Скачать книгу

stoßen mußte, tiefer, als ich natürlicherweise fallen mußte; ich faßte die größten Pläne, träumte von Ruhm und schickte mich zur Arbeit an; eine Lustpartie aber beseitigte diese edlen Anwandlungen. Die unbestimmte Erinnerung an meine verunglückten großen Pläne ließ in mir einen trügerischen Glanz zurück, der mich gewöhnte, an mich selbst zu glauben, ohne mir die Schaffensenergie zu verleihen. Diese Faulheit voller Selbstgefälligkeit brachte mich dahin, daß ich nichts weiter war als ein dummer Tropf. Ist nicht ein dummer Tropf, wer die gute Meinung nicht rechtfertigt, die er von sich selber hat? Ich besaß eine Aktivität ohne Ziel und strebte nach den Blumen des Lebens, ohne die Mühe aufzuwenden, die sie zum Aufblühen bringt. Da ich die Hindernisse nicht kannte, hielt ich alles für leicht und schrieb sowohl die wissenschaftlichen wie die pekuniären Erfolge glücklichen Zufällen zu. Für mich war das Genie Marktschreierei. Ich bildete mir ein, weise zu sein, weil ich es werden konnte: und ohne weder an die Geduld, welche die großen Werke erzeugt, noch an das Ausführen zu denken, das ihre Schwierigkeiten enthüllt, spekulierte ich auf jeden Ruhm. Meine Vergnügungen waren schnell erschöpft; das Theater unterhielt mich nicht lange; Paris war also bald leer und öde für einen armen Studenten, dessen Gesellschaft aus einem Greise, der nichts mehr von der Welt wußte, und einer Familie bestand, in der man nur langweiligen Menschen begegnete. Wie alle jungen Leute, die von dem Berufe, den sie ergreifen, unbefriedigt sind, ohne einen festen Begriff noch ein in ihrer Vorstellung lebendes System zu haben, war auch ich ganze Tage lang durch die Straßen, über die Quais, in die Museen und in die öffentlichen Gärten gelaufen. Wenn das Leben unbeschäftigt ist, drückt es in diesem Alter mehr als in einem anderen; denn es ist dann voll verlorenen Schwunges und resultatloser Bewegung. Ich verkannte die Macht, die ein fester Wille in die Hände des jungen Mannes legt, wenn er zu denken versteht und zur Ausführung über alle noch durch den unerschrockenen Glauben der Jugend vermehrten vitalen Kräfte verfügt. Als Kinder sind wir naiv und kennen die Gefahren des Lebens nicht; als Jünglinge erblicken wir seine Schwierigkeiten und seine ungeheure Spannweite: bei solchem Anblick aber sinkt der Mut manchmal. Da wir im Metier des sozialen Lebens noch Neulinge sind, bleiben wir einer Art Unbeholfenheit, einem Gefühle der Betäubung ausgeliefert, wie wenn wir ohne Hilfe in einem fremden Lande wären. In jedem Alter verursachen die unbekannten Dinge unwillkürliche Schreckensregungen. Der junge Mann gleicht dem Soldaten, der gegen Kanonen marschiert und vor Schemen zurückweicht. Er schwankt zwischen den Maximen der Welt; er versteht weder zu geben noch zu nehmen, weder sich zu verteidigen noch anzugreifen; er liebt die Frauen und respektiert sie, als wenn er Angst vor ihnen hätte; seine guten Eigenschaften schaden ihm, er ist ganz Edelmut, ganz Scham und frei von den eigennützigen Berechnungen der Habgier. Wenn er lügt, tut er es zu seinem Vergnügen und nicht um des Gewinstes willen. Inmitten zweifelhafter Wege weist ihm sein Gewissen, mit dem er sich noch nicht abgefunden hat, den guten Weg und er zaudert, ihn einzuschlagen. Die Menschen, die dazu bestimmt sind, durch die Eingebungen des Herzens zu leben, statt auf die Kombinationen zu hören, die vom Kopf ausgehen, verharren lange in dieser Lage. Das war meine Geschichte. Ich wurde der Spielball zweier entgegengesetzter Triebfedern. Ich wurde gleichzeitig durch die Wünsche des jungen Menschen getrieben und immer durch seine sentimentale Albernheit zurückgehalten. Die Pariser Aufregungen sind für Seelen, die mit einer lebhaften Sensibilität begabt sind, nur grausam: die Vorteile, deren sich die überragenden Persönlichkeiten oder die reichen Leute dort erfreuen, reizen die Leidenschaften. In dieser Welt der Größe und Kleinheit dient die Eifersucht häufiger als Dolch denn als Sporn. Inmitten des ständigen Kampfes von Ehrgeiz, Wünschen und Haßgefühlen muß man notwendigerweise entweder das Opfer oder der Mitschuldige dieser allgemeinen Bewegung werden. Unmerklich macht das beständige Bild des glücklichen Lasters und der verspotteten Tugend einen jungen Menschen schwankend; das Pariser Leben nimmt ihm bald den Schmelz des Gewissens; dann beginnt und vollzieht sich das höllische Werk seiner Demoralisation. Die erste der Vergnügungen, diejenige, welche anfangs alle anderen in sich begreift, ist von derartigen Gefahren umgeben, daß es unmöglich ist, über die geringsten Handlungen, die sie hervorruft, nicht nachzudenken und nicht alle ihre Konsequenzen abzuschätzen. Diese Abschätzungen führen zum Egoismus. Wenn irgendein armer Student, durch die Heftigkeit seiner Leidenschaften fortgerissen, sich zu vergessen geneigt ist, bezeigen und verursachen ihm die, welche ihn umgeben, soviel Mißtrauen, daß es ihm recht schwer fällt, es nicht zu teilen, sich nicht gegen seine edelmütigen Ideen zu wehren. Dieser Kampf trocknet sein Herz aus, macht es enger, treibt das Leben ins Gehirn und erzeugt jene Pariser Gefühllosigkeit und jene Sitten, hinter denen sich unter der anmutigsten Frivolität, unter Voreingenommenheiten, die mit Begeisterungen Aehnlichkeit haben, die Politik oder das Geld verbergen. Dort hindert Glückstrunkenheit die naivste Frau nicht, stets ihre Vernunft zu bewahren. Eine solche Atmosphäre mußte mein Benehmen und meine Gefühle beeinflussen. Die Fehler, die mir meine Tage vergifteten, würden für das Herz vieler Leute eine leichte Last gewesen sein; die Südländer aber besitzen eine Religiosität, die sie an die katholischen Wahrheiten und an ein anderes Leben glauben läßt. Dieser Glaube verleiht ihren Leidenschaften eine große Tiefe und ihren Gewissensbissen Beharrlichkeit. Zu der Zeit, da ich Medizin studierte, waren die Angehörigen der Armee überall die Herren; um Frauen zu gefallen, mußte man damals wenigstens Oberst sein. Was war ein armer Student in der großen Welt? Nichts! Durch die Kraft meiner Leidenschaften lebhaft aufgestachelt, und für sie keinen Ausweg wissend, durch Geldmangel bei jedem Schritte gehemmt, Studium und Ruhm für einen allzu langsamen Weg haltend, um mir die Vergnügen zu verschaffen, die mich lockten, zwischen meinen heimlichen Schamgefühlen und den schlechten Beispielen hin und her pendelnd, für die Ausschweifungen in der unteren Schicht auf keinerlei Widerstände stoßend, und, um in die gute Gesellschaft zu kommen, nichts wie Schwierigkeiten sehend, verbrachte ich traurige Tage, eine Beute unklarer Leidenschaften, tötenden Müßiggangs und mit plötzlichen Exaltationen vermischter Entmutigungen.

      Diese Krise endigte schließlich mit einer bei jungen Leuten ziemlich gewöhnlichen Lösung. Stets habe ich größten Widerwillen gegen die Störung eines ehelichen Glücks gehabt; ferner hinderte mich der unwillkürliche Freimut meiner Gefühle, sie zu verbergen: es ist mir physisch also unmöglich gewesen, in einem Zustande offenbarer Lüge zu leben. Die in Hast genossenen Freuden verführen mich nicht sehr, ich liebe das Glück langsam auszukosten. Da ich nicht frischweg lasterhaft war, stand ich meiner Isolierung machtlos gegenüber, nach so vielen vergeblich unternommenen Anstrengungen, um in die große Welt einzudringen, wo ich einer Frau hätte begegnen können, die sich damit abgegeben haben würde, mir die Klippen jedes Weges zu zeigen, mir ausgezeichnete Manieren beizubringen, mir zu raten, ohne meinen Stolz zu empören, und mich überall einzuführen, wo ich für meine Zukunft nützliche Beziehungen hätte anknüpfen können. In meiner Verzweiflung würde mich die gefährlichste Frauengunst vielleicht verführt haben; doch alles fehlte mir, selbst die Gefahr! Und die Unerfahrenheit führte mich in meine Einsamkeit zurück, in der ich angesichts meiner enttäuschten Leidenschaften verharrte. Endlich, mein Herr, knüpfte ich eine anfangs heimliche Liebschaft mit einem jungen Mädchen an, an die ich mich nolens volens wagte, bis sie mein Los zu dem ihren machte. Diese junge Person, die einer anständigen, aber minderbemittelten Familie angehörte, gab ihr bescheidenes Leben bald um meinetwillen auf und vertraute mir furchtlos eine Zukunft an, welche die Tugend ihr in schönem Lichte zeigte. Die Bescheidenheit meiner Lage schien ihr zweifellos die beste der Garantien. Von diesem Augenblick an beruhigten sich die Stürme, die mein Herz verwirrten, meine ausschweifenden Wünsche, mein Ehrgeiz, kurz, alles im Glück, in dem Glücke eines jungen Mannes, der weder die Sitten der Welt, noch ihre Ordnungsmaximen, noch die Macht der Vorurteile kennt; einem vollständigen Glücke aber, wie es das eines Kindes ist. Ist die erste Liebe nicht eine zweite Kindheit, die über unsere Tage der Mühe und Arbeit ausgebreitet liegt? Es gibt Menschen, die das Leben sofort verstehen, es so beurteilen, wie es ist, die Irrtümer der Welt sehen, um sie sich zunutze zu machen, die sozialen Vorschriften, um sie zu ihrem Vorteil zu wenden, und die Tragweite von allem abzuschätzen wissen. Diese kalten Menschen sind nach den menschlichen Gesetzen weise. Dann gibt es arme Dichter, nervöse Leute, die lebhaft empfinden und Fehler begehen; ich gehörte zu den letzteren. Meine erste Zuneigung war anfangs keine wahre Leidenschaft, ich folgte meinem Instinkt und nicht meinem Herzen. Ich opferte ein armes Mädchen mir selbst auf, und es fehlte mir nicht an ausgezeichneten Gründen, mich zu überreden, daß ich nichts Schlechtes tat. Was sie anlangte, so war sie die Hingebung selber, besaß ein goldenes Herz, einen gesunden Verstand und eine schöne Seele. Stets hat sie mir nur ausgezeichnete

Скачать книгу