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erzählt, und ich würde aus Ihrem Munde gern irgendein Kriegsabenteuer hören. Gern hab' ich, was Sie mir über Napoleon erzählt haben, aber es tut mir weh… Wenn Sie so liebenswürdig wären…«

      »Sie hat recht,« rief Benassis leise, »Sie sollten uns irgendein schönes Abenteuer erzählen, während wir wandern. Los denn! eine interessante Sache wie die mit Ihrem Balken an der Beresina?«

      »Ich habe recht wenig Erinnerungen,« sagte Genestas. »Es gibt Menschen, denen alles begegnet, ich aber habe nie der Held irgendeiner Geschichte sein können. Halt, hier ist das einzig Spaßhafte, was mir passiert ist. Anno 1815 – ich war erst Unterleutnant – gehörte ich zur großen Armee und befand mich bei Austerlitz. Ehe wir Ulm nahmen, mußten wir einige Gefechte liefern, wobei die Kavallerie großartig angriff. Ich stand damals unter Murats Befehl, der nicht gerne aufs Ausspielen verzichtete. Nach einer der ersten Schlachten des Feldzuges bemächtigten wir uns eines Landstriches, wo es mehrere schöne Besitzungen gab. Am Abend verschanzte sich mein Regiment in dem Park eines schönen Schlosses, das von einer jungen und hübschen Frau, einer Gräfin, bewohnt wurde; ich will natürlich bei ihr wohnen und eile, um jede Plünderung zu verhindern. Ich komme gerade in dem Moment in den Salon, wo mein Unteroffizier das Gewehr auf die Gräfin anlegte und roh von ihr forderte, was diese Frau ihm sicherlich nicht gewähren konnte, er war zu häßlich! Mit einem Säbelhieb schlage ich seinen Karabiner hoch, der Schuß geht in einen Spiegel; dann versetze ich meinem Manne einen Tritt in die Kehrseite und strecke ihn zu Boden. Auf die Schreie der Gräfin und den Knall des Schusses hin laufen ihre Leute herbei und bedrohen mich.

      ›Haltet ein,‹ ruft sie ihnen, die mich aufspießen wollten, auf deutsch zu, ›dieser Offizier hat mir das Leben gerettet!‹

      Sie entfernten sich. Die Dame hat mir ihr Taschentuch geschenkt, ein schönes gesticktes Tüchlein, das ich noch besitze, und hat mir gesagt, ich würde stets ein Asyl auf ihrer Besitzung haben, und wenn ich je einen Kummer hätte, welcher Art er auch sein möge, stets würde ich in ihr eine Schwester und ergebene Freundin haben; kurz, sie wußte sich nicht genugzutun. Die Frau war schön wie ein Hochzeitstag und niedlich wie ein junges Kätzchen. Wir haben zusammen gespeist. Anderen Morgens war ich rasend verliebt geworden; aber anderen Morgens mußte ich auf der Höhe von Günzburg, glaub' ich, sein, und ich zog mit meinem Taschentuche bewaffnet ab.

      Der Kampf hebt an; ich sage mir:

      Mir die Kugeln! Mein Gott, sollte es denn unter allen denen, die vorbeisausen, nicht eine für mich geben? Doch ich wünschte mir keine in den Schenkel, dann hätte ich ja nicht ins Schloß zurück können. Ich hatte es nicht satt, ich wollte nur eine schöne Verwundung am Arm haben, um von der Prinzessin verbunden und verhätschelt zu werden. Wie ein Wütender stürzte ich mich auf den Feind. Ich habe kein Glück gehabt, bin heil und gesund davongekommen! Keine Prinzessin mehr, es hieß marschieren. Das ist die Geschichte…«

      Sie waren bei Benassis angelangt, der sofort aufsaß und verschwand. Als der Arzt zurückkam, hatte sich die Köchin, der Genestas seinen Sohn anempfohlen, bereits Adriens bemächtigt und ihn in Monsieur Graviers berühmtem Zimmer untergebracht. Außerordentlich erstaunt war sie, als ihr Herr befahl, sie solle ein einfaches Gurtbett in seinem eigenen Zimmer für den jungen Mann herrichten; und er ordnete dies in einem so kategorischen Tone an, daß Jacquotte unmöglich den geringsten Einwand erheben konnte. Nach dem Essen machte sich der Major wieder auf den Weg nach Grenoble und war glücklich über die beruhigenden Versicherungen, die Benassis über des Kindes baldige Genesung wiederholte.

      In den ersten Dezembertagen, acht Monate, nachdem er dem Arzte sein Kind anvertraut hatte, wurde Genestas zum Oberstleutnant eines in Poitiers stehenden Regimentes ernannt. Er gedachte Benassis von seiner Abreise in Kenntnis zu setzen, als er einen Brief von ihm erhielt, in welchem sein Freund ihm Adriens völlige Genesung mitteilte.

      »Das Kind«, schrieb er, »ist groß und kräftig geworden, es geht ihm prachtvoll. Seit Sie ihn nicht gesehen haben, hat er sich Butifers Unterweisungen so gut zunutze gemacht, daß er ein ebenso glänzender Schütze ist wie unser Schmuggler selber. Ueberdies ist er flink und beweglich, ein guter Fußgänger und ein tüchtiger Reitersmann. Er hat sich von Grund auf geändert. Der sechzehnjährige Bursche, der unlängst keine zwölf Jahre alt zu sein schien, sieht jetzt wie ein Zwanzigjähriger aus. Sein Blick ist sicher und stolz. Er ist ein Mann, und ein Mann, an dessen Zukunft Sie jetzt denken müssen.«

      Ich will Benassis ganz gewiß morgen besuchen, und seine Meinung über den Beruf hören, den ich den Burschen ergreifen lassen soll, sagte Genestas sich, als er zu dem Abschiedsmahle ging, das seine Offiziere ihm gaben; denn er sollte nur noch einige Tage in Grenoble bleiben.

      Als der Oberstleutnant nach Hause kam, gab sein Bursche ihm einen Brief, den ein Bote gebracht, der lange auf Antwort gewartet hatte. Obwohl er durch die Toaste, welche die Offiziere auf ihn ausgebracht hatten, ziemlich angeheitert war, erkannte Genestas seines Sohnes Handschrift, glaubte, daß er ihn um die Befriedigung irgendeines Wunsches bäte, wie junge Leute ihn haben, und ließ den Brief auf dem Tische liegen, wo er ihn anderen Morgens, als die Champagnerdünste sich verflüchtigt hatten, wiederfand. »Mein lieber Vater!«

      Ei, kleiner Schelm, sagte er sich, du schmeichelst mir ja immer, wenn du etwas haben willst!

      Dann nahm er den Brief wieder vor und las folgende Worte:

      »Der gute Monsieur Benassis ist tot …«

      Der Brief entfiel Genestas' Händen; erst nach einer langen Pause nahm er seine Lektüre wieder auf.

      »Das Unglück hat das ganze Land in Bestürzung versetzt und uns um so mehr überrascht, als Monsieur Benassis am Abend vollkommen wohl war und keinerlei Krankheitserscheinungen zeigte. Wie wenn er sein Ende vorausgeahnt hätte, besuchte er vorgestern noch alle seine Kranken, selbst die am entferntesten wohnenden; er hat mit allen Leuten, die ihm begegneten, gesprochen und zu ihnen: ›Lebt wohl, meine Freunde‹ gesagt.

      Seiner Gewohnheit nach ist er gegen fünf Uhr zurückgekommen, um mit mir zu essen. Jacquotte fand sein Gesicht ein bißchen rot und violett; da es kalt war, gab sie ihm kein Fußbad, das sie ihn gewöhnlich zu nehmen zwang, wenn sie sah, daß ihm das Blut zu Kopf gestiegen war. Auch ruft das arme Mädchen seit zwei Tagen, während sie ihre Tränen strömen läßt: ›Wenn ich ihm ein Fußbad gegeben hätte, lebte er noch!‹ Monsieur Benassis hatte Hunger, er aß tüchtig und war heiterer als gewöhnlich. Wir haben zusammen gelacht, und noch niemals hatte ich ihn lachen sehen. Nach dem Essen um sieben Uhr wollte ihn ein Mann aus Saint-Laurent-du-Pont zu einem sehr dringlichen Fall holen. Er sagte zu mir:

      ›Ich muß hin; indessen ist meine Verdauung noch nicht zu Ende und in solchem Zustande steige ich nicht gern zu Pferde, vor allem nicht bei kaltem Wetter; das kann einen Menschen umbringen!‹

      Nichtsdestoweniger ritt er fort. Goguelat, der Landbriefträger, brachte um neun Uhr einen Brief für Monsieur Benassis. Jacquotte, die müde vom Wäschewaschen war, legte sich schlafen, vorher gab sie mir den Brief und bat mich, den Tee in unserem Zimmer an Monsieur Benassis' Feuer zu bereiten; denn ich schlafe noch bei ihm in meinem Roßhaarbett. Ich machte das Feuer im Salon aus und ging hinauf, um meinen guten Freund zu erwarten. Ehe ich den Brief auf den Kamin legte, sah ich mir in einer Regung von Neugier Poststempel und Schrift an. Der Brief kam aus Paris und die Adresse schien mir eine Frau geschrieben zu haben. Ich sage Ihnen das des Einflusses wegen, den dieses Schreiben auf das Ereignis gehabt hat. Gegen zehn Uhr hörte ich Pferdegetrappel und dann Monsieur Benassis zu Nicolle sagen:

      ›Es ist eine Hundekälte, ich fühle mich nicht wohl.‹

      ›Wünschen Sie, daß ich Jacquotte wecke?‹

      ›Nein, nein!‹

      Und er kam herauf.

      ›Ich hab' Ihnen Ihren Tee gemacht!‹ sagte ich zu ihm.

      ›Danke, Adrien,‹ antwortete er, mich, Sie wissen ja wie, anlächelnd.

      Das war sein letztes Lächeln. Er nahm dann seine Halsbinde ab, wie wenn er ersticke.

      ›Es ist heiß hier!‹ sagte er. Dann warf er sich in einen Sessel.

      ›Es ist für Sie ein Brief angekommen, mein lieber Freund, hier ist er,‹ sage ich zu ihm.

      Er nimmt

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