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voraussagte. Heute ist die medizinische Wissenschaft mit allen Wissenschaften verknüpft, und sich in ihr auszeichnen, ist ein sehr schwer zu erlangender, aber gut belohnter Ruhm. In Paris bedeutet Ruhm immer Geld. Das gute junge Mädchen vergaß sich über mich, teilte mein Leben in all seinen Launen, und ihre Sparsamkeit ließ uns Luxus in meiner bescheidenen Lage finden. Als wir zu zweit waren, hatte ich mehr Geld für meine Launen wie damals, wo ich allein war. Dies, mein Herr, war meine schönste Zeit. Ich arbeitete mit Eifer, hatte ein Ziel, war ermutigt; ich teilte meine Gedanken und meine Handlungen einem Wesen mit, das sich Liebe zu erwerben, und mehr noch, mir durch die Klugheit, die sie in einer Lage entfaltete, wo Klugheit unmöglich erscheint, eine hohe Schätzung einzuflößen verstand. Doch alle meine Tage glichen sich. Diese Monotonie des Glücks, der köstlichste Zustand, den es auf Erden gibt und dessen Wert erst nach allen Stürmen des Herzens geschätzt wird, dieser süße Zustand, in welchem es keine Lebensmüdigkeit mehr gibt, wo die geheimsten Gedanken ausgetauscht werden, wo man verstanden wird, dies Glück nun wurde einem heißblütigen Menschen, der nach sozialen Auszeichnungen lüstern ist, der es satt ist, dem Ruhme nachzujagen, weil er zu langsamen Schrittes geht, bald zur Last. Meine alten Träume drangen wieder auf mich ein. Ungestüm verlangte ich nach den Freuden des Reichtums, und forderte sie im Namen der Liebe. Naiv tat ich solche Wünsche kund, wenn ich abends von einer lieben Stimme in dem Augenblicke gefragt wurde, wo ich mich, melancholisch und nachdenklich, in die Wollüste eines eingebildeten Ueberflusses vertiefte. Zweifelsohne machte ich dann das süße Geschöpf, das sich meinem Glücke geweiht hatte, seufzen. Für sie war es der heftigste Kummer, mich irgend etwas wünschen zu sehen, was sie mir nicht sofort geben konnte. Oh, mein Herr, die Aufopferung des Weibes ist erhaben!«

      Dieser Ausruf des Arztes verriet eine geheime Bitterkeit; denn er verfiel in eine vorübergehende Träumerei, die Genestas respektierte.

      »Nun, mein Herr,« begann Benassis wieder, »ein Ereignis, das diese eingegangene Ehe hätte sichern müssen, zerstörte sie und war die erste Ursache meiner Unglücksfälle. Mein Vater starb und hinterließ ein beträchtliches Vermögen; die Erbschaftsregelung rief mich für einige Monate nach dem Languedoc und ich reiste allein hin. Ich fand also meine Freiheit wieder. Jede Verpflichtung, selbst die süßeste, drückt in jungen Jahren: man muß das Leben erprobt haben, um die Notwendigkeit eines Jochs und die der Arbeit zu erkennen. Ich empfand mit der Lebhaftigkeit eines Kindes des Languedocs das Vergnügen, zu kommen und zu gehen, selbst ohne freiwillig über mein Tun irgend jemand Rechenschaft ablegen zu müssen. Wenn ich auch die Bande, die ich geknüpft hatte, nicht völlig vergaß, so war ich doch mit Interessen beschäftigt, die mich davon abhielten, und unmerklich schwand die Erinnerung an sie. Nicht ohne ein peinliches Gefühl dachte ich daran, sie nach meiner Rückkehr wieder aufzunehmen; dann fragte ich mich, warum sie wieder aufnehmen. Währenddem erhielt ich Briefe, die durchdrungen waren von einer wahren Zärtlichkeit; doch mit zweiundzwanzig Jahren hält ein junger Mann alle Frauen für gleich zärtlich; er weiß noch nicht zwischen Herz und Leidenschaft zu unterscheiden; er vermengt alles in den Sensationen des Vergnügens, die anfangs alles zu umfassen scheinen. Später, viel später erst, als ich die Menschen und die Tatsachen besser kannte, habe ich den wirklichen Adel in diesen Briefen zu schätzen gewußt, worin sich niemals etwas Persönliches mit dem Ausdrucke der Gefühle vermischte, worin man sich für mich meines Vermögens freute, worin man sich seinetwegen darüber beklagte, worin man nicht die Vermutung durchschimmern ließ, daß ich anders werden könnte, weil man sich selber nicht fähig fühlte, anders zu werden. Doch schon überließ ich mich ehrgeizigen Berechnungen und dachte daran, mich in die Freuden des Reichen zu stürzen, eine Persönlichkeit zu werden und eine schöne Heirat zu schließen. Ich begnügte mich mit der Kälte eines Gecken zu sagen: ›Sie liebt mich sehr!‹ Bereits war ich in Sorgen, wie ich es anstellen sollte, mich von dieser Liebschaft frei zu machen. Diese Verlegenheit, diese Scham führt zur Grausamkeit; um vor seinem Opfer nicht rot werden zu müssen, fängt der Mensch damit an, es zu verletzen und tötet es dann. Die Erwägungen, die ich in diesen Tagen der Irrungen anstellte, haben mir viele Abgründe des Herzens entschleiert. Ja, glauben Sie mir, mein Herr, die, welche die Laster und Tugenden der menschlichen Natur am gründlichsten erforscht, sind Menschen, die sie aufrichtig an sich selber studiert haben. Unser Gewissen ist der Ausgangspunkt. Wir schließen von uns auf die Menschen, nie von den Menschen auf uns. Als ich nach Paris zurückkehrte, bewohnte ich ein Haus, das ich hatte mieten lassen, ohne weder von dieser Maßnahme noch von meiner Rückkehr die einzige Person, die Interesse daran hatte, in Kenntnis gesetzt zu haben. Ich wünschte unter den tonangebenden jungen Leuten eine Rolle zu spielen. Nachdem ich einige Tage lang die ersten Wonnen des Wohllebens genossen hatte, und davon trunken genug war, um nicht schwach zu werden, besuchte ich das arme Geschöpf, das ich verlassen wollte. Mit Hilfe des Frauen natürlichen Zartgefühls erriet sie meine geheimen Empfindungen und verbarg mir ihre Tränen. Sie mußte mich verachten; doch, sanft und gut wie immer, zeigte sie mir niemals Verachtung. Diese Nachsicht quälte mich grausam. Ob wir Salon- oder Straßenmörder sind, wir sehen es gern, wenn unsere Opfer sich verteidigen; der Kampf scheint ihren Tod dann zu rechtfertigen. Anfangs erneuerte ich sehr angelegentlich meine Besuche. Wenn ich nicht zärtlich war, bemühte ich mich, liebenswürdig zu erscheinen; dann wurde ich unmerklich höflich; eines Tages duldete sie es aus einer Art stillschweigender Uebereinkunft, daß ich sie wie eine Fremde behandelte, und ich glaubte, mich sehr anständig benommen zu haben. Nichtsdestoweniger überließ ich mich fast mit Raserei dem Wirbel des Großstadtlebens, um in seinen Festen die wenigen Gewissensbisse, die mir noch blieben, zu ersticken. Wer sich selber geringschätzt, kann nicht allein leben, ich führte also das verschwenderische Leben, das in Paris die reichen jungen Leute zu führen pflegen. Da ich Bildung und ein sehr gutes Gedächtnis besaß, schien ich mehr Geist zu haben, als ich in Wirklichkeit hatte, und hielt mich daher für wertvoller als die anderen: die Leute, in deren Nutzen es lag, mir zu beweisen, daß ich ein hervorragender Mensch sei, fanden mich durchaus davon überzeugt. Diese Ueberlegenheit wurde so leicht anerkannt, daß ich mir nicht einmal die Mühe nahm, sie zu rechtfertigen. Von allen Praktiken der Welt ist das Lob die geschickt hinterlistigste. In Paris besonders wissen die Politiker jeder Art ein Talent von seiner Geburt an unter den in verschwenderischer Fülle in seine Wiege geworfenen Kränzen zu ersticken. Ich machte daher meinem Rufe keine Ehre, nutzte mein Ansehen nicht aus, um mir eine Laufbahn zu eröffnen, und knüpfte keine nützlichen Verbindungen an. Ich stürzte mich in tausend Frivolitäten jedweder Art. Ueberließ mich jenen Eintagsleidenschaften, welche die Schande der Pariser Salons sind, wo jeder, nach einer wirklichen Liebe suchend, sich auf der Jagd danach abstumpft, in jene Libertinage verfällt, die als guter Ton gilt, und schließlich über eine wirkliche Leidenschaft ebenso erstaunt ist, wie die Welt sich über eine gute Handlung wundert. Ich ahmte die anderen nach und verletzte unberührte und edle Seelen oft durch die nämlichen Schläge, die mich heimlich verwundeten. Trotz all dieses falschen Scheins, der mich zu falschen Urteilen verleitete, lebte in mir ein unvertilgbares Zartgefühl, dem ich stets gehorchte. Bei sehr vielen Gelegenheiten wurde ich betrogen, wo ich errötet wäre, wenn es nicht geschehen wäre, und brachte mich durch solche Vertrauensseligkeit, zu der ich mich innerlich beglückwünschte, um die Achtung. Tatsächlich ist die Welt voll Respekt vor der Geschicklichkeit, in welcher Form sie sich auch zeigen mag. Für sie gibt überall das Ergebnis das Gesetz. Die Welt schrieb mir also Laster, Eigenschaften, Siege und Mißgeschick zu, die ich nicht hatte; sie dichtete mir galante Erfolge an, von denen ich nichts wußte; sie tadelte mich für Handlungen, mit denen ich nichts zu tun hatte. Aus Stolz verschmähte ich es, Verleumdungen Lügen zu strafen, und nahm aus Selbstgefälligkeit üble Nachreden hin, die mir schmeichelten. Dem Anscheine nach war mein Leben glücklich, in Wirklichkeit kläglich. Ohne die Unglücksfälle, die bald über mich hereinbrachen, hätte ich meine guten Eigenschaften nach und nach verloren und die schlechten durch das ständige Spiel mit den Leidenschaften, durch den Mißbrauch der Genüsse, welche den Körper entnerven, und durch die abscheulichen Gewohnheiten des Egoismus, welche die seelilischen Spannkräfte abnutzen, triumphieren lassen. Ich ruinierte mich. Und zwar auf folgende Weise: Wie groß eines Menschen Vermögen auch sein mag, in Paris stößt er immer auf ein noch größeres, das er zu seinem Zielpunkt macht und das er übertreffen will. Wie so viele Leichtfüße war ich ein Opfer dieses Kampfes und sah mich am Ende von vier Jahren genötigt, einige Besitzungen zu verkaufen und die anderen mit Hypotheken zu belasten. Da sollte mich ein furchtbarer Schlag treffen: Seit zwei Jahren hatte ich die Person, die ich verlassen, nicht gesehen; doch wenn es so weitergegangen

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