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gerufen und sie hernach über die hintere Stiege ins Freie entlassen.

      »Gleich als die Schafe des geblendeten Riesen – wie hat er doch geheißen?« flüsterte ein Schreiber am grünen Tische seinem Nachbarn zu.

      »Polyphemos,« antwortete dieser. »Nur daß der Riese in unserm Falle nicht geblendet ist und also ganz genau sieht, wie viele Wölfe mit den Schafen zwischen seinen Beinen durchlaufen möchten.«

      »Sehr viele Wölfe,« meinte der andre nachdenklich.

      Es wäre noch ein Dutzend Personen draußen, ob die heut auch kommen sollten, fragte der Einspännig den vorsitzenden Landrichter.

      »Immer zu!« befahl dieser; »dann können wir morgen gleich das zweite Viertel vornehmen.«

      »Es ist eine wahre Stickluft in dem Saale,« flüsterte der erste Schreiber.

      »Kein Wunder. Schau dir nur die angstvollen Schächer an – der Schweiß bricht ihnen aus allen Poren, als wären s' auf dem Hochgericht, und läuft ihnen den Buckel hinunter!« kam die Antwort zurück.

      »Und wenn die wüßten, wie's uns oft selber angst ist unter ihnen, wenn wir durch die Gassen spazieren!« sagte der erste.

      Die Thüre ging auf, und der Einspännig führte ein altes, gebrechliches Männlein an den Tisch.

      »Der ist stockblind, Herr Landrichter,« erklärte er und zog sich in seine Ecke zurück.

      »Wie heißt du?«

      »Hans Wiesendt, Euer Gnaden,« sagte der Greis und richtete die erloschenen Augen starr auf den Landrichter.

      »Gewerbe?«

      »Schlosser. Nun aber blind und verlassen.«

      »Wie alt?«

      »An die fünfundsiebenzig Jahr.«

      »Keine Kinder, die für dich sorgen?«

      »Niemand, Euer Gnaden. Leb' in der Bürgerpfründ'.«

      »Willst du dich accomodieren?«

      »Kann nichts andres mehr lernen, Euer Gnaden, in meinem hohen Alter.«

      »Dann mußt du fort, aus der Stadt. Ueberleg dir's, ich rate dir gut.«

      »Kann nichts andres mehr lernen, kann nicht, Euer Gnaden.«

      »Du jammerst mich,« sagte der Landrichter, und seine Stimme klang gewaltig. »Drum, noch einmal, – überleg dir's!«

      »Kann nichts andres mehr lernen. Will leben und sterben bei meiner Religion. Mir geschehe, was sein muß.«

      »Schreiben!« befahl der Vorsitzende und strich den schwarzen Knebelbart. »Hans Wiesendt, Schlosser, blind und verlassen, erklärt, dennoch bei seiner Religion zu sterben, er könne nichts andres mehr verstehen.«

      »Lernen,« sagte der Blinde mit Nachdruck.

      »Du brauchst aber das andre gar nicht gleich auf einmal zu verstehen, armer Tropf. Kurfürstliche Durchlaucht hat schon Geduld mit dir,« erklärte der Landrichter.

      »Armer Tropf?« Der Blinde richtete sich gerade auf, stützte sich fest auf seinen Stab und starrte ins Leere. »Hat Euch der Herr Kurfürst aufgetragen: ›Wenn der blinde Wiesendt vor dich geführt wird, hernach thu ihm auch noch extra einen Schimpf an, Landrichter!‹ –?«

      »Ab!« sagte der Landrichter, stützte die Ellbogen auf das grüne Tuch und legte vornehm die Fingerspitzen aneinander, Daumen gegen Daumen, Zeigefinger gegen Zeigefinger – alle zehn. »Der nächste!«

      Der Einspännig führte den Blinden hinaus, der erste Schreiber am grünen Tische aber flüsterte: »Bei dem hab' ich, meiner Treu, keinen Angstschweiß gesehen.«

      »Das arme Hascherl kann halt nimmer schwitzen,« raunte der andre, lächelte selbstgefällig über seinen Witz und schnitt an seiner Feder.

      »Sabina Scharfin, Hufschmiedshausfrau!« rief der Einspännig, und eine lange Frauensperson im höchsten Staate einer ambergischen Bürgerin trat in den Saal.

      »Da heißt es nun eben einen schwerwiegenden Entschluß fassen, Gnaden Herr Landrichter,« sagte sie ausdrucksvoll, machte einen tiefen Knicks, erhob sich und stand mit gefalteten Händen vor dem grünen Tische. »Nun freilich, freilich, ich hab's ja schon lang vorausgesehen. Und ich sag's ja immer, man kann's Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht nicht in übel nehmen, wenn sie Ordnung haben wollen in ihren Landen. O, ich kenn' mich aus, wie's in der Welt ist, hab' ich ja doch Ihrer Hoheit der Frau Fürstin von Anhalt hier zu Amberg in die zehn Jahre zur höchsten Zufriedenheit als eine Kammermagd aufgewartet, und hätt's mir auch niemand geweissagt, daß ich einst neben einem gemeinen Hufschmied durchs Leben gehen, und –«

      »Willst du mir da vielleicht deine ganze Biographie erzählen?« fragte der Landrichter und klopfte mit dem Bleistifte auf das grüne Tuch. »Willst du dich accommodieren oder nicht?«

      »Ich sag's ja, Euer Gnaden,« fuhr sie fort, und ihre Stimme schetterte durch den Saal, »ein schwerwiegender Entschluß tritt nun heran. Und ich bin wirklich zu bedauern, so wie so, und in der schweren Zeit doppelt: denn er ist mein nicht wert, und aussprechen, Euer Gnaden, aussprechen kann ich mich mit dem Hufschmied nicht.« Sie strich verschämt über den Rock und musterte geschwinde die Kommissäre, Sekretäre und Schreiber am Tische.

      »Vorwärts! Was wird denn der Mann thun?« drängte der Landrichter.

      »Ach, das ist's eben, Euer Gnaden,« stöhnte sie und bedeckte die Augen mit der Hand. »Wo ich doch so für die Ordnung bin – er ist mein nicht wert. Ich fürchte stark, er ist ein Halsstarriger.«

      »Und die Frau will sich accommodieren?« fragte der Landrichter geschäftsmäßig. »Schreiben! Sabina Scharf, Weib des –«

      »O, nicht so geschwind, Euer Gnaden, um Vergebung, nur eine demütige Frage: Gesetzt den Fall« – sie sah lauernd auf den Vorsitzenden – »wenn nun, angenommen, daß mein Ehemann, wie er mir gestern strikte kundgethan hat, gestern abend, wenn er sich nicht accommodiert –?«

      »Dann kann er ehestens durchs Stadtthor hinaus direkt zum Teufel fahren,« erklärte der Landrichter.

      »Und darf mir das Haus übern Kopf weg verkaufen, wo doch zwei Drittel vom Kaufschilling mit meinem Geld bezahlt sind?« fragte das Weib und lauschte mit gespannten Zügen.

      »I was, das wird man ihm schon zeigen!«

      »Und entschuldigt schon, Euer Gnaden, – hernach . . .« Frau Sabina Scharf zupfte verschämt an ihrem Aermel. »Hernach, wenn er mich also verläßt, kann ich mich dann – Euer Gnaden entschuldigt schon – wieder anderweitig verehelichen?«

      »Gewiß,« sagte der Landrichter mit Würde, und die Schreiber und Sekretäre lachten verstohlen, und der zweite Schreiber raunte dem ersten zu: »Magst s'?«

      Frau Sabine Scharf stand in ihrer ganzen Länge da, hatte die Hände unter der Brust gefaltet, die Lider gesenkt und erklärte mit großartiger Betonung: »Ich kann das Seiner Durchlaucht gar nicht in übel nehmen, daß sie Ordnung haben will in Amberg, Ordnung muß sein; und ich befinde in meinem Herzen, daß ich gern katholisch werde.«

      »Und willst dich bis Ostern zur Beicht einstellen?« kam die Frage vom Tische.

      »O, morgen, Euer Gnaden,« antwortete Frau Sabine Scharf und schlug die Lider auf, »morgen!«

      »Schreibet!« befahl der Landrichter, und die Federn raschelten.

      »Und reinen Mund halten, Scharfin, bis nach der Beichte!« drohte der Landrichter. »Auch der Mann erfährt nichts davon!«

      »Hi,« lachte Frau Sabina, »beileib, kein Schnaufer – der!«

      Sie knickste, und hinter ihr schloß sich die Thüre.

      »Magst s'?« flüsterte der zweite Schreiber noch einmal, während ein Gemurmel den Tisch entlang ging.

      Wieder öffnete sich die Thüre, und breitspurig trat der

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