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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Der »Herr« starb zwei Jahre später am Gehirnschlag; sein neues Geschäft hatte ihn behäbig und träge gemacht, sodass er schliesslich im eigenen Fett sozusagen erstickte.
Seitdem »Madame« Witwe geworden, hatten sämtliche Stammgäste des Hauses ihr Glück bei ihr versucht; aber allgemein hiess es, dass sie sich völlig ehrbar verhielte, und sogar auch ihre Pensionärinnen hatten nichts Verdächtiges entdecken können.
Sie war groß, wohlgenährt und hübsch. Ihr Teint war in der Dunkelheit dieses stets verschlossenen Hauses bleich geworden und machte den Eindruck, als sei er mit einer Art glänzenden Lack überzogen. Eine Garnitur falscher Haare in Löckchen frisiert umgab ihre Stirn und verlieh ihr ein jugendliches Äussere, welches etwas seltsam von der üppigen Reife ihrer Formen abstach. Immer vergnügt und lustig, plauderte und scherzte sie gern, wobei sie aber stets eine gewisse Zurückhaltung zur Schau trug, die sie auch in ihrem neuen Geschäft nicht abgelegt hatte. Unpassende Worte ärgerten sie sehr; und wenn ein schlecht erzogener Bursche ihr Haus einmal beim richtigen Namen nannte, so konnte sie ganz wild werden. Dabei hatte sie ein zartfühlendes Herz und behandelte auch ihre Mädchen als Freundinnen; in Bezug auf letztere sagte sie oft:
»Es sind meine Küchlein, aber nicht alle aus einem Korbe.«
Zuweilen fuhr sie in der Woche mit einem Teil ihrer Truppe in einem Mietwagen fort, und man sah sie dann im Ufergrase des kleinen Flusses, der das Tal von Valmont durchfliesst, ihre Scherze treiben. Ihre Ausflüge glichen denen von Pensionsmädchen, die der Schule entschlüpft sind; törichte Streiche, kindliche Spiele füllten die Zeit aus, in denen sie sich wie Klosterschwestern dünkten, die nach langer Zurückgezogenheit endlich wieder einmal an die frische Luft kommen. Man holte das Essen aus einem Wurstladen und verzehrte es auf dem grünen Rasen bei einem Glase Cider, um dann bei sinkender Nacht von angenehmer Müdigkeit und stiller Rührung umfangen, nach Hause zu fahren; im Wagen umarmte man Madame wie eine geliebte fürsorgende und freudenspendende Mutter.
Das Haus hatte zwei Eingänge. In der Strassenecke wurde abends eine Art kleines Kaffeehaus aufgemacht, in welchem Leute aus dem Volke und Matrosen einkehrten. Zwei weibliche Wesen hatten diesen Teil des Geschäftes ganz speziell unter ihrer Obhut. Sie servierten mit Hilfe Friedrichs, eines bartlosen kleinen aber baumstarken Kellners, die Weinschoppen und Biergläser an den wackeligen Marmortischen, setzten sich auf die Knie der Trinker, legten den Arm um ihren Hals und ermunterten zu fleissigem Zechen.
Die drei anderen »Damen« (es waren ihrer nur fünf) bildeten eine Art Aristokratie, und blieben für die erste Gesellschaft reserviert, wenigstens so lange man ihrer da unten nicht dringend bedurfte und zufällig ’mal oben ein stiller Abend war.
Der »Jupiter-Salon«, in dem sich die Bürger des Ortes ihr Stelldichein gaben, war mit blauer Tapete ausgeschlagen und ausserdem noch durch ein großes Bild, Leda mit dem Schwan darstellend, entsprechend verziert. Man gelangte zu demselben auf einer schmalen Wendeltreppe, welche nach der Strasse zu durch eine enge unansehnliche Tür verschlossen wurde; über letzterer brannte hinter einem Gitter die ganze Nacht hindurch eine kleine Laterne nach Art jener, die man in gewissen Städten heute noch vor kleinen Mauerbildchen anzündet.
Das Gebäude, alt und feucht, trug einen leichten Geruch von Schimmel an sich. Zuweilen schwebte ein Duft von Eau de Cologne in den Gängen oder es schallte auch durch eine zufällig geöffnete Tür das ordinäre Geschrei der im Erdgeschoss befindlichen Zecher wie ein Donnerschlag durch das ganze Haus und brachte auf dem Gesicht der Herren im ersten Stock eine unzufriedene und verächtliche Miene hervor.
»Madame«, die mit der ihr befreundeten Kundschaft sehr vertraulich tat, verliess den Salon nicht und interessierte sich sehr für jeden Stadtklatsch, der ihr zugetragen wurde. Ihre Unterhaltung hatte für gewöhnlich durchaus keinen Bezug auf ihre drei Damen; dieselbe bildete vielmehr eine Art Ruheplatz für die seichten Scherze jener wohlbeleibten Herren, die sich jeden Abend die kleine Ausschweifung gestatteten, ihr Glas Liqueur in Gesellschaft dieser öffentlichen Mädchen zu schlürfen.
Die drei »Damen« aus dem ersten Stock hiessen Fernande, Raphaële und Rosa la Rosse.
Da das Personal beschränkt war, so hatte man Sorge getragen, dass jede von den Dreien eine Art Muster, gewissermassen die Vertreterin eines bestimmten weiblichen Typus war, damit jeder Kunde hier, wenigstens in etwa, sein Ideal finde.
Fernande vertrat die Klasse der »schönen Blondinen«; sie war sehr groß, beinahe etwas zu stark, aber mollig, ein Kind vom Lande, bei der die Sommersprossen nie ganz verschwanden und deren kurzgeschnittenes aschblondes Haar mit seinem spärlichen Wuchs wie gehechelter Flachs aussah.
Raphaële, ein Marseiller Kind, die sich stets in den Seehäfen herumgetrieben hatte, spielte die unerlässliche Rolle der »schönen Jüdin« mit hervorstehenden mächtig rot geschminkten Wangen; ihre schwarzen Haare, die von Rindermark-Pomade glänzten, hingen in kleinen Ringellöckchen um ihre Schläfen. Ihre Augen hätten schön genannt werden können, wenn das rechte nicht einen Fleck gehabt hätte. Ihre Nase war kühn gebogen und aus ihrer Oberlippe traten zwei neue Zähne etwas hervor, während die übrigen im Laufe der Zeit die Farbe von altem Holz angenommen hatten.
Rosa la Rosse, ein kleiner Fleischkloos mit kurzen Beinchen, sang mit etwas heiserer Stimme vom Morgen bis zum Abend, bald heitere, bald ernste Lieder, erzählte die unglaublichsten und sinnlosesten Geschichten, hörte nur mit Sprechen auf, um zu essen und umgekehrt, war fortgesetzt in Bewegung, und besass trotz ihrer Wohlbeleibtheit und ihrer kleinen Beinchen die Gewandtheit eines Eichhörnchens. Ihr Lachen, einem Sturzbach gellender Schreie nicht unähnlich, schallte unaufhörlich über dies und jenes, bald aus einem Zimmer, bald vom Boden, bald unten aus dem Café, kurz aus allen Ecken und ohne allen Grund.
Die beiden weiblichen Wesen im Erdgeschoss »Louise« mit dem Beinamen »Cocote« und »Flora«, genannt die »Schaukel«, weil sie etwas hinkte, sahen wie Küchenmädchen aus, die sich zum Maskenball angezogen haben. Erstere zeigte sich stets als »Freiheitsgöttin« mit einer dreifarbigen Schärpe umgürtet, letztere im spanischen