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führ­te eine Haupt­stras­se, an der ei­ni­ge zwan­zig Häu­ser la­gen, wel­che die Ge­schäfts­leu­te des Or­tes, den Flei­scher, den Krä­mer, den Tisch­ler, den Kaf­fee­wirt, den Schus­ter und den Bä­cker in Nah­rung setz­ten. Die Kir­che am Ende der Stras­se war von ei­nem schma­len Kirch­hof um­ge­ben; vier Lin­den, vor dem Ein­gang hin­ge­pflanzt über­schat­te­ten sie ganz. Sie war aus be­haue­nem Bruch­stein ohne je­den Styl auf­ge­führt und trug auf dem Schie­fer­dach einen Glo­cken­stuhl. Hin­ter ihr be­gann sich das wei­te Feld aus­zu­deh­nen, auf wel­chem der Blick nur hin und wie­der ein­zel­ne Baum­grup­pen traf, un­ter de­nen Bau­ern­häu­ser ver­steckt la­gen.

      Ri­vet hat­te ganz ze­re­mo­ni­ell den Arm sei­ner Schwes­ter ge­nom­men und führ­te sie mit kö­nig­li­chem An­stan­de her­um, ob­gleich er in Werk­tags­klei­dern war. Sei­ne Frau, der es die gold­ge­stick­te Toi­let­te Ra­phaëlens an­ge­tan hat­te, ging zwi­schen die­ser und Fer­n­an­de. Die rund­li­che Rosa trip­pel­te hin­ter­her mit Loui­se Co­co­te und Schau­kel-Flo­ra, wel­che vor Mü­dig­keit mehr als je hin­k­te.

      Die Haus­be­woh­ner eil­ten an die Tü­ren, die Kin­der un­ter­bra­chen ihre Spie­le, eine Gar­di­ne wur­de in die Höhe ge­zo­gen und ließ einen Kopf un­ter ei­ner kat­tu­ne­nen Müt­ze se­hen; ein halb­blin­des al­tes Müt­ter­chen an Krücken be­kreuz­te sich, wie vor ei­ner Pro­zes­si­on und al­les ver­folg­te mit den Bli­cken lan­ge die schö­nen Stadt­da­men, die zur ers­ten Kom­mu­ni­on der klei­nen Ri­vet so weit her­ge­kom­men wa­ren. Der Tisch­ler wuchs je­den­falls un­ge­heu­er in ih­rer Ach­tung.

      Als sie bei der Kir­che vor­bei­ka­men, hör­ten sie den Ge­sang der Kin­der, es war ein ein­fa­ches Lied, das aus den jun­gen Keh­len zum Him­mel schall­te. Ma­da­me war in­des­sen da­ge­gen, dass man her­ein­ging, da­mit die klei­nen Che­ru­bi­ne nicht ge­stört wür­den.

      Nach ei­nem Rund­gang über die Fel­der, bei wel­chem Jo­seph Ri­vet de­ren Haup­tei­gen­schaft, die Er­trags­fä­hig­keit des Bo­dens, und die Re­sul­ta­te sei­ner Vieh­zucht ge­prie­sen hat­te, führ­te er sei­ne »Da­men« ins Haus zu­rück und zeig­te ih­nen ihr Quar­tier.

      Da der Platz sehr be­schränkt war, so hat­te man sie zu zwei und zwei in ei­nem Rau­me un­ter­ge­bracht.

      Ri­vet soll­te dies­mal auf den Ho­bel­späh­nen in der Werk­statt schla­fen, wäh­rend sei­ne Frau das Bett mit ih­rer Schwä­ge­rin tei­len wür­de, und im Zim­mer da­ne­ben Fer­n­an­de und Ra­phaële zu­sam­men haus­ten. Für Loui­se und Flo­ra hat­te man auf dem Bo­den der Kü­che Ma­trat­zen ge­legt und Rosa schlief für sich al­lein in ei­nem klei­nen dunklen Rau­me ober­halb der Trep­pe, dem ge­gen­über sich der Ein­gang zu ei­nem en­gen Ver­schla­ge be­fand, in wel­chem die­se Nacht die Kom­mu­ni­kan­tin schlief.

      Als das jun­ge Mäd­chen zu­rück­kam, reg­ne­te es ge­ra­de­zu Küs­se auf sie, denn alle Weibs­bil­der woll­ten ihr mit dem­sel­ben Hang zur Zärt­lich­keit, mit der­sel­ben ge­wohn­heits­mäs­si­gen Schön­tue­rei ihre Lie­be be­wei­sen, mit der sie am Mor­gen in der Bahn die En­ten ge­küsst hat­ten. Im Über­mas­se au­gen­blick­li­cher hef­ti­ger Zärt­lich­keit nahm sie jede auf den Schoss, strich mit den Hän­den über ihr fei­nes blon­des Haar, und schloss sie in ihre Arme. Das gute lie­be Kind, noch ganz un­ter dem Ein­dru­cke der eben ab­ge­leg­ten Beich­te und in from­mer an­dachts­vol­ler Stim­mung, er­trug mit Ge­duld und Sanft­mut die­se über­schweng­li­chen Lieb­ko­sun­gen.

      Nach den An­stren­gun­gen, die der Tag für alle ge­habt hat­te, ging man bald nach dem Es­sen schla­fen. Das klei­ne Dorf lag bald in je­nem tie­fen, fast wei­he­vol­len Schwei­gen, wel­ches auf dem Lan­de so ernst und fei­er­lich un­ter dem Ster­nen­him­mel das Herz zur An­dacht stimmt. Die Mäd­chen, an die ge­räusch­vol­len Aben­de ei­nes öf­fent­li­chen Hau­ses ge­wöhnt, wa­ren durch die­se stil­le Ruhe ei­nes Abends auf dem Lan­de ei­gen­tüm­lich be­wegt und schlie­fen un­ter selt­sa­men Schau­ern ein; es war nicht Käl­te, die dies her­vor­rief, son­dern das Ge­fühl der Ein­sam­keit, das ein un­ru­hi­ges und ver­wirr­tes Herz so leicht be­schleicht.

      So­bald sie so zu Zwei­en im Bett la­gen, rück­ten sie eng an­ein­an­der, als woll­ten sie sich ge­gen das Ein­drin­gen der tie­fen Ruhe wah­ren, wel­che die Erde be­fan­gen hielt. Aber Rosa, die in ih­rem dunklen Rau­me ganz al­lein lag, was sie doch sonst so gar nicht ge­wohnt war, fühl­te sich von selt­sa­men, ängst­li­chen Ge­füh­len be­wegt. Sie wälz­te sich schlaf­los auf ih­rem La­ger her­um als sie plötz­lich hin­ter dem Holz­ver­schla­ge ihr ge­gen­über ängst­li­ches Wim­mern, wie das Wei­nen ei­nes Kin­des hör­te. Sie rief mit lei­ser Stim­me, wer da sei. Eben­so lei­se ant­wor­te­te ihr schluch­zend die klei­ne Toch­ter Ri­vets, wel­che bis­her ge­wohnt war im Zim­mer ih­rer Mut­ter zu schla­fen und jetzt in ih­rem en­gen Ver­schla­ge eine furcht­ba­re Angst aus­stand.

      Rosa stand von Mit­leid be­wegt auf und ging lei­se, um nie­mand zu we­cken zu dem Kin­de her­über. Sie hol­te es in ihr war­mes Bett, drück­te es un­ter zärt­li­chen Umar­mun­gen an sich und schlä­fer­te es mit ih­ren stür­mi­schen Lieb­ko­sun­gen ein, wor­auf sie selbst ru­hi­ger wur­de und end­lich den Schlaf fand. Bis zum Mor­gen ruh­te das Ge­sicht der Kom­mu­ni­kan­tin an der blos­sen Schul­ter der Pro­sti­tu­ier­ten.

      Seit fünf Uhr, der Stun­de des »An­ge­lus«, läu­te­te die klei­ne Glo­cke der Kir­che mit al­ler Kraft und weck­te schliess­lich alle die­se Da­men auf, wel­che ge­wohnt wa­ren bis in den ho­hen Tag hin­ein zu schla­fen, um die Er­ho­lung von an­stren­gen­den Näch­ten zu fin­den.

      Die Leu­te im Dor­fe wa­ren schon auf. Die Frau­en gin­gen ge­schäf­tig an die Hau­stü­ren und plau­der­ten über die Stras­se her­über mit der Nach­ba­rin; die eine brach­te vor­sich­tig einen Mous­se­lin­rock, der steif wie Pap­pe ge­stärkt war, die an­de­re trug eine Ker­ze von un­ge­heu­rer Di­men­si­on um die in der Mit­te eine sei­de­ne Schlei­fe mit Gold­fran­sen ge­knöpft war und an de­ren un­te­rem Ende Ver­tie­fun­gen zum Hal­ten an­ge­bracht wa­ren. Die Son­ne stand schon hoch am blau­en Him­mel, des­sen äus­sers­ter Rand noch einen ro­si­gen Schim­mer als letz­te Spur des Mor­gen­ro­tes hat­te. Zahl­rei­che Hüh­ner­völ­ker trip­pel­ten vor ih­ren Stäl­len um­her, und hin und wie­der er­hob ein schwar­zer schil­lern­der Hahn den rot­käm­mi­gen Kopf, schlug die Flü­gel und schmet­ter­te sei­nen Mor­gen­ruf in die Luft, dem dann sämt­li­che Häh­ne ant­wor­te­ten.

      Wa­gen und Kar­ren fuh­ren vor und brach­ten aus den be­nach­bar­ten Ge­mein­den die hoch­ge­wach­se­nen Nor­mann­in­nen in schwar­zen Klei­dern, das Hals­tuch auf der Brust zu­sam­men­ge­knüpft und mit ei­ner ur­al­ten sil­ber­nen Schnal­le fest­ge­hal­ten. Die Män­ner hat­ten über dem neu­mo­di­schen Über­zie­her oder auf dem al­ten grü­nen Tuch­rock mit tief her­ab­hän­gen­den Schös­sen den blau­en Kit­tel ge­zo­gen.

      Als die Pfer­de im Stal­le wa­ren, sah man längs der gan­zen Haupt­stras­se eine dop­pel­te Rei­he von länd­li­chen Fahr­zeu­gen je­der Form und je­den Al­ters, Kar­ren, Ca­brio­lets, Til­bu­rys, Bank­wa­gen, die ent­we­der vorn­über ge­kippt wa­ren, oder auch hin­ten­über ge­stürzt die Deich­sel in die Luft streck­ten.

      Im Hau­se des Tisch­lers ging es wie in ei­nem Bie­nen­sto­cke zu. Die »Da­men« in Rock und Leib­chen, mit lo­sen Haa­ren, die so dünn und kurz wa­ren, als wä­ren sie vor der Zeit welk und dürr ge­wor­den, wa­ren mit der Toi­let­te

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