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würden England nicht einmal den Schwanz eines Adlers geben können! Keine Adler mehr da! Der Rest ist hinreichend bekannt. Der Rote ging zu den Bourbonen über als ein Schuft, der er ist. Frankreich ist niedergetreten; der Soldat ist nichts mehr, man beraubt ihn des ihm Zustehenden, schickt ihn nach Hause zurück, um seinen Platz von Adligen einnehmen zu lassen, die so wenig marschieren konnten, daß es einen dauerte. Man bemächtigt sich Napoleons durch Verrat, die Engländer fesseln ihn auf einer einsamen Insel des großen Meeres an einen Felsen, der sich zehntausend Fuß über die Welt erhebt. Endergebnis: er ist gezwungen, dortzubleiben, bis der Rote ihm zu Frankreichs Glück seine Macht wiedergibt. Die Pariser sagen, er sei tot! Ach ja tot! Man sieht, daß sie ihn nicht kennen. Sie wiederholen solche Aufschneiderei, um das Volk anzuführen und zu veranlassen, sich in ihrer Regierungsbaracke ruhig zu verhalten. Hört: die Wahrheit von allem ist, daß seine Freunde ihn in der Wüste allein gelassen haben, um einer auf ihn gemachten Prophezeiung genugzutun; denn ich hab' vergessen, euch zu sagen, daß sein Name Napoleon soviel heißt wie ›Wüstenlöwe‹. Und das ist wahr wie das Evangelium. Alles andre, was ihr über den Kaiser hören werdet, sind Dummheiten, die keine menschliche Form haben. Weil Gott, seht ihr, eines Volkes Kinde nicht das Recht verliehen haben würde, seinen Namen rot hinzuschreiben, wie er den seinigen auf die Erde geschrieben hat, die sich seiner stets erinnern wird! …

      Es lebe Napoleon, des Volkes und der Soldaten Vater!«

      »Es lebe der General Éblé,« schrie der Pontonier.

      »Wie habt ihr's denn angestellt, daß ihr in der Moskwaschlucht nicht den Tod gefunden habt?« fragte eine Bäuerin.

      »Wenn ich das wüßte! Wir sind dort eingedrungen, ein ganzes Infanterieregiment, weil nur Infanteristen imstande waren, sie zu nehmen, und nur hundert davon blieben auf den Beinen. Die Infanteristen, seht ihr, bedeuten alles in einer Armee …«

      »Nun, und die Kavallerie?« rief Genestas, der sich oben vom Boden hinunterrollen ließ und mit einer Schnelligkeit unten erschien, die den Mutigsten einen Schreckensruf entlockte. »He, mein Alter, du vergißt Poniatowskis roten Lanzenreiter, die Kürassiere, die Dragoner, die ganze Gesellschaft! Als Napoleon, der ungeduldig war, seine Schlacht nicht zum entscheidenden Siege vorwärtsrücken zu sehen, zu Murat sagte: ›Sire, schneide mir das in zwei Stücke!‹, da reiten wir los, anfangs im Trab, dann im Galopp und eins, zwei, drei war die feindliche Armee zerschnitten wie ein Apfel mit einem Messer. Ein Kavallerieangriff, mein Alter, verstehst du, ist eine Kolonne Kanonenkugeln!«

      »Und die Pontoniere?« rief der Taube.

      »Ach ja, liebe Kinder,« fuhr Genestas ganz beschämt über seinen Ausfall fort, als er sich inmitten eines verdutzten und schweigenden Kreises sah, »hier gibt's keine bezahlten Unruhestifter. Da nehmt, trinkt auf den kleinen Korporal!«

      »Es lebe der Kaiser!« schrien die Leute der Spinnstube wie aus einem Munde.

      »Pst! Kinder,« sagte der Offizier und bemühte sich, seinen tiefen Schmerz zu verbergen. »Pst! Er ist mit den Worten: ›Ruhm, Frankreich und Schlacht!‹ gestorben … Liebe Kinder, er hat sterben müssen; sein Gedächtnis aber … niemals!«

      Goguelat machte ein Zeichen der Ungläubigkeit, dann sagte er leise zu seinen Nachbarn:

      »Der Offizier steht noch im Dienste; und es ist ihre Instruktion, dem Volke zu sagen, der Kaiser sei tot. Man muß ihm deshalb nicht böse sein, weil ein Soldat schließlich nur seine Instruktion kennt.«

      Als er die Scheune verließ, hörte Genestas die Fosseuse sagen:

      »Der Offizier dort, wißt ihr, ist ein Freund des Kaisers und ein Freund Monsieur Benassis'!«

      Alle Leute der Spinnstube stürzten nach der Türe, um den Major noch einmal zu sehen, und im Mondenscheine sahen sie ihn des Arztes Arm nehmen.

      »Ich hab' Dummheiten gemacht,« sagte Genestas. »Gehn wir schnell nach Hause. Diese Adler, diese Kanonen, diese Feldzüge! … Ich wußte nicht mehr, wo ich war.«

      »Nun, was sagen Sie zu meinem Goguelat?« fragte ihn Benassis.

      »Mit solchen Erzählungen, mein Herr, wird Frankreich immer die vierzehn Armeen der Republik im Leibe haben, und die Unterhaltung mit Europa wacker mit Kanonenschlägen weiterführen können. Das ist meine Ansicht.«

      In kurzer Zeit erreichten sie Benassis' Wohnung und bald saßen beide nachdenklich rechts und links vom Kamin im Salon, wo das ausgehende Feuer noch einige Funken sprühte. Trotz der Vertrauensbeweise, die er vom Arzte erhalten hatte, zögerte Genestas noch, eine letzte Frage an ihn zu richten, die indiskret erscheinen konnte. Nachdem er ihm aber einige forschende Blicke zugeworfen hatte, wurde er durch ein Lächeln voller Bitterkeit, wie es zuweilen die Lippen wirklich starker Männer umspielt, ein Lächeln, durch das Benassis auf seine stumme Frage schon zustimmend zu antworten schien, ermutigt. Er sagte also zu ihm:

      »Ihr Leben, mein Herr, unterscheidet sich so sehr von dem gewöhnlicher Menschen, daß Sie nicht erstaunt sein werden, mich Sie nach den Gründen Ihrer Zurückgezogenheit fragen zu hören. Wenn Ihnen meine Neugier unschicklich erscheint, werden Sie doch zugeben, daß sie ganz natürlich ist. Hören Sie: ich habe Kameraden gehabt, die ich selbst, nachdem ich mehrere Feldzüge zusammen mit ihnen mitgemacht, niemals geduzt habe; dagegen habe ich andere gehabt, zu denen sagte ich: ›Hol' unser Geld beim Zahlmeister!‹ drei Tage, nachdem wir uns zusammen betrunken hatten, wie das den anständigsten Leuten bei den Liebesmahlen zuweilen passieren kann. Nun, Sie sind einer jener Männer, zu deren Freund ich mich mache, ohne Ihre Erlaubnis abzuwarten, ja ohne recht zu wissen, weshalb!«

      »Hauptmann Bluteau …«

      Jedesmal, wenn der Arzt den falschen Namen aussprach, den sein Gast sich zugelegt hatte, konnte dieser seit einiger Zeit eine leichte Grimasse nicht unterdrücken. Benassis überraschte in jenem Augenblick diesen Ausdruck des Widerwillens und blickte den Offizier fest an, um die Ursache davon zu entdecken. Da es ihm aber recht schwer geworden wäre, die wirkliche herauszubekommen, schrieb er die Bewegung körperlichen Schmerzen zu, und sagte fortfahrend:

      »Hauptmann, ich will von mir erzählen. Seit gestern hab' ich mir bereits mehrere Male einen gewissen Zwang antun müssen, wenn ich Ihnen die Verbesserungen auseinandersetzte, die ich hier habe durchführen können; aber es handelte sich um die Gemeinde und ihre Bewohner, mit deren Interessen die meinen notwendigerweise Hand in Hand gehen. Ihnen jetzt meine Geschichte erzählen, würde heißen, Sie nur von mir unterhalten, und mein Leben ist wenig interessant.«

      »Und wäre es einfacher als das Ihrer Fosseuse,« antwortete Genestas, »so möchte ich's doch kennenlernen, um die Mißgeschicke zu erfahren, die einen Mann Ihres Schlages in diesen Bezirk verschlagen konnten.«

      »Seit zwölf Jahren habe ich geschwiegen, Hauptmann. Jetzt, wo ich, am Rande meines Grabes, den Stoß erwarte, der mich hineinstürzen soll, will ich so ehrlich sein, Ihnen zu gestehen, daß dieses Schweigen mich zu bedrücken anfing. Seit zwölf Jahren leide ich, ohne des Trostes teilhaftig geworden zu sein, den die Freundschaft an schmerzende Herzen verschwendet. Meine armen Kranken, meine Bauern zeigen mir das Beispiel einer vollkommenen Resignation, aber ich verstehe sie, und sie merken das, während niemand hier meine heimlichen Tränen empfangen, noch mir jenen verständnisinnigen Händedruck eines wackeren Mannes, die beste aller Belohnungen geben kann, die niemandem, selbst Gondrin nicht, fehlt.«

      In plötzlicher Bewegung streckte Genestas Benassis die Hand hin, den diese Geste stark ergriff.

      »Vielleicht hätte die Fosseuse mich engelhaft verstanden,« fuhr er mit erregter Stimme fort, »aber sie würde mich vielleicht geliebt haben, und das wäre ein Unglück gewesen. Sehen Sie, Hauptmann, nur ein alter nachsichtiger Soldat, wie Sie es sind, oder ein junger Mensch voller Illusionen könnten meine Beichte hören; denn nur von einem Manne, der das Leben gut kennt oder von einem Kinde, dem es vollkommen fremd ist, würde sie recht verstanden werden. Wenn sie keinen Priester hatten, beichteten die alten Heerführer, wenn sie auf dem Schlachtfelde starben, dem Kreuz ihres Schwertgriffs und machten es zu einem treuen Vertrauten zwischen sich und Gott. Werden Sie nun, eine der besten Klingen Napoleons, Sie, die Sie hart und stark wie Stahl sind, mich vielleicht recht verstehen? Um sich für meine Geschichte zu interessieren, muß man sich in gewisse Zartheiten des Gemüts versetzen und Glaubenssätze teilen können,

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