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hören! Sie können mir diesen Betrug verzeihen, Sie; ich aber, ich werd' ihn mir nie vergeben, ich, Pierre-Joseph Genestas, der ich, um mein Leben zu retten, nicht vor einem Kriegsgerichte lügen würde!«

      »Sie sind der Major Genestas?« rief Benassis, aufstehend.

      Er ergriff des Offiziers Hand, drückte sie sehr freundschaftlich und sagte:

      »So wären wir, wie Sie, mein Herr, vorhin behaupteten, Freunde, ohne uns zu kennen! Ich hab' aufs lebhafteste gewünscht, Sie zu sehen, wenn ich Monsieur Gravier von Ihnen reden hörte: ›Ein Mann aus Plutarch‹, sagte er zu mir von Ihnen.«

      »Ich bin durchaus kein Mann aus Plutarch,« antwortete Genestas, »ich bin Ihrer unwürdig und möchte mich ohrfeigen! Ich mußte Ihnen ganz einfach mein Geheimnis anvertrauen. Aber nein! Ich habe gut daran getan, eine Maske vorzunehmen und selber herzukommen, um hier Erkundigungen über Sie einzuziehen! Ich weiß nun, daß ich schweigen muß. Hätte ich offen gehandelt, würde ich Ihnen Qual bereitet haben. Gott bewahre mich davor, daß ich Ihnen den geringsten Kummer verursache!«

      »Aber, ich verstehe Sie nicht, Major!«

      »Lassen wir's dabei bewenden. Ich bin nicht krank, habe einen schönen Tag verlebt und werde morgen meiner Wege gehen. Wenn Sie nach Grenoble kommen sollten, werden Sie dort einen Freund mehr finden, und das ist kein Freund zum Spaß. Geldbeutel, Säbel, Blut, alles steht Ihnen bei Pierre-Joseph Genestas zur Verfügung. Schließlich haben Sie Ihre Worte auf guten Grund gesät. Wenn ich meinen Abschied kriege, will ich in irgend so ein Loch gehen, dort Bürgermeister werden und Sie nachzuahmen suchen. Wenn mir Ihr Wissen fehlt, werd' ich studieren …«

      »Sie haben recht, mein Herr; der Grundbesitzer, der seine Zeit dazu anwendet, einen einfachen Nutzungsfehler in einer Gemeinde zu verbessern, leistet seinem Lande ebenso gute Dienste wie der beste Arzt: wenn der eine einiger Menschen Schmerzen lindert, verbindet der andere die Wunden des Vaterlands. Doch Sie reizen meine Neugierde aufs höchste. Kann ich Ihnen denn irgendworin nützlich sein?«

      »Nützlich?« sagte der Major mit bewegter Stimme. »Mein Gott, mein lieber Monsieur Benassis, der Dienst, den mir zu erweisen ich Sie bitten wollte, ist beinahe unmöglich. Sehen Sie, ich habe wohl Christenmenschen in meinem Leben getötet, doch kann man Leute töten und ein gutes Herz haben; so rauh ich auch erscheinen mag, kann ich doch gewisse Dinge verstehen …«

      »Aber reden Sie!«

      »Nein, freiwillig mag ich Ihnen keinen Schmerz bereiten.«

      »Oh, Major, ich kann sehr viel ertragen!«

      »Mein Herr,« sagte der Militär bebend, »es handelt sich um eines Kindes Leben …«

      Benassis' Stirn faltete sich plötzlich, er forderte aber Genestas durch eine Gebärde zum Weiterreden auf.

      »Ein Kind,« fuhr der Major fort, »das durch beständige und gewissenhafte Pflege noch gerettet werden kann. Wo aber soll man einen Arzt finden, der imstande wäre, sich einem einzigen Kranken zu widmen? Sicherlich in keiner Stadt. Ich hatte von Ihnen als von einem ausgezeichneten Manne reden hören, hatte aber Angst, von einem angemaßten Rufe getäuscht zu werden. Nun, ehe ich meinen Kleinen jenem Monsieur Benassis, von dem man mir so viele schöne Dinge erzählte, anvertraute, wollte ich ihn kennenlernen. Jetzt …«

      »Genug,« sagte der Arzt. »Das Kind gehört also Ihnen?«

      »Nein, mein lieber Monsieur Benassis, nein; um Ihnen dies Geheimnis zu erklären, müßte ich Ihnen eine Geschichte erzählen, in der ich nicht die schönste Rolle spiele; doch Sie haben mir Ihre Geheimnisse anvertraut, also kann ich Ihnen wohl auch meine sagen.«

      »Warten Sie, Major,« sagte der Arzt, indem er Jacquotte rief, die sofort kam, und bei der er seinen Tee bestellte. »Sehen Sie, Major, abends, wenn alles schläft, schlafe ich nicht … All mein Kummer stürmt dann auf mich ein, und ich suche ihn dann beim Teetrinken zu vergessen. Dies Getränk verschafft mir eine Art nervösen Rauschzustandes, einen Schlaf, ohne den ich nicht leben würde. Wollen Sie immer noch keinen trinken?«

      »Ich ziehe Ihren Eremitagewein vor,« erwiderte Genestas.

      »Gut. – Jacquotte,« sagte Benassis zu seiner Haushälterin, »bringen Sie Wein und Biskuits. – Wir wollen uns für die Nacht berauschen,« fuhr der Arzt, sich an seinen Gast wendend, fort.

      »Der Tee muß Ihnen doch sehr schaden!« sagte Genestas. »Er verursacht mir furchtbare Gichtanfälle, aber ich könnte von dieser Gewohnheit nicht lassen, sie ist zu süß, sie verschafft mir allabendlich einen Augenblick, währenddessen das Leben weniger drückend ist … Nun, ich höre Ihnen zu. Ihre Erzählung wird vielleicht den allzu lebhaften Eindruck der Erinnerungen, die ich eben wachgerufen habe, mildern …«

      »Mein lieber Herr,« sagte Genestas, sein leeres Glas auf den Kamin stellend, »nach dem Rückzuge von Moskau erholte sich mein Regiment in einem kleinen Dorfe Polens. Wir kauften uns dort für ein Sündengeld neue Pferde und blieben bis zu des Kaisers Rückkunft daselbst in Garnison. Nun, da ging's uns gut! Ich muß Ihnen sagen, daß ich damals einen Freund hatte. Während des Rückzuges wurde ich mehr als einmal durch die Sorgfalt eines Unteroffiziers namens Renard gerettet, der für mich Dinge tat, woraufhin zwei Männer außerhalb der Forderungen der Disziplin Brüder sein müssen. Wir waren zusammen in dem gleichen Hause untergebracht, in einem jener aus Holz gezimmerten Rattenlöcher, wo eine ganze Familie hauste und Sie gemeint hätten, kein Pferd einstellen zu können. Diese elende Hütte gehörte Juden, die ihre sechsunddreißig Gewerbe darin ausübten, und der alte Judenvater, dessen Finger nicht zu steif geworden waren, um Gold anzufassen, hatte während unseres Rückzuges gute Geschäfte gemacht. Diese Leute da leben im Dreck und sterben im Golde. Ihr Haus war über Kellern aus Holz, wohlverstanden, erbaut, in welche sie ihre Kinder gesteckt hatten, und vor allem eine Tochter, die schön war, wie eine Jüdin, wenn sie sich sauber hält und nicht blond ist. Die war siebzehnjährig, weiß wie Schnee, hatte Samtaugen, Wimpern schwarz wie Rattenschwänze, glänzende dichte Haare, die zum Streicheln lockten; ein wirklich vollkommenes Geschöpf! Kurz, mein Herr, ich bemerkte als erster diese eigenartigen Vorräte eines Abends, als man mich schlafen wähnte und ich, mich auf der Straße ergehend, in Frieden meine Pfeife rauchte. Wie eine Hundebrut krabbelten die Kinder alle durcheinander. Das war lustig anzusehen. Vater und Mutter aßen mit ihnen zu Abend. Nach langem Hinsehen entdeckte ich in den Rauchschwaden, die der Vater mit seinem Pfeifenqualm hervorrief, die junge Jüdin, die wie ein funkelnagelneuer Napoleon aus einem Haufen grober Sous hervorleuchtete. Ich, mein lieber Benassis, habe nie Zeit gehabt, über die Liebe nachzudenken; doch als ich das junge Mädchen sah, begriff ich, daß ich bis dahin nur der Natur nachgegeben hatte; diesmal aber war alles dabei: Kopf, Herz und der Rest. Ich verliebte mich also vom Kopf bis zu Füßen, oh, aber heftig! Meine Pfeife rauchend, blieb ich da stehen, mit dem Anschauen der Jüdin beschäftigt, bis sie ihre Kerze ausgeblasen und sich schlafen gelegt hatte. Es war mir nicht möglich, ein Auge zuzumachen! Ich blieb die ganze Nacht über auf, stopfte meine Pfeife, rauchte sie und ging die Straße auf und ab. So was hatte ich noch nie erlebt. Es war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich ans Heiraten dachte. Als es Tag wurde, sattelte ich mein Pferd und trabte zwei gute Stunden lang durchs Feld, um wieder frisch zu werden, und ohne es zu merken, hatte ich mein Tier fast lahm geritten …«

      Genestas hielt inne, sah seinen neuen Freund mit unruhiger Miene an und sagte zu ihm:

      »Entschuldigen Sie, Benassis, ich bin kein Redner, ich spreche, wie mir der Schnabel gewachsen ist; wenn ich in einem Salon wäre, würde ich mich genieren, aber vor Ihnen und auf dem Lande . . .«

      »Fahren Sie fort,« sagte der Arzt.

      »Als ich in mein Zimmer zurückkam, fand ich Renard in voller Tätigkeit. Da er mich im Duell getötet wähnte, putzte er seine Pistolen und hatte die Absicht, mit dem, der mich ins Grab gebracht, einen Streit vom Zaune zu brechen … Oh, aber das war ganz des Verschmitzten Charakter! Ich vertraute Renard meine Liebe an und zeigte ihm die Kinderschar. Da mein Renard die Mundart der wunderlichen Käuze dort verstand, bat ich ihn, mir behilflich zu sein, dem Vater und der Mutter meine Anträge zu machen und zu versuchen, eine Verbindung mit Judith herzustellen. Sie hieß nämlich Judith. Kurz, mein Herr, vierzehn Tage lang war ich der glücklichste aller Männer, weil der Jude und seine Frau uns allabendlich mit Judith zusammen essen ließen.

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