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Jahr lang hab' ich an sie gedacht, immer hoffte ich, sie würden wiederkommen. Zwei Jahre meines Lebens würd' ich hingegeben haben, nur um diesen Reisenden wiederzusehen, er schien so sanft! Das sind bis zu dem Tage, da ich Monsieur Benassis kennengelernt habe, die größten Ereignisse meines Lebens; denn als meine Herrin mich fortgeschickt hat, weil ich ihr elendes Ballkleid angezogen hatte, hab' ich Mitleid mit ihr empfunden und habe ihr verziehen, und bei meiner Mädchenehre, wenn Sie mir gestatten, frei heraus zu sprechen, ich habe mich für viel besser als sie gehalten, obwohl sie Gräfin war.«

      »Nun,« sagte Genestas nach einem Augenblick des Schweigens, »Sie sehen, daß Gott Sie liebgewonnen hat, hier sind Sie, wie der Fisch im Wasser.«

      Bei diesen Worten blickte die Fosseuse Benassis mit Augen voller Dankbarkeit an.

      »Ich möchte reich sein!« sagte der Offizier.

      Diesem Ausrufe folgte ein tiefes Schweigen.

      »Sie schulden mir eine Geschichte!« sagte die Fosseuse endlich in schmeichelndem Tone.

      »Ich will sie Ihnen erzählen,« sagte Genestas. –

      »Am Abend vor der Schlacht bei Friedland,« fuhr er nach einer Pause fort, »war ich mit einem Auftrag ins Quartier des Generals Davoust geschickt worden und kehrte nach meinem Biwak zurück, als ich mich an einer Wegbiegung dem Kaiser gegenüber sehe. Napoleon sieht mich an:

      ›Du bist der Rittmeister Genestas?‹ sagt er zu mir.

      ›Jawohl, Sire.‹

      ›Du bist mit in Aegypten gewesen?‹

      ›Jawohl, Sire.‹

      ›Reite auf diesem Wege hier nicht weiter,‹ sagt er zu mir, ›halt dich links, du wirst dann schneller zu deiner Division stoßen.‹

      Sie können sich nicht denken, mit welch einem gütigen Tone der Kaiser diese Worte zu mir sagte; er, der soviel Wichtigeres zu tun hatte; denn er jagte durchs Gelände, um sein Schlachtfeld kennenzulernen. Ich erzähle Ihnen dieses Erlebnis, um Ihnen zu zeigen, was für ein Gedächtnis er hatte, und auch damit Sie wissen, daß ich zu denen gehörte, deren Gesichter ihm bekannt waren. 1815 hatte ich den Eid geleistet. Ohne diesen Fehler würd' ich heute vielleicht Oberst sein; aber ich habe nie die Absicht gehabt, die Bourbons zu verraten; in jener Zeit habe ich nur gesehen, daß Frankreich verteidigt werden mußte. Ich hab' mich als Eskadronschef bei den Grenadieren der kaiserlichen Garde befunden, und trotz der Schmerzen, die ich noch von meinen Wunden fühlte, hab ich in der Schlacht bei Waterloo meinen Mann gestanden. Als alles verloren war, hab' ich Napoleon nach Paris begleitet; dann, als er Rochefort zu erreichen suchte, bin ich ihm gegen seinen Befehl gefolgt. Ich war sehr froh, darüber wachen zu können, daß ihm auf dem Wege kein Unglück zustieße. Als er sich am Meeresstrande erging, fand er mich denn auch zehn Schritt von ihm entfernt auf Wache.

      ›Nun, Genestas,‹ sagte er, auf mich zutretend, zu mir, ›wir sind also nicht tot?‹

      Das Wort hat mir das Herz im Leibe umgedreht. Wenn Sie es gehört hätten, würden Sie wie ich von Kopf bis zu Füßen gezittert haben. Er zeigte mir jenes verfluchte englische Schiff, das den Hafen blockierte, und sagte zu mir:

      ›Nun ich das da sehe, bedaure ich, mich nicht im Blute meiner Garde ertränkt zu haben!‹

      Ja,« sagte Genestas, den Arzt und die Fosscuse anblickend, »das sind seine eigenen Worte.

      ›Die Marschälle, die Sie gehindert, selber anzugreifen,‹ sagte ich zu ihm, ›und Sie in Ihre Halbkutsche gesetzt haben, waren Ihre Freunde nicht.‹

      ›Komm mit mir!‹ rief er lebhaft; ›die Partie ist nicht zu Ende.‹

      ›Sire, ich werde gern zu Ihnen kommen; im Augenblick aber hab' ich ein mutterloses Kind auf dem Halse und bin nicht frei.‹

      ›Adrien, den Sie da sehen, hat mich also daran gehindert, nach Sankt Helena zu gehen.‹

      ›Nimm,‹ sagte er zu mir, ›ich habe dir nie etwas gegeben; du gehörtest nicht zu denen, die immer eine Hand gefüllt und die andere offen hatten; hier ist die Tabaksdose, die ich während dieses letzten Feldzuges benutzt habe. Bleibe in Frankreich; da sind vor allem jetzt tapfere Leute nötig. Harre im Dienste aus und erinnere dich meiner. Du bist der letzte Aegypter von meiner Armee, den ich in Frankreich aufrecht gesehen haben werde.‹

      Und er gab mir eine kleine Tabakdose. ›Laß darauf gravieren: »Ehre und Vaterland«,‹ sagte er zu mir, ›das ist die Geschichte unserer beiden letzten Feldzüge.‹

      Als dann seine Begleiter zu ihm traten, blieb ich den ganzen Morgen mit ihnen zusammen. Der Kaiser schritt am Strande auf und ab; er war immer ruhig, manchmal aber runzelte er die Brauen. Um Mittag wurde seine Einschiffung für völlig unmöglich erkannt. Die Engländer wußten, daß er in Rochefort war; entweder mußte er sich ihnen ausliefern oder wieder Frankreich durchqueren. Wir alle waren unruhig! Die Minuten waren wie Stunden. Napoleon befand sich zwischen den Bourbons, die ihn füsiliert haben würden, und den Engländern, die gewiß keine ehrenwerten Menschen sind; denn nie werden sie die Schande von sich abwaschen, mit der sie sich dadurch bedeckt haben, daß sie einen Feind, der um ihre Gastfreundschaft bat, auf einen Felsen warfen. In dieser Angst stellt ihm, ich weiß nicht wer von seiner Begleitung, den Leutnant Doret vor, einen Seemann, der ihm Mittel und Wege unterbreiten wollte, nach Amerika überzusetzen. Tatsächlich lagen im Hafen eine Staatsbrigg und ein Kauffahrteischiff.

      ›Kapitän,‹ sagte der Kaiser zu ihm, ›wie wollen Sie das bewerkstelligen?‹

      ›Sire‹, antwortete der Mann, ›Sie werden auf dem Handelsschiffe sein, ich will die Brigg unter der Parlamentärflagge mit ergebenen Leuten besteigen; wir nähern uns dem Engländer, wir stecken ihn in Brand, wir werden in die Luft fliegen und Sie werden freie Fahrt haben.‹

      ›Wir wollen mit Ihnen gehen,‹ rief ich dem Kapitän zu.

      Napoleon sah uns alle an und sagte:

      ›Erhalten Sie sich Frankreich, Kapitän Doret.‹

      Es war das einzigemal, wo ich Napoleon bewegt gesehen habe. Dann machte er uns ein Zeichen mit der Hand und ging ins Haus. Ich brach auf, als ich ihn an dem englischen Schiffe hatte anlegen sehen. Er war verloren und wußte das. Es gab einen Verräter im Hafen, der den Feinden durch Signale des Kaisers Anwesenheit mitteilte. Napoleon hat also ein letztes Mittel versucht, er hat getan, was er auf den Schlachtfeldern tat, er ist zu ihnen gegangen, anstatt sie zu sich kommen zu lassen. Sie sprachen von Kummer, nichts kann Ihnen die Verzweiflung derer schildern, die ihn um seiner selbst willen geliebt haben.«

      »Wo ist denn seine Tabakdose?« fragte die Fosseuse.

      »In Grenoble in einer Schachtel,« antwortete der Major.

      »Ich komme sie mir anschauen, wenn Sie's mir erlauben. Sagen, daß Sie etwas besitzen, was er in seinen Händen gehabt hat … Er hatte eine schöne Hand?«

      »Eine sehr schöne.«

      »Ist es wahr, daß er gestorben ist? Dort; sagen Sie mir bitte die Wahrheit.«

      »Ja gewiß, er ist tot, mein armes Kind.«

      »Ich war 1815 so klein; daß ich immer nur seinen Hut habe sehen können; auch wär' ich beinahe dabei erdrückt worden in Grenoble.«

      »Das ist mir ein guter Sahnekaffee,« sagte Genestas. – »Nun, Adrien, gefällt dir das Land hier? Wirst du das Fräulein besuchen?«

      Das Kind antwortete nicht; es schien Angst zu haben, die Fosseuse anzusehen. Benassis ließ nicht nach, den jungen Mann zu beobachten, in dessen Seele er zu lesen schien.

      »Gewiß wird er sie besuchen,« sagte Benassis. »Aber kehren wir nach Hause zurück, ich muß eins meiner Pferde holen, um einen ziemlich langen Weg zu reiten. Während meiner Abwesenheit werden Sie sich mit Jacquotte verständigen.«

      »Kommen Sie doch mit uns,« sagte Genestas zur Fosseuse.

      »Gern,« antwortete die, »ich hab' Madame Jacquotte mehrere Sachen zurückzubringen.«

      Sie machten sich auf den Weg, um zum Hause des Arztes zurückzukehren, und die Fosseuse, welche sich durch diese Gesellschaft aufgeheitert fühlte, führte

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