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erste Nachricht. Aber Sie haben ja auch keine?«

      Die Frau sprach die letzten Worte ängstlich fragend.

      Der Domherr hatte ihr schweigend zugehört.

      »Nein«, sagte er.

      »Aber etwas müssen Sie doch wissen, mein Herr?«

      »Ich habe nur den Auftrag, mich nach ihr zu erkundigen und, wenn sie in Not ist, ihr zu helfen.«

      »Von wem?«

      »Von jemand, den Sie nicht kennen.«

      »Der aber mein Kind kennt?«

      »So wenig wie ich. Leben Sie wohl, Madame.«

      Die Frau hatte weinend ihr Gesicht verhüllt.

      Der Domherr hielt seinen Schritt an.

      »Madame, wenn ich Nachricht von Ihrer Tochter erhalte, teile ich sie Ihnen mit.«

      »O mein Herr, wie werde ich Ihnen dankbar sein!«

      »Hm, hm«, sagte der Domherr draußen auf dem Rückwege zur Post, »ein Rätsel liegt da vor. Wird es das Rätsel eines Verbrechens sein? Hole der Kuckuck diesen Krieg! Auch der Junge, der Gisbert! Und die Gisbertine!«

      Seine Pferde standen bereit. Er fuhr mit seinem alten Diener weiter, in die tiefere Nacht hinein.

      Er konnte ein paar Stunden schlafen.

      Als er erwachte, war eben die Sonne aufgegangen. Er war mitten in einer jener langen und langweiligen Heiden, durch welche die schon vom Kaiser Napoleon angelegte große Chaussee von Wesel nach Münster und weiter läuft.

      Die Sonne war an dem klarsten, reinsten Himmel aufgegangen; kein Wölkchen zog ihr vorher, folgte ihr. So stand sie voll hinten am Rande der unabsehbaren Heide, in gerader Richtung vor dem Domherrn, als er erwachte.

      Er fuhr von Westen nach Osten. Sie stand dunkelrot vor ihm und so groß; sie sah ihn an wie ein gigantisches Blutgesicht.

      Er musste sich schütteln. Ein Grauen erfasste ihn; die Morgenkälte trat hinzu…

      »Heute ist ja der fünfzehnte. Gewiss heute werde es zur Schlacht kommen, schrieb er ja. Sie werden früh an die heiße Arbeit gehen. Mit der blutigen Sonne da! Wie mancher sieht sie zum letzten Male! Vielleicht in diesem Augenblick schon! Auch Gisbert? — Was schreibt er denn? Ich las den Brief nur eilig.«

      Er hatte die beiden Briefe, die er gestern erhielt, zu sich gesteckt; er zog sie hervor. Er wollte sie nochmals lesen. Es vertrieb ihm ja auch die Zeit in der langweiligen Heide, in der er nichts sah als das graue Heidekraut. Nur von dem Briefe Gisberts hatte er gesprochen. Aber die beiden Briefe staken beisammen, und um den einen zu lesen, hatte er den andern mit hervor ziehen müssen, und als er sie beide in der Hand hielt, ging es ihm wieder wie am gestrigen Abende, er las wieder zuerst den Brief der Dame Gisbertine.

      Er lautete:

      »Lieber Onkel! Der Onkel Steinau ist noch immer von seinen Wunden nicht ganz genesen. Namentlich hat er in dem zerschossenen Beine noch sehr heftige Schmerzen und eine solche Schwäche, dass er auf zwei Krücken gehen muss. Die Ärzte wollen daher, dass er in ein Bad gehe.

      Sie wollten ihn nach Pyrmont schicken. Mir fiel etwas anderes ein. Du bist der langjährige Stammgast des Bades Hofgeismar und wirst auch in diesem Jahre wieder hingehen. Der Onkel Steinau bedarf ebenso sehr der Zerstreuung und Aufmunterung wie des Brunnenwassers. Denn dass er diesmal hat zurückbleiben müssen, dass er nicht wieder mit über den Rhein ziehen konnte, dass dort diesmal ohne ihn gekämpft wird, das ist es, was ihn krank, unglücklich, elend macht. In Pyrmont wäre er allein, ohne irgendeinen Bekannten In Hofgeismar bist Du mit Deiner Liebe, Deiner Freundschaft, Deinem Humor. Überdies sehne auch ich mich, Dich, lieber Onkel, wiederzusehen Ich soll nämlich den Onkel Steinau begleiten. Da fragte ich die Ärzte, ob Hofgeismar dieselben Dienste leiste wie Pyrmont. Sie sagten ja. Der Onkel Steinau war gleichfalls einverstanden. So gehen wir nach Hofgeismar, und da habe ich eine Bitte an Dich. Sie besteht darin, Dich so einzurichten, dass Du mit uns zusammen in Hofgeismar ankommst, damit Du, der Du alles da kennst, für uns, die wir völlig unbekannt dort sind, Wohnung und was sonst erforderlich ist, besorgen kannst. Wir reisen heute von Berlin ab und werden am 15. dieses Monats um Mittag in Paderborn sein. An der Post dort wirst Du uns finden. Wir fahren von da zusammen weiter.

      Sollten wir nicht da sein, so haben wir einen andern Weg genommen und werden dann um sieben Uhr abends in Hofgeismar eintreffen, wo wir Dich schon anwesend und ein Quartier, von Dir für uns bestellt, schon vorzufinden hoffen. Adieu, lieber Onkel, auf Wiedersehen.

      Deine Gisbertine.

      N. S. Verzeih’, dass ich so spät, unmittelbar vor unserer Abreise, an Dich schreibe. Ich war vorher zu viel mit Einpacken beschäftigt.«

      Das war der Brief Gisbertinens.

      Der Domherr ärgerte sich doch wieder, als er ihn gelesen hatte.

      »Diese Rücksichtslosigkeit! Als sie mit ihrem Ein packen fertig war, da war es noch Zeit genug, an mich zu schreiben, mich zu ihrem Reisekurier, ihrem Kommissionär zu machen. Ich kann nun Tag und Nacht eilen, mich rädern lassen in diesen alten westfälischen Heiden; auf jeder der vierzig Stationen einen Krontaler Trinkgeld bezahlen, damit sie mit Bequemlichkeit ihre Sachen einpacken konnte. Und von dem Gisbert kein Wort. Und sie hat doch den armen Menschen — o, sie hat kein Herz. Sie kann nur die Leute tyrannisieren. Der arme Steinau! Was er gewollt hat, darauf kam es nicht an. Sie wollte nach Hofgeismar, da musste er mit. Und was will sie in dem kleinen Bade? Sie habe eine Sehnsucht nach mir? Hätte Sie doch noch ein Gewissen? Also auch ein Herz? Herz — Gewissen — ha, was ist denn das eine, was das andere? Lesen wir den zweiten Brief.«

      Er las den zweiten Brief.

      Derselbe lautete folgendermaßen:

      »Lieber Onkel Florens!

      Wir gehen hier ernsten Stunden entgegen; wir stehen unmittelbar vor ihnen…«

      Er unterbrach sich in seinem Lesen.

      Die Sonne war höher, der Tag war heller herauf gestiegen. In der Heide, die anfangs leer gewesen, sah man schon einzelne Menschen. Es waren geringe Bauersleute und Arbeiter aus den vereinzelt am Wege gelegenen kleinen Häusern oder auch den Dörfern, die in weiterer Entfernung aus der Heide hervorblickten. Sie waren mit Hacken, mit Schaufeln, mit Körben und kleinen Handwagen da, zum Stechen und Hauen von Plaggen, die zum Dünger ihrer Gärtchen, zum Heizen, zu anderem gebraucht werden sollten. Männer und Frauen und Kinder waren da; die Frauen hatten die Säuglinge mitgebracht, in den Armen, in den Körben, den kleinen Handwagen. Die ersten, die man an dem kaum erwachten Morgen so sah, waren noch auf dem Wege zu der Arbeit. Eine Strecke weiter waren sie schon am Arbeiten.

      Sie hatten die Arbeit aufgegeben; die Männer lagen lang auf der Erde, neben ihnen die Knaben; sie hatten das Gesicht fest auf den Boden gedrückt; so lagen sie regungslos. Die Frauen standen dabei; sie blickten unverwandt nach den Männern.

      Das sah der Domherr, als er angefangen hatte, den zweiten Brief zu lesen. Er wurde aufmerksam; es kam ihm so sonderbar vor, er unterbrach sich im Lesen.

      »Was haben die Menschen, Schwager?« fragte er den Postillion.

      »Ich weiß es auch nicht, Euer Gnaden.«

      »Es scheint, als wenn sie nach etwas horchten.«

      »Es ist möglich; auf der Heide hört man weit.«

      »Frage sie, Schwager.«

      Der Postillion hielt bei der nächsten Gruppe an.

      Drei Männer lagen auf der Erde, zwei Knaben neben ihnen; zwei Frauen standen dabei, kleine Kinder auf dem Arm. In den Gesichtern der Frauen las man das bleiche Entsetzen.

      »Was gibt’s da, Ihr Leute?« fragte der Postillion.

      »Es wird geschossen«, antwortete eine der Frauen.

      »In der Erde ?«

      »Nein,

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