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Ringmauern und grauen Felsen strich mit jauchzendem Pfeifen das Volk der Schwalben, und in den Gassen und Gäßlein spielte das Volk der Kinder seine uralten Spiele. Es war Friede, es war noch goldener Friede im Lande.

      *

      Aus dem Pfarrhause hinter der Kirche kam ein Trüpplein Schüler, kleine und große. Lachend und plaudernd gingen sie durch den Pfarrgarten, in dem späte Rosen blühten und Astern und der Rosmarin allen Gerüchen einen scharfen Duft beimischte.

      Nun standen sie vor der Mauer, und der letzte drückte hinter sich die Thüre ins Schloß.

      »Was thun?« rief ein reichgekleideter Bürgersohn. »Ich denke, wir werfen die Bücher dem Mesner in die Stube und rennen miteinander auf den Berg. Bist du dabei, Portner?«

      Der schlanke Jüngling, der mit gesenktem Haupte träumend abseits stand, schüttelte fast unmerklich das Haupt: »Kann leider nicht, muß heute gleich nach Hause gehen.«

      »Und mußt der Muhme die Möbel abstauben,« sagte der Bürgersohn.

      Ein halb unterdrücktes Lachen ging durch die Schar. Hansjörg Portner aber ward bleich und wandte sich jäh. »Mich wundert nur, daß du dich noch zu spotten getraust, Wirnhirn,« sagte er mit bebenden Lippen und reckte die hohe Gestalt.

      »O, Portner,« lachte der andre und bewegte sich dabei schnell rückwärts, dem Ausgange des kleinen Platzes zu, »in den Fäusten bist du mir über, auf den Beinen aber bin ich geschwinder als du, stolzer Portner. Freilich, wir Bürger sind das Laufen besser gewohnt als ein solcher Junker, den ja wohl einst seine Mutter sogar auf dem Gaul zur Welt gebracht hat.«

      »Oho!« rief da und dort einer aus der Schar. »Hört nur den Pfahlbürger!« – »Will der uns Junker höhnen?« – »Gebt ihm das Seinige!« Und drohend sonderte sich die Schar in zwei Haufen.

      Da ging die Gartenthüre noch einmal, und ein hochgewachsener Junker, älter als die andern alle, trat heraus. »Dummes Zeug!« rief er mit scharfer, befehlender Stimme. »Wollt ihr euch balgen wie die Gassenjungen? Daraus wird nichts, sage ich. Friede! Natürlich bist du's wieder gewesen, frecher Wirnhirn. Jucken dich die Hiebe nimmer, die Portnerischen vom Sonntag? Komm, Hansjörg, laß ihn, er hat ja doch einmal das Narrenrecht!«

      Wortlos verschwand der Bürgersohn um die Ecke der Kirche, lachend ging der Trupp durch das enge Gäßlein hinaus auf den großen, weiten Platz. Der Hochgewachsene aber schob nachlässig den Arm in Portners Arm und zog den Jüngling hinter den andern her. »Wird dich wohl nicht wurmen, Hansjörg?« erkundigte er sich in seiner kurzen, beinahe befehlenden Weise. »Was kann unsereinen solch ein Fant kümmern? Canaille! Genug und übergenug, daß wir mit seinesgleichen auf der Schulbank sitzen müssen. Und gottlob ist es die längste Zeit gewesen.«

      »Virtute decet, non sanguine niti, Sauerzapf,« sagte Hansjörg und ging langsam neben dem andern hinaus auf den sonnigen Platz.

      »Et virtute et sanguine!« unterbrach ihn der andre scharf.

      »Sola virtus nobilitat – Wer recht thut, der ist wohlgeboren; ohne Tugend ist Adel gar verloren,« fuhr Portner träumerisch fort. »Sieh, Sauerzapf, ich passe nicht unter Fröhliche, das ist's. Meine es von Herzen gut mit allen, und dennoch stoßen sich fast alle an mir. Wird wohl mein ernstes Gesicht schuld sein daran. – Der stolze Portner – stolz!« er lachte bitter auf.

      »Wenn Stolz Hochmut ist, dann bist du nicht stolz. Aber mich dünkt, Hansjörg Portner, du bist dennoch sehr stolz,« sagte der andre bestimmt. – »Vielleicht vertragen wir beide uns gerade deshalb so gut.«

      Portner schüttelte das Haupt und lächelte trübe. »Stolz! Worauf denn? Auf mein Unglück? Sauerzapf, nein! Aber so wird's wohl sein – Waisenkinder sind stets älter als andre Kinder.«

      »Du bist eben ein schwerblütiger Portner,« urteilte der andre in überlegenem Tone, machte seinen Arm frei und blieb stehen. »›Die meisten Portner sind so geartet,‹ sagt mein Vater.«

      »Exempel dafür sind namentlich meine Brüder Bastian und Wolfheinz,« lachte Portner und trommelte auf dem Deckel des Buches, das er unterm Arme trug.

      »Exceptio firmat regulam,« sagte Sauerzapf und zuckte mit den Achseln.

      Dann standen sie schweigend im Sonnenlichte, der blonde Portner und der braune Sauerzapf, beide fast gleich groß, beide stolze Gesellen, und doch einander so unähnlich. Die Schwalben strichen hin und wieder, und am Gasthause zur Krone, gerade über dem Thore, lehnte eine Leiter.

      »Das alte Haus haben sie stattlich heruntergeputzt, es blinkt ja ordentlich,« meinte Portner..

      »Ist auch an der Zeit gewesen,« spottete Sauerzapf; »ich glaube, seit den Tagen des böhmischen Karl ward es nimmer geweißt.«

      Ueber dem Thore stand mit glänzendschwarzen Buchstaben geschrieben: Renoviert Anno Domini 16 . . Die letzten Ziffern der Jahrzahl fehlten, dem Tüncher war wohl die Farbe ausgegangen. Nun aber kam er langsam aus der Tiefe des Thores, hielt mit der Linken das Farbentöpflein am Gürtel und stieg bedächtig mit dem Pinsel zwischen den Zähnen die Leiter empor. Droben spreizte er die Beine, lehnte sich mit den Knieen an die letzte Sprosse und begann zu malen. Und es währte nicht lange, da war die Jahrzahl fertig und glitzerte schwarz, tiefschwarz im Sonnenscheine.

      »Sechzehnhundertneunzehn,« murmelte Portner.

      »Kommst mit herauf?« fragte Sauerzapf. »Meine Mutter hat nie was dagegen, wenn sie mich in deiner Gesellschaft sieht,« setzte er spöttisch hinzu. »›Dieser Portner,‹ pflegt sie seufzend zu sagen, ›ist doch ein durch und durch gediegener Mensch.‹ – Und dann legt sich immer auch gewissermaßen ein Abglanz auf meine nichtswürdige Person.«

      »Ja,« sagte Portner zerstreut und spähte unverwandt die breite Straße hinab zum letzten Hause unter dem Herzogschlosse;»denn jetzt hab' ich gar keine Lust, heimzugehen.«

      »Bei deiner Muhme ist Besuch,« warf der andre hin. »Vor euerm Hause stehen drei gesattelte Gäule.«

      »Gerade deshalb will ich jetzt nicht heim, Sauerzapf. Mein Oheim Hans Andre sitzt bei der Muhme. Ich kenne doch den Eisenschimmel.«

      »Der edle Burghüter!« lachte der andre. »Darf ich dir vielleicht ein Lederkoller mit Stahlplatten aus meines Vaters Waffenkammer anbieten?«

      Hansjörg lächelte.

      »Nur in Eisen und Stahl tritt ihm ein Kluger entgegen;

       Denn ein gräßliches Loch schwätzt er ihm sonst in den Bauch!«

      deklamierte Sauerzapf.

      »An allzuschwerem Blute leidet auch dieser Portner nicht,« sagte Hansjörg und schritt über die Schwelle.

      »Exceptio firmat regulam,« wiederholte der andre mit Nachdruck.

      In der großen Wohnstube der verwitweten Frau Anna Elisabeth von Kemnat pfiffen aus allen Ecken gefangene Vögel, und die alte Dame, die hochaufgerichtet und steif in ihrem Stuhle saß, horchte auf die langen und breiten Geschichten, die der edle Burghüter von Rieden, Hans Andre Portner, erzählte.

      »Und bei alledem, was für geschwinde Zeitläufte sind's, in denen wir leben, Frau Muhme. Ihr müßt's ja doch wissen! Wird unser durchlauchtiger Herr Kurfürst Friedericus der Fünfte die böhmische Krone annehmen oder wird er sie ausschlagen? Ho, potz schlapperment, um Vergebung, Frau Muhme, warum sollt' er sie ausschlagen? Käm' einer zu mir und thät s' mir anbieten – was thät' ich mich lang besinnen? Wer früh sattelt, kann früh reiten – so wollt' ich sagen und ritte gen Böheim.«

      »Wer gern tanzt, dem ist gut pfeifen,« kam's von den spöttisch gekräuselten Lippen der alten Frau.

      »Und wer nichts wagt, gewinnt nichts,« antwortete Portner. »Warum ist denn der Durchlauchtige vor etlichen Wochen so lang in Amberg beim Herrn Statthalter gewesen? Und warum sind die Boten geritten aus Böhmen heraus und nach Böhmen hinein Tag um Tag, bis er gewählt war, der Durchlauchtige? Und wer kann wissen, wie's weitergeht? Krieg wird's, Frau Muhme. Aber die Pfalz und Böhmen werden siegen. Es geht ein Wort vom Statthalter in Amberg um, das er zum Durchlauchtigen

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