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Spanisch lernen, nach und nach umgab ich ihn mit Leuten dieser verschiedenen Länder, die ihn von Kindheit an an die Aussprache ihrer Sprache gewöhnen sollten. Mit Freuden sah ich glänzende Anlagen in ihm, die ich benutzte, um ihn spielend zu belehren. Nicht einen einzigen falschen Gedanken wollte ich in seinen Geist eindringen lassen, vor allem suchte ich ihn frühzeitig an geistige Arbeit zu gewöhnen, ihm jenen schnellen und sicheren Blick, der verallgemeinert, und jene Geduld zu verleihen, die bis zu den kleinsten Einzelheiten der Besonderheiten hinabsteigt; endlich hab' ich ihn dulden und schweigen gelehrt. Ich erlaubte nicht, daß ein unreines oder nur unsauberes Wort vor ihm geäußert wurde. Infolge meiner Sorgfalt trugen die Menschen und die Dinge, mit denen er umgeben war, dazu bei, ihn zu veredeln, seine Seele zu erziehen, ihm Wahrheitsliebe und Abscheu vor der Lüge beizubringen und ihn einfach und natürlich in Worten, Handlungen und Manieren zu machen. Die Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft ließ ihn schnell die äußeren Unterweisungen erfassen, wie die Fähigkeit seiner Intelligenz ihm seine anderen Studien leicht machte. Welch eine hübsche Pflanze hatte ich zu pflegen! Wieviel Freude haben die Mütter! Da hab' ich begriffen, wie die seinige hatte leben und ihr Unglück ertragen können! Das, mein Herr, war das größte Ereignis meines Lebens; und nun komm' ich zu der Katastrophe, die mich in diesen Bezirk geworfen hat. Jetzt will ich Ihnen also die gewöhnlichste Geschichte, die einfachste von der Welt erzählen, die für mich jedoch die schrecklichste war. Nachdem ich einige Jahre lang all meine Sorgen dem Kinde gewidmet hatte, aus dem ich einen Mann machen wollte, bekam ich Angst vor meiner Einsamkeit; mein Sohn wurde größer, er mußte mich verlassen. Die Liebe war in meiner Seele ein Existenzprinzip. Ich empfand ein Liebebedürfnis, das, immer getäuscht, stärker wieder aufstand und mit dem Alter wuchs. In mir ruhten damals alle Bedingungen einer wahren Zuneigung. Ich hatte sowohl die Glückseligkeiten der Beständigkeit, wie das Glück, ein Opfer in Freude zu verwandeln, erprobt und verstanden, die geliebte Frau mußte immer in meinen Handlungen und in meinen Gedanken voranstehen. Ich fand Gefallen daran, in der Einbildung eine Liebe zu empfinden, die jene Stufe der Gewißheit erreicht hatte, wo die Gefühlserregungen zwei Wesen so sehr durchdringen, daß das Glück in das Leben, in die Blicke und in die Worte übergegangen ist und keine Erschütterung mehr verursacht. Solche Liebe bedeutet dann fürs Leben, was das religiöse Gefühl für die Seele bedeutet, sie beseelt, stützt und erhellt. Die eheliche Liebe verstand ich anders, als sie die meisten Männer verstehen, und fand, daß ihre Schönheit, daß ihre Herrlichkeit genau in jenen Dingen beruht, die sie in einer Menge Ehen ersterben lassen. Lebhaft fühlte ich die moralische Erhabenheit eines Lebens zu zweien, welches so innig geteilt wird, daß die gewöhnlichsten Handlungen für die Fortdauer der Gefühle keinerlei Hindernis bedeuten. Wo aber Herzen begegnen, deren Schlag isochron – verzeihen Sie mir diesen wissenschaftlichen Ausdruck – genug ist, um zu solchem himmlischen Bunde zu gelangen? Wenn es ihrer gibt, so schleudern Natur oder Zufall sie so weit auseinander, daß sie sich nicht vereinigen können, sich zu spät kennenlernen oder zu früh durch den Tod geschieden werden. Dieses Verhängnis muß einen Sinn haben, aber ich habe ihn nie erforscht. Ich leide zu sehr an meiner Wunde, um sie zu studieren. Vielleicht ist das vollkommene Glück ein Monstrum, das unsere Spezies nicht fortpflanzen würde. Meine Sehnsucht nach einer derartigen Ehe wurde durch andere Gründe hervorgerufen. Ich hatte keine Freunde. Für mich war die Welt einsam. Es gibt etwas in mir, das sich dem süßen Phänomen des Seelenbundes widersetzt. Einige Menschen haben mich gesucht, nichts aber hat sie mir nahe gebracht, welche Anstrengungen ich in dieser Richtung auch machte. Vielen Männern gegenüber hab' ich das, was die Welt Ueberlegenheit nennt, zum Schweigen gebracht. Ich ging in ihrem Schritte, machte ihre Ideen zu meinen eigenen, ich lachte ihr Lachen, entschuldigte ihre Charakterfehler; hätt' ich Ruhm erlangt, so würde ich ihn ihnen für ein bißchen Zuneigung verkauft haben. Diese Männer haben mich ohne Bedauern verlassen. Alles in Paris ist Fallstrick und Schmerz für Seelen, die dort wahre Gefühle suchen wollen. Wo in der Welt ich meine Füße hinsetzte, brannte der Boden um mich her. Für die einen war meine Nachgiebigkeit Schwäche; wenn ich ihnen die Fäuste des Mannes zeigte, der die Kraft fühlte, eines Tages die Macht auszuüben, war ich bösartig… Für die anderen war jenes köstliche Lachen, das mit zwanzig Jahren aufhört, und dem uns zu überlassen wir uns später fast schämen, ein Grund zum Spott, ich belustigte sie. In unseren Tagen langweilt sich die Welt und verlangt nichtsdestoweniger Ernst in den leichtfertigsten Gesprächen. Eine schreckliche Zeit, wo man sich vor einem höflichen, mittelmäßigen Menschen beugt, der so kalt ist, daß man ihn haßt, dem man aber gehorcht! Später hab' ich die Gründe für solche scheinbaren Inkonsequenzen entdeckt. Die Mittelmäßigkeit, mein Herr, genügt in allen Lebensstunden, sie ist das tägliche Gewand der Gesellschaft; alles, was von dem milden, von mittelmäßigen Leuten geworfenen Schatten abweicht, ist etwas zu Auffallendes. Genie und Originalität sind Kleinodien, die man verwahrt und sorgsam hütet, um sich mit ihnen an gewissen Tagen zu schmücken. Kurz, ich war inmitten von Paris Einsiedler und konnte nichts finden in der Welt, die mir nichts zurückgab, wenn ich ihr alles überlieferte. Und während ich nicht genug von meinem Kinde hatte, um meinem Herzen genugzutun, weil ich Mann war, begegnete ich eines Tages, als ich mein Leben erkalten fühlte, als ich mich unter der Last meiner heimlichen Nöte krümmte, der Frau, die mich die Liebe in ihrer ganzen Gewalt, die Ehrfurcht vor einer eingestandenen Liebe, die Liebe mit ihren reichen Glückshoffnungen, kurz die Liebe sollte kennenlernen lassen! … Ich hatte meine Verbindung mit dem greisen Freunde meines Vaters, der sich meiner Angelegenheiten einst sorgend annahm, erneuert: bei ihm sah ich die junge Person, für die ich eine Liebe fühlte, welche so lange wie mein Leben währen sollte. Je älter der Mensch wird, mein Herr, desto mehr erkennt er den starken Einfluß der Gedanken auf die Ereignisse. Sehr achtenswerte Vorurteile, die von edlen, religiösen Ideen erzeugt worden waren, wurden meines Unglücks Ursache. Dies junge Mädchen gehörte einer außerordentlich frommen Familie an, deren katholische Meinungen auf den Geist einer fälschlicherweise Jansenisten genannten Sekte zurückzuführen waren, die einst Verwirrungen in Frankreich hervorrief; Sie wissen, warum?«

      »Nein …« sagte Genestas.

      »Jansenius, Bischof von Ypern, schrieb ein Buch, worin man Behauptungen zu finden glaubte, die nicht im Einklang mit den Doktrinen des heiligen Stuhles standen. Später schienen die Behauptungen des Textes keine Ketzereien mehr zu sein; einige Schriftsteller gingen sogar so weit, die materielle Existenz der Maximen zu leugnen. Diese nichtigen Streitereien ließen in der gallikanischen Kirche zwei Parteien, die der Jansenisten und die der Jesuiten entstehen. Auf beiden Seiten fanden sich bedeutende Männer. Es war ein Kampf zwischen zwei mächtigen Körperschaften. Die Jansenisten beschuldigten die Jesuiten, eine allzu laxe Moral zu lehren, und strebten nach einer übermäßigen Reinheit der Sitten und Prinzipien. Die Jansenisten waren also in Frankreich eine Art katholischer Puritaner, wenn diese beiden Begriffe sich vereinigen lassen sollten. Während der französischen Revolution bildete sich infolge des wenig bedeutenden Schismas, das das Konkordat hervorrief, eine Kongregation feiner Katholiken, welche die durch die revolutionäre Gewalt und die Zugeständnisse des Papstes eingesetzten Bischöfe nicht anerkannten. Diese Schar von Gläubigen bildete, was man die ›kleine Kirche‹ nennt, deren Schäflein gleich den Jansenisten jene musterhafte Lebensregelmäßigkeit anstrebten, welche für die Existenz aller verfolgten und geächteten Sekten ein notwendiges Gesetz zu sein scheint. Mehrere jansenistische Familien gehörten der kleinen Kirche an. Des jungen Mädchens Eltern hatten diese beiden in gleicher Weise strengen Puritanerlehren angenommen, welche dem Charakter und der Physiognomie etwas Ehrfurchtgebietendes verleihen; denn es ist die Eigentümlichkeit absoluter Doktrinen, die einfachsten Handlungen zu vergrößern, indem sie sie an das zukünftige Leben anknüpfen: daher kommt jene prächtige und süße Herzensreinheit, jene Ehrfurcht vor anderen und vor sich selbst, daher, ich weiß nicht welches empfindliche Gefühl für Recht und Unrecht, ferner eine große Nächstenliebe, aber auch die strikte und, um alles zu sagen, unversöhnliche Gerechtigkeit, endlich ein tiefer Abscheu vor den Lastern, besonders vor der Lüge, die sie alle umfaßt. Ich erinnere mich nicht, köstlichere Augenblicke als die gekannt zu haben, während welcher ich zum ersten Male bei meinem alten Freunde das wahrhafte, schüchterne, an jeden Gehorsam gewöhnte junge Mädchen bewunderte, in der alle dieser Sekte eigentümlichen Tugenden erglänzten, ohne daß sie darum irgendwie stolz darauf war. Ihre biegsame und schlanke Figur verlieh ihren Bewegungen eine Anmut, die ihre Sittenstrenge nicht verringern konnte. Ihr Gesichtsschnitt besaß die Vornehmheit und ihre Züge wiesen die Feinheit einer jungen Person aus adliger Familie auf. Ihr Blick war sanft

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