de­or­te, Som­mer­fri­schen und alle die­se Din­ge, über die man ohne jeg­li­che geis­ti­ge An­stren­gung end­los plau­dern kann.

      Dann trat Nor­bert de Va­ren­ne mit ei­nem Li­kör­glas in der Hand her­an, und Du­roy zog sich dis­kret zu­rück.

      Ma­da­me de Ma­rel­le, die sich eben mit Ma­da­me Fo­res­tier un­ter­hielt, rief ihn her­an: »Also, Sie wol­len es mit dem Jour­na­lis­mus ver­su­chen?« frag­te sie et­was schroff.

      Da sprach er mit un­be­stimm­ten Wor­ten über sei­ne Plä­ne und be­gann dann mit ihr ge­nau die­sel­be Un­ter­hal­tung, die er vor­her mit Frau Wal­ter ge­führt hat­te. Jetzt, wo er den Ge­gen­stand bes­ser be­herrsch­te, zeig­te er sich et­was ge­wand­ter und wie­der­hol­te, wie aus sich her­aus, das, was er ge­ra­de ge­hört hat­te. Da­bei blick­te er sei­ner Dame fort­wäh­rend in die Au­gen, wie um

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