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ein frauliches Geräusch, süß und bestrickend; endlich teilten sich die kaum merklichen Atembewegungen der Brust, des Rückens, der Kleider der schönen Frau, ihr ganzes holdes Leben Raphael mit, wie ein elektrischer Funke, der überspringt. Der Tüll und die Spitzen, die an seiner Schulter hinstrichen, übertrugen ihm getreulich die köstliche Wärme dieses weißen nackten Rückens. War es eine Laune der Natur, daß diese beiden durch den guten Ton getrennten und durch die Abgründe des Todes geschiedenen Wesen im selben Takt atmeten und vielleicht aneinander dachten? Ein durchdringendes Aloeparfüm berauschte Raphael vollends. Seine Einbildungskraft, durch ein Hindernis gereizt und die ihr aufgezwungenen Fesseln bis ins Phantastische gesteigert, entwarf gedankenschnell in feurigen Linien das Bild einer Frau. Er wandte sich rasch um. Die Unbekannte, der es gewiß unangenehm war, mit einem Fremden in Berührung zu kommen, machte die gleiche Bewegung; ihre Gesichter, die derselbe Gedanke beseelte, verharrten einander unmittelbar gegenüber.

      »Pauline!«

      »Monsieur Raphael!«

      Starr vor Staunen, sahen sie einander einen Augenblick lang schweigend an. Raphael sah Pauline in schlichter und geschmackvoller Toilette. Durch den Schleier, der ihren Busen keusch verhüllte, hätte ein scharfes Auge die lilienweiße Haut sehen und Formen erraten können, die jede Frau bewundern würde. Dazu bestach sie wie einst durch ihre jungfräuliche Bescheidenheit, ihre himmlische Unschuld, ihre anmutige Haltung. Der Stoff ihres Ärmels verriet das Zittern, welches sich von ihrem bebenden Herzen auf ihren Körper übertrug.

      »Oh«, sagte sie, »kommen Sie morgen in das Hotel Saint-Quentin und holen Sie Ihre Papiere! Ich bin um zwölf Uhr dort. Seien Sie pünktlich!«

      Sie stand rasch auf und entfernte sich. Raphael wollte Pauline folgen, fürchtete, sie zu kompromittieren, blieb, sah Fœdora an und fand sie häßlich; da er aber der Musik nicht mehr zu folgen vermochte, in dem Saal fast erstickte und das Herz ihm überströmte, stand er auf und fuhr nach Hause zurück.

      »Jonathas«, sagte er zu seinem alten Diener, als er im Bett lag, »gib mir ein Tröpfchen Laudanum auf ein Stückchen Zucker und wecke mich morgen erst zwanzig Minuten vor zwölf Uhr.«

      »Ich will von Pauline geliebt werden!« rief er am nächsten Tag und blickte mit unbeschreiblicher Angst auf den Talisman.

      Das Leder bewegte sich nicht um ein Haarbreit, es sah aus, als hätte es seine Kraft, sich zusammenzuziehen, eingebüßt. Ohne Frage konnte es einen Wunsch, der schon erfüllt war, nicht noch einmal erfüllen.

      »Ah!« rief Raphael. Er fühlte sich wie von einem bleiernen Mantel befreit, der seit dem Tage, an dem er den Talisman erhalten hatte, auf ihm lastete.

      »Du lügst«, rief er aus, »du gehorchst mir nicht, der Pakt ist gebrochen! Ich bin frei, ich werde leben. Alles war nur ein schlechter Scherz.«

      Während er diese Worte sprach, wagte er nicht, an seine eigenen Gedanken zu glauben. Er kleidete sich so einfach wie früher und ging zu Fuß in seine einstige Wohnung. Unterwegs versuchte er, sich in jene glücklichen Tage zurückzuversetzen, wo er sich gefahrlos seinen rasenden Begierden überlassen konnte, wo er noch nicht allen menschlichen Freuden abgeschworen hatte. So ging er seines Wegs, sah Pauline vor sich, nicht mehr die Pauline des Hotel Saint-Quentin, sondern die des vergangenen Abends, diese vollendete Geliebte, die er so oft erträumt hatte, ein kluges, liebevolles junges Mädchen, das künstlerisches Gefühl besaß, Dichter und Dichtung verstand und im Luxus lebte; mit einem Wort: Fœdora, nur mit einer schönen Seele begabt, oder Pauline als Comtesse und zweifache Millionärin, wie Fœdora es war. Als er auf der abgetretenen Schwelle stand, auf der zerbrochenen Fliese an dieser Tür, wo er so oft mit seinen verzweifelten Gedanken gestanden hatte, trat eine alte Frau aus dem Vorsaal und fragte ihn:

      »Sind Sie nicht Monsieur Raphael de Valentin?«

      »Jawohl, gute Frau«, antwortete er.

      »Sie kennen Ihr altes Zimmer«, fuhr sie fort, »Sie werden dort erwartet.«

      »Wird dieses Haus nicht mehr von Madame Gaudin geführt?« fragte Raphael.

      »O nein, Monsieur, Madame Gaudin ist jetzt Baronin. Sie wohnt in einem schönen Haus, das ihr gehört, auf der anderen Seite des Flusses. Ihr Mann ist zurückgekehrt. Ja, sehen Sie, der hat einen schönen Batzen Geld mitgebracht. Die Leute sagen, sie könnte das ganze Quartier Saint-Jacques kaufen, wenn sie wollte. Sie hat mir die ganze Einrichtung und die restliche Pacht umsonst überlassen. Ja, sie ist eine gute Frau geblieben. Sie ist heute nicht stolzer, als sie gestern war.«

      Raphael stieg langsam zu seiner Mansarde hinauf. Als er die letzten Treppenstufen erreichte, hörte er die Klänge des Klaviers. Pauline war da; sie trug ein einfaches Kattunkleid; aber der Schnitt des Kleides, die Handschuhe, der Hut, der Schal, nachlässig aufs Bett geworfen, sprachen von großem Reichtum. »Aber da sind Sie ja!« rief Pauline und wandte sich um. Sie sprang rasch auf und verhehlte ihre Freude nicht. Raphael setzte sich neben sie. Er war errötet, beschämt, glücklich. Er betrachtete sie, ohne ein Wort zu sagen.

      »Warum haben Sie uns denn verlassen?« fragte sie, schlug die Augen nieder, und purpurne Röte überzog ihr Antlitz. »Wie ist es Ihnen ergangen?«

      »Ach, Pauline, ich war sehr unglücklich und bin es noch!«

      »Ach!« rief sie bewegt; »ich habe Ihr Schicksal gestern abend geahnt. Ich sah, wie fein Sie gekleidet waren, wie reich Sie aussahen, aber in Wirklichkeit, nicht wahr, Monsieur Raphael, ist es immer noch wie früher?«

      Valentin konnte die Tränen nicht zurückhalten, die aus seinen Augen rollten. »Pauline! …« rief er. »Ich …«

      Er brach ab. Seine Augen strahlten vor Liebe, und sein ganzes Herz lag in seinen Blicken.

      »Oh! Er liebt mich! Er liebt mich!« rief Pauline.

      Raphael nickte stumm. Er fühlte sich außerstande, ein einziges Wort hervorzubringen. Bei dieser Bewegung ergriff das junge Mädchen seine Hand, drückte sie und sagte bald lachend, bald schluchzend: »Wir sind reich, reich, glücklich und reich! Deine Pauline ist reich! Aber heute müßte ich eigentlich sehr arm sein. Ich habe tausendmal gesagt, ich wollte für dieses Wort: »Er liebt mich!« alle Schätze der Erde geben. O mein Raphael! Ich besitze Millionen. Du liebst den Luxus, du sollst zufrieden sein; aber du mußt auch mein Herz lieben; es lebt soviel Liebe für dich darin! Du weißt es noch nicht? Mein Vater ist zurückgekommen. Ich bin eine reiche Erbin. Meine Mutter und er überlassen es mir, über mein Leben frei zu bestimmen; ich bin frei, verstehst du?«

      Raphael war wie im Taumel; er hielt Paulines Hände und küßte sie so glühend, so gierig ungestüm, ja fast gewaltsam. Pauline machte ihre Hände frei, legte sie auf Raphaels Schultern und zog ihn an sich; sie umfingen, umarmten und küßten sich mit der heiligen, köstlichen Glut, die keinen anderen Gedanken kennt und die man in einem einzigen Kuß empfängt, im ersten Kuß, wenn zwei Seelen Besitz voneinander ergreifen.

      »Ach!« rief Pauline und sank in den Stuhl zurück. »Ich will dich nie mehr verlassen. Ich weiß nicht, woher ich soviel Kühnheit nehme!« setzte sie errötend hinzu.

      »Kühnheit, meine Pauline? Oh, fürchte nichts, das ist die Liebe, die wahre Liebe, so tief, so ewig wie die meine. Ist es nicht so?« »Oh! sprich, sprich!« rief sie; »dein Mund war so lange stumm für mich!«

      »Du liebtest mich also?«

      »O Gott! ob ich dich liebte! Wie oft habe ich geweint, hier, wenn ich dein Zimmer aufräumte, wie oft habe ich dein und mein Elend beklagt. Ich hätte mich dem Teufel verschrieben, um dir einen Kummer zu ersparen! Heute »mein Raphael« sagen zu dürfen. Ja, du bist mein; mein dieser schöne Kopf, mein dein Herz! O ja, dein Herz vor allem, ein unergründlicher Schatz! Nun, wo hielt ich vorhin inne?« fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. »Ja, siehst du, wir haben drei, vier, fünf Millionen, glaube ich. Wenn ich arm wäre, würde ich mir vielleicht wünschen, deinen Namen zu tragen, deine Frau genannt zu werden; jetzt aber möchte ich dir die ganze Welt opfern, möchte ich noch immer deine Magd sein und immer und ewig bleiben. Siehst du, Raphael, wenn ich dir heute mein Herz, meine Person, mein Vermögen darbringe, gebe ich dir nicht mehr als damals, als ich hier hinein« – sie zeigte auf die Tischlade – »ein gewisses 100-Sous-Stück schob. Oh! wie hat mir damals deine Freude weh getan!«

      »Warum

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