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die Ze­che und sag­te:

      »Mir scheint, es ist spät ge­wor­den und wir ha­ben noch die bei­den ho­hen Herr­schaf­ten zu be­su­chen?«

      Saint-Po­tin be­gann zu la­chen:

      »Sie sind noch sehr naiv. Glau­ben Sie denn wirk­lich, ich gin­ge zu die­sem Chi­ne­sen und In­der fra­gen, was sie über Eng­land den­ken? Ich weiß es viel bes­ser als sie, was sie für die Le­ser der Vie Françai­se den­ken müs­sen. Ich habe schon ge­gen fünf­hun­dert von die­sen Chi­ne­sen, Per­sern, In­dern, Chi­le­nen, Ja­pa­nern und der­glei­chen in­ter­viewt. Nach mei­ner Mei­nung ant­wor­ten sie im­mer das­sel­be. Ich brau­che nur mei­nen Ar­ti­kel vom letz­ten Mal nach­zu­se­hen und ihn Wort für Wort ab­zu­schrei­ben, es än­dern sich nur ihr Aus­se­hen, ihr Name, ihre Ti­tel, ihr Al­ter, ihr Ge­fol­ge. Oh, da­bei darf kein Irr­tum un­ter­lau­fen, sonst wür­den mich der ›Fi­ga­ro‹ oder der ›Gau­lois‹ ein­fach fest­na­geln. Doch wird mich der Por­tier des Ho­tels Bris­tol und Con­ti­nen­tal über al­les das in fünf Mi­nu­ten aufs ge­naues­te auf­ge­klärt ha­ben. Wir rau­chen noch eine Zi­gar­re und ge­hen dann zu Fuß hin. Und nach­her be­rech­nen wir der Zei­tung hun­dert Sous Drosch­ken­spe­sen. So ma­chen’s, mein Lie­ber, die prak­ti­schen Leu­te.«

      Du­roy frag­te: »Es muss sehr viel ein­brin­gen, un­ter sol­chen Be­din­gun­gen Re­por­ter zu sein.«

      Der Jour­na­list ant­wor­te­te ge­heim­nis­voll: »Ja­wohl, aber nichts bringt so viel ein wie die Lo­kal­nach­rich­ten we­gen der ver­schlei­er­ten Re­kla­me!«

      Sie stan­den auf und gin­gen den Bou­le­vard her­un­ter, der Ma­de­lei­ne zu. Plötz­lich sag­te Saint-Po­tin zu sei­nem Beglei­ter :

      »Wis­sen Sie, wenn Sie noch et­was vor­ha­ben, brau­che ich Sie nicht mehr.«

      Du­roy drück­te ihm die Hand und ging. Der Ge­dan­ke an den Ar­ti­kel, den er abends noch schrei­ben soll­te, gab ihm kei­ne Ruhe, und er be­gann dar­über nach­zu­den­ken. Er such­te nach neu­en Ide­en, Ein­fäl­len, nach An­ek­do­ten und Schil­de­run­gen und ge­lang­te schließ­lich zur Ave­nue des Champs Elysées, wo er nur ver­ein­zel­te Spa­zier­gän­ger er­blick­te, denn Pa­ris war zu die­ser hei­ßen Jah­res­zeit fast un­be­lebt.

      Er aß in ei­ner Wein­stu­be in der Nähe der Arc de Triom­phe de l’Etoi­le, ging über die äu­ße­ren Bou­le­vards lang­sam nach Hau­se und setz­te sich an den Schreib­tisch, um zu ar­bei­ten. Doch so­bald er den großen wei­ßen Bo­gen Pa­pier vor Au­gen hat­te, ent­floh ihm all der Stoff, den er in Ge­dan­ken ge­sam­melt hat­te, und es war so, als ob sein Ge­hirn sich ver­flüch­tigt hät­te. Er ver­such­te, Ein­zel­hei­ten aus sei­nen Erin­ne­run­gen her­vor­zu­ho­len und sie fest­zu­hal­ten. Aber auch sie ent­schlüpf­ten ihm, so­bald er ih­rer hab­haft wer­den woll­te; er wuss­te nicht, wie er sich aus­drücken und wo­mit er be­gin­nen soll­te.

      Nach ei­ner Stun­de ver­geb­li­cher An­stren­gung wa­ren fünf Sei­ten voll­ge­schmiert. Es wa­ren aber nur Ein­lei­tungs­sät­ze und auch die­se ohne je­den in­ne­ren Zu­sam­men­hang. Er sag­te sich: »Ich bin in dem Be­ruf noch nicht ge­nug be­wan­dert, ich muss eine neue Lek­ti­on neh­men.« Und so­fort mach­te ihn die Aus­sicht auf einen neu­en Ar­beits­mor­gen bei Ma­da­me Fo­res­tier und die Hoff­nung auf ein lan­ges in­ti­mes und herz­li­ches Bei­sam­men­sein vor Sehn­sucht er­zit­tern. Er ging rasch zu Bett, denn er fürch­te­te fast, es könn­te ihm plötz­lich doch ge­lin­gen, wenn er sich noch­mals an die Ar­beit setz­te. Am nächs­ten Mor­gen stand er ziem­lich spät auf und ge­noss im Voraus die Freu­de die­ses Be­su­ches, den er ab­sicht­lich hin­aus­schob.

      Es war zehn Uhr vor­bei, als er bei sei­nem Freun­de klin­gel­te.

      Der Die­ner ant­wor­te­te: »Der Herr ist bei der Ar­beit.«

      Du­roy hat­te gar nicht ge­dacht, dass der Mann über­haupt zu Hau­se sein könn­te. Trotz­dem ließ er sich nicht ab­wei­sen. »Sa­gen Sie ihm, ich wäre es und käme in ei­ner dring­li­chen An­ge­le­gen­heit.«

      Nach­dem er fünf Mi­nu­ten ge­war­tet hat­te, wur­de er in das Ar­beits­zim­mer ge­führt, in dem er einen so schö­nen Mor­gen ver­bracht hat­te. Auf dem Platz, wo er ge­ses­sen hat­te, saß jetzt Fo­res­tier im Schlaf­rock und Pan­tof­feln, auf dem Kopf ein leich­tes eng­li­sches Ba­rett, und schrieb, wäh­rend sei­ne Frau in dem­sel­ben wei­ßen Mor­gen­klei­de am Ka­min lehn­te und eine Zi­ga­ret­te rauch­te. Sie dik­tier­te.

      Du­roy blieb an der Schwel­le ste­hen und mur­mel­te:

      »Ich bit­te sehr um Ver­zei­hung, wenn ich stö­re …«

      Sein Freund dreh­te sich mit wü­ten­dem Ge­sicht um und brumm­te:

      »Was willst du denn noch? Be­ei­le dich, wir ha­ben zu tun.«

      Du­roy wuss­te nicht, was er sa­gen soll­te. Er stot­ter­te:

      »Nein, es ist: nichts, Ver­zei­hung.«

      Fo­res­tier wur­de wü­tend:

      »Zum Don­ner­wet­ter, lass uns kei­ne Zeit ver­lie­ren! Du bist nicht etwa hier ein­ge­drun­gen, bloß um uns gu­ten Tag zu sa­gen?«

      Du­roy wur­de ganz ver­wirrt; end­lich ent­schloss er sich:

      »Nein … es ist nur… ich brin­ge den Ar­ti­kel nicht fer­tig … du warst … Sie wa­ren … Sie wa­ren so … so … so lie­bens­wür­dig das letz­te Mal … dass ich hoff­te … ich wag­te zu kom­men …«

      Fo­res­tier fiel ihm ins Wort:

      »Du schämst dich wohl gar nicht. Also du bil­dest dir ein, ich wür­de dei­ne Ar­beit ma­chen und du brauch­test nur am Ende des Mo­nats an die Kas­se zu ge­hen? Nein, das ist ein biss­chen zu viel ver­langt!«

      Die jun­ge Frau rauch­te ru­hig wei­ter, ohne ein Wort zu sa­gen und lä­chel­te nur im­mer ein ge­heim­nis­vol­les Lä­cheln, das wie eine lie­bens­wür­di­ge Mas­ke ihre Ge­dan­ken zu ver­ber­gen schi­en.

      Du­roy er­rö­te­te und stot­ter­te:

      »Ent­schul­di­gen Sie … ich hat­te ge­glaubt … ich dach­te …«

      Dann fuhr er plötz­lich mit si­che­rer Stim­me fort:

      »Ich bit­te tau­send­mal um Ver­zei­hung, gnä­di­ge Frau, und dan­ke Ih­nen noch­mals aufs herz­lichs­te für den rei­zen­den Auf­satz, den Sie mir ges­tern ge­schrie­ben ha­ben.«

      Dann sag­te er zu Fo­res­tier: »Ich wer­de um drei Uhr bei der Re­dak­ti­on sein«, und ging fort.

      Rasch kehr­te er nach Hau­se zu­rück und brumm­te:

      »Nun gut, ich ma­che es jetzt selbst und ganz al­lein, sie sol­len se­hen …«

      Kaum war er in sei­nem Zim­mer, setz­te er sich, von Zorn er­regt, an die Ar­beit. Er setz­te die Ge­schich­te fort, die Ma­da­me Fo­res­tier be­gon­nen hat­te, häuf­te Ein­zel­hei­ten im Stil ei­nes Zei­tungs­ro­ma­nes, er­staun­li­che Ge­scheh­nis­se und schwüls­ti­ge Be­schrei­bun­gen auf­ein­an­der. Er schrieb in un­ge­schick­tem Schü­ler­stil mit Un­ter­of­fi­ziers­aus­drücken. In ei­ner Stun­de war der Auf­satz be­en­det, der ei­nem Wirr­warr von Tor­hei­ten glich, und trug ihn selbst­si­cher auf die Vie Françai­se. Der ers­te Mensch, der ihm hier be­geg­ne­te, war Saint-Po­tin, der ihm mit der Herz­lich­keit ei­nes Mit­schul­di­gen die Hand schüt­tel­te.

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