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Erzählung süß gewesen, ist das nicht eine gute Vorbedeutung?«

      Genestas drückte Benassis' beide Hände lebhaft, ohne einige Tränen unterdrücken zu können, die seine Augen feuchteten und über seine braunen Backen rannen.

      »Behalten wir das alles für uns,« sagte er.

      »Ja, Major … Sie haben nicht getrunken?«

      »Ich habe keinen Durst,« antwortete Genestas, »ich bin ganz dumm!«

      »Nun, wann wollen Sie ihn mir bringen?«

      »Morgen schon, wenn Sie wollen. Er ist seit zwei Tagen in Grenoble.«

      »Gut, reiten Sie morgen früh und kommen Sie wieder; ich werde Sie bei der Fosseuse erwarten, wo wir alle vier zusammen frühstücken wollen.«

      »Abgemacht!« sagte Genestas.

      Die beiden Freunde legten sich schlafen, indem sie sich gegenseitig eine gute Nacht wünschten. Als Genestas auf dem Treppenabsatz war, der ihre Zimmer trennte, stellte er sein Licht aufs Fensterbrett und trat auf Benassis zu.

      »Gottsdonner!« rief er mit einer naiven Begeisterung, »ich will Sie heute abend nicht verlassen, ohne Ihnen zu sagen, daß Sie, als dritter unter den Christen, mir begreiflich gemacht haben, daß es da oben etwas gibt!«

      Und er zeigte gen Himmel.

      Der Arzt antwortete mit einem Lächeln voller Melancholie und drückte sehr liebevoll die Hand, die Genestas ihm hinstreckte.

      Am folgenden Morgen brach der Major Genestas vor Tau und Tag nach der Stadt auf, und gegen Mittag des gleichen Tages befand er sich auf der großen Straße von Grenoble nach dem Flecken, auf der Höhe des Fußpfades, der zur Fosseuse führte. Er saß in einem jener offenen vierräderigen Wagen, die von einem Pferde gezogen werden, einem leichten Wagen, wie man sie auf allen Straßen solcher Gebirgsländer trifft. Als Begleiter hatte Genestas einen mageren und kümmerlichen jungen Mann, der erst zwölfjährig zu sein schien, obwohl er in sein sechzehntes Lebensjahr eintrat. Ehe er ausstieg, hielt der Offizier nach verschiedenen Richtungen Umschau, um auf den Feldern einen Bauern zu entdecken, der es auf sich nähme, den Wagen zu Benassis zu bringen; denn die Engigkeit des Pfades ließ es nicht zu, ihn bis nach dem Hause der Fosseuse zu fahren. Der Feldhüter bog zufällig in den Weg ein und befreite Genestas aus der Verlegenheit, und dieser konnte nun mit seinem Adoptivsohn zu Fuß auf den Gebirgspfaden den Ort des Stelldicheins erreichen.

      »Wirst du nicht froh sein, Adrien, ein Jahr lang in diesem schönen Lande herumzustreifen und jagen und reiten zu lernen, anstatt über deinen Büchern blaß zu werden? He, sieh dir das mal an!« Adrien warf auf das Tal den müden Blick eines kranken Kindes; aber gleichgültig, wie es alle jungen Leute Naturschönheiten gegenüber sind, sagte er, ohne im Gehen innezuhalten: »Sie sind sehr gut, lieber Vater.«

      Genestas' Herz krampfte sich bei dieser krankhaften Gleichgültigkeit zusammen, und er erreichte das Haus der Fosseuse, ohne weiter das Wort an seinen Sohn gerichtet zu haben.

      »Sie sind pünktlich, Major!« rief Benassis, von der Holzbank aufstehend, auf der er gesessen hatte.

      Aber er nahm alsbald wieder seinen Platz ein und verharrte ganz nachdenklich, als er Adrien sah. Langsam studierte er dessen gelbes und müdes Gesicht, nicht ohne die schönen ovalen Linien zu bewundern, die in dieser edlen Physiognomie vorherrschten. Das Kind, ein lebendes Abbild seiner Mutter, besaß ihren ins olivenfarbene spielenden Teint und ihre schönen schwarzen, geistvoll melancholischen Augen. Alle Kennzeichen jüdisch-polnischer Schönheit fanden sich in diesem dichtbehaarten Kopfe vereinigt, der zu groß für den zarten Körper war, dem er angehörte.

      »Schläfst du gut, mein kleiner Mann?« fragte ihn Benassis.

      »Ja, mein Herr.«

      »Zeig' mir deine Knie, zieh dein Beinkleid hoch.«

      Adrien löste errötend seine Strumpfbänder und zeigte sein Knie, das der Arzt sorgsam abtastete.

      »Schön. Sprich, schrei, schrei laut!«

      Adrien schrie.

      »Genug! Gib mir deine Hände.«

      Der junge Mann streckte ihm weiche und weiße Hände hin, die blaugeädert waren wie die einer Frau.

      »Auf welchem Gymnasium warst du in Paris?«

      »Im Saint-Louis-Gymnasium.«

      »Las euer Direktor nicht in seinem Breviere während der Nacht?«

      »Ja, mein Herr.«

      »Du schliefst also nicht die ganze Nacht?«

      Da Adrien nicht antwortete, sagte Genestas zum Arzte: »Der Direktor ist ein würdiger Priester, er hat mir geraten, meinen kleinen Mosjö seiner Gesundheit wegen fortzunehmen.«

      »Nun wohl,« antwortete Benassis, einen leuchtenden Blick in Adriens zitternde Augen tauchend, »es gibt noch Hilfe. Jawohl, wir werden einen Mann aus dem Kinde hier machen. – Wir wollen wie zwei Kameraden zusammen leben, mein Junge. Werden früh schlafen gehen und zeitig aufstehen. – Ich werde Ihren Sohn das Reiten lehren, Major. Nach ein oder zwei Monaten, die wir der Wiederherstellung des Magens durch eine Milchkur widmen wollen, werd' ich für ihn einen Waffenschein und eine Jagderlaubnis ausstellen; ich will ihn Butifers Händen übergeben, und sie sollen beide auf die Gemsenjagd gehen. Gewähren Sie Ihrem Sohne vier oder fünf Monate Landaufenthalt, und Sie sollen ihn nicht wiedererkennen, Major. Butifer wird glückselig sein! Ich kenne den Wanderfalken, er soll dich bis in die Schweiz führen, mein kleiner Freund, quer durch die Alpen; er wird dich auf die Spitzen hinaufziehen und dich in sechs Monaten sechs Zoll wachsen machen; er wird deine Wangen rot färben, deine Nerven stählen und dich eure schlechten Gymnasiumsgewohnheiten vergessen lassen. Dann kannst du deine Studien wieder aufnehmen und wirst ein Mann werden. Butifer ist ein ehrenwerter Bursche, wir können ihm die notwendige Summe, um eure Reise- und Jagdkosten zu bestreiten, anvertrauen; seine Verantwortlichkeit wird ihn mir für ein halbes Jahr vernünftig machen und für ihn wird das ebensoviel Gewinn bedeuten.«

      Genestas' Gesicht schien sich bei jedem Worte des Arztes mehr und mehr aufzuklären.

      »Gehen wir frühstücken. Die Fosseuse brennt vor Ungeduld, dich zu sehen,« sagte Benassis, Adrien einen leichten Klaps auf die Wange gebend.

      »Er ist also nicht lungenleidend?« fragte Genestas den Arzt, ihn beim Arme nehmend und beiseite führend.

      »Nicht mehr als Sie und ich.«

      »Aber was hat er?«

      »Bah!« antwortete Benassis, »er ist in den bösen Jahren, das ist alles.«

      Die Fosseuse zeigte sich auf ihrer Türschwelle, und Genestas sah nicht ohne Ueberraschung ihre zugleich einfache und kokette Kleidung. Das war nicht mehr die Bäuerin des Vortages, sondern eine elegante und anmutige Pariserin, die ihm Blicke zuwarf, denen gegenüber er sich schwach fühlte. Der Soldat wandte die Augen auf einen Nußbaumtisch ohne Tischtuch, der aber so gut gebohnt war, daß er wie gefirnist aussah, und auf dem Eier, Butter, eine Pastete und duftende Walderdbeeren standen. Ueberall hatte das arme Mädchen Blumen hingestellt, die erkennen ließen, daß dieser Tag ein Festtag für sie war. Bei diesem Anblick konnte der Major nicht umhin, Sehnsucht nach diesem bescheidenen Haus und dem Grasgarten zu empfinden; er blickte das Mädchen mit einer Miene an, die zugleich Hoffnungen und Zweifel ausdrückte; dann ließ er seinen Blick wieder auf Adrien fallen, dem die Fosseuse Eier vorsetzte, und beschäftigte sich mit ihm, um seine Haltung zu bewahren.

      »Wissen Sie, Major,« sagte Benassis, »um welchen Preis Sie hier Gastfreundschaft genießen? Sie müssen meiner Fosseuse etwas vom Soldatenleben erzählen.«

      »Erst soll der Herr ruhig frühstücken; wenn er aber seinen Kaffee getrunken …«

      »Das will ich gewiß gern tun,« antwortete der Major, »nichtsdestoweniger stelle ich eine Bedingung für meine Erzählung: Sie werden uns ein Erlebnis aus Ihrer früheren Existenz erzählen, nicht wahr?«

      »Aber, mein Herr,« antwortete sie, rot werdend, »mir ist niemals etwas begegnet, was sich der Mühe verlohnte, erzählt zu werden. – Willst du noch ein bißchen von der Reispastete da, mein kleiner Freund?« fragte sie,

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