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schon vorher arm gemacht; die Kriege kosteten und kosten noch mehr Geld. Es geht der armen Frau kümmerlich.«

      »Hat sich niemals jemand nach ihr erkundigt?« fragte der Domherr.

      »Ich wüsste nicht.«

      Sie waren an einem kleinen Hause hinten in der Stadt angekommen.

      »Hier«, sagte der Postmeister.

      Er wollte den Domherrn in das Haus hinein begleiten.

      »Ich danke Ihnen«, sagte der Domherr. »Ich kann nun den Weg allein finden.«

      Er war gerade aus; das war aber dem Postmeister wohl zu gerade, und der alte Westfale pflegte auch nicht leise aufzutreten.

      »Euer Gnaden«, sagte er, »Sie unterbrachen mich vorhin. Ich sagte Ihnen, dass jedes Kind Sie als den bravsten, mildtätigsten Herrn kennt; Sie find aber auch als ein — nun ja, als ein eigener Kauz bekannt.«

      Der Domherr lachte.

      »Bis nachher, alter Landsmann! Lassen Sie schon setzt gleich die Pferde für mich einspannen! Ich bin zehn Minuten nach Ihnen wieder da.«

      Dann ging er in das Haus.

      »Noch eins«, sagte der Postmeister. »Den Namen Mahlberg kenne nur ich hier. Bei den Leuten heißt sie Frau Mahler.«

      Im Hause traf der Domherr eine alte Frau.

      »Ist die Frau Mahler zu Hause?« fragte er sie.

      »Hinten im Gärtchen.«

      Die Frau öffnete die Tür zu dem Gärtchen.

      Der Domherr trat hinein.

      Es war ein freundlicher kleiner grüner Platz, mit einem Blumenbeet, mit ein paar Gemüsebeeten, mit Johannisbeersträuchern, mit einer Laube zwischen gelben Weiden, unter denen mit leisem Rauschen die Ems dahinfloss.

      In der Laube fand der Domherr eine junge Frau mit einem Kinde.

      Die Frau war eine feine, zarte Gestalt, ein blasses, leidendes Gesicht. Aber das blasse Gesicht war fast wunderbar schön, so regelmäßig, so ausdrucksvoll, übergossen von dem Weh eines großen Unglücks, vielleicht einer schweren Schuld. Unglück und Schuld heben ja die Schönheit, die so oft das eine und die andere verschuldete.

      Sie war mit einer Putzarbeit beschäftigt oder wohl bis dahin beschäftigt gewesen. Die Arbeit lag in ihrem Schoße; ihre Hände ruhten. Ihre Augen waren trübe und nachdenklich auf das Kind gerichtet, das neben ihr in dem Sande der Laube auf einem Kissen schlief.

      Es war ein hübsches Kind von etwa einem Jahre, vielleicht einen oder zwei Monate älter.

      Sie sah den Domherrn erst, als er schon im Eingange der Laube stand.

      Sie erschrak und wollte aufspringen.

      »Madame, bleiben Sie sitzen«, sagte er.

      Er legte ihr die Hand auf die Schulter.

      Sie blieb sitzen.

      »Sie erlauben!« sagte er dann kurz.

      Er setzte sich neben sie.

      Sie sah ihn fragend, forschend an. Sein rasches, ungeniertes Wesen hatte ihren ersten Schreck verdrängt. Die klare Gutmütigkeit in seinem Gesicht ließ sie nicht wieder aufkommen. Nur zweifelhaft und misstrauisch musste sie den jedenfalls sonderbaren und sonderbar sich ihr vorstellenden oder aufdringenden Fremden ansehen.

      Den Domherrn kümmerte das wenig, wie es schien.

      Mit Misstrauen aufgenommen zu werden begegnete ihm seit gestern nicht zum ersten Male. Doch wollte er wohl sobald wie möglich das Vertrauen der armen, unglücklichen Frau gewinnen.

      »Madame«, sagte er, »der Postmeister Feldmann hat mich zu Ihnen geführt, bis an das Haus hier.«

      Sie sah ihn umso fragender an.

      Er hatte indes nur Fragen an sie.

      »Sie heißen Agathe Fahrner, Madame?«

      »Ja, mein Herr.« antwortete die Frau zögernd.

      »Sie wohnen seit etwa fünfviertel Jahren in diesem Städtchen?«

      »Es wird etwa so lange sein.«

      »Sie kamen damals direkt von Minden hierher?«

      Sie besann sich, ehe sie antwortete.

      »Ja«, sagte sie dann. »Ich erkrankte hier. Darauf blieb ich ganz hier.«

      »Ich weiß es. Ihren hiesigen Aufenthalt kennt von den Ihrigen niemand?«

      »Niemand.«

      »Sonderbar!«

      Der Domherr musste seine Unterredung mit der Frau unterbrechen.

      Er dachte wohl darüber nach, wie sein Neffe Gisbert erfahren habe, dass die Frau hier oder doch hier zu ermitteln sei.

      Er fuhr fort:

      »Madame, ich habe nicht viel Zeit. Lassen Sie mich daher kurz sein. Sie sind verheiratet mit dem Regierungsrat Mahlberg?«

      Die Frau hatte keine Antwort, sie sah ihn nur ängstlich fragend, fast wieder erschrocken an.

      »Bringen Sie Nachrichten von ihm?« fragte sie.

      »Sind Sie seine Frau, Madame?«

      »Ja, mein Herr.«

      »Ich habe keine Nachricht von ihm. Ich komme auch, soviel ich weiß, nicht in seinem Auftrage zu Ihnen, weder in direktem noch indirektem. Aber — kennen Sie den Namen von Aschen, Madame?«

      »Nein, mein Herr.«

      »Hm«, sagte der Domherr für sich, »jedes Kind kennt ihn also nicht, wie der Herr Feldmann meinte.«

      Zu der Frau fuhr er fort:

      »Ich bin der Domherr von Aschen, Madame. Der Postmeister Feldmann hier wird für mich bei Ihnen einstehen. Zu Ihnen schickt mich ein Verwandter von mir, den Sie nicht kennen, da Sie nicht einmal unsere Namen kannten. Er steht bei der preußischen Armee vor Charleroi. Er schreibt von dort an mich —«

      Die Frau zuckte zusammen.

      »Er schreibt Ihnen von meinem Mann, mein Herr?«

      »Kein Wort, Madame. Er schreibt mir nur von Ihnen und dass Sie die Gattin eines Kameraden von ihm seien, eines Hauptmanns Mahlberg. Von diesem weiter kein Wort. Von Ihnen aber, damit ich sofort zur Sache komme, setzt er hinzu, dass Sie unglücklich seien und dass ich Sie aufsuchen und mich Ihrer annehmen und für Sie und Ihr Kind sorgen solle.«

      Die Frau hatte das blasse Gesicht mit den magern Händen bedeckt, während er sprach. Auf einmal fuhr sie auf.

      »Auch von meinem Kinde schreibt er?«

      »Wie ich Ihnen sage, Madame.«

      Sie kämpfte heftig mit sich.

      Dann fragte sie ihn, wobei sie ihn fast finster mit den großen dunklen Augen ansah, aus denen so viel Unglück und in diesem Augenblicke zugleich ein tiefer Groll, wohl gegen sie selbst, hervorblickte:

      »Mein Herr, hat Ihr Verwandter Ihnen noch mehr von mir geschrieben?«

      »Nichts, Madame«, sagte der Domherr.

      »Ich beschwöre Sie, mein Herr!«

      »Ich versichere Ihnen, ich habe Ihnen alles gesagt.«

      »Und in welcher Absicht sind Sie hierher zu mir gekommen?«

      »Mich Ihrer anzunehmen, Madame, wie mein Neffe mir schrieb. Sie leben hier nicht glücklich!«

      »Ich bin mit meinem Lose zufrieden.«

      »In steter Sorge und Angst vor dem morgenden Tage!«

      »Der Himmel hat mir bis hierher

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