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Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
Читать онлайн.Название Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Год выпуска 0
isbn 9788027238149
Автор произведения Jodocus Temme
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Telegraphen gab es damals in Deutschland noch nicht.
Nur Posten oder Reisende, die vom Rhein, oder Kuriere, die vielleicht unmittelbar vom Schlachtfelde kamen, konnten Näheres über eine wirkliche Schlacht bringen; sie mussten alle zunächst bei der Post anlangen. Sie konnten freilich nicht fliegen wie jene Töne unter der Erde, aber Angst und Sorge fragen nicht nach dem Können, auch die brennende Neugierde nicht.
»Woher, Schwager?« wurde dem Postillion zugerufen.
»Der Herr kommt vom Rhein«, antwortete der Postillion. »Er muss es eilig haben, denn er hat auf jeder Station einen Krontaler Extratrinkgeld gegeben, damit die Meile in einer halben Stunde gefahren werde.«
»Ein Kurier, der nach Berlin geht!« hieß es. »Unmittelbar vom Schlachtfelde!«
Der Wagen des Domherrn wurde umdrängt.
»Ist die Schlacht gewonnen? Haben wir gesiegt? Hat man keine Nachricht von dem dreizehnten Landwehrregiment?«
»Ob er von meinem Sohn, meinem Joseph, etwas weiß?« fragte eine alte arme Frau ihre Nachbarin.
»Wenn ich wüsste, ob mein Mann lebt!« erwiderte die Nachbarin, eine junge Frau, aber auch arm, ein blasses Kind von einem Jahre in den Armen.
»Ich weiß von nichts, von gar nichts, Ihr guten Leute«, rief der Domherr aus dem Wagen heraus.
Er rief es nicht zornig, nicht ärgerlich.
»Arme Leute!« sagte er. »Da stehen sie in der eigenen Not und in der Angst um die fremde Not, und die fremde Not ist wieder ihre eigene! Und wofür das alles? Die Narren, die verblendeten Narren! Was geht denn sie das Bourbonentum, das Königtum an? — Schnell die Pferde, Johann!« rief er seinem alten Diener zu und legte sich in die Ecke des Wagens zurück, um nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören, keine Angst, keine Not, keine Narrheit.
Die Pferde kamen. Es ging weiter. Er blieb in seiner Ecke liegen.
Nach einer Stunde musste er doch wieder sehen.
Er kam auf der nächsten Station hinter Münster an, Telgte, einem kleinen Städtchen. Die Nachricht von der Kanonade, die man seit dem frühen Morgen in den Heiden höre und die eine schwere Schlacht verkünde, war auch in dem Städtchen angelangt, von Münster her.
Telgte hat ein berühmtes wundertätiges Marienbild, zu dem jährlich aus dem ganzen Norden Deutschlands und weiter aus Belgien und Frankreich viele Tausende von Wallfahrern ziehen. Als die Nachricht von der Schlacht durch den kleinen Ort sich verbreitet hatte, war in kurzer Zeit, ohne Aufruf oder Besprechung, die halbe Bewohnerschaft beisammen, Frauen und Männer, Greise und Kinder, und sie zogen in langer, feierlicher Prozession zu der Kirche und dem wundertätigen Muttergottesbilde, für ihre Lieben zu beten, die da weit hinten kämpften und bluteten und starben.
Der Domherr sah den stillen, traurigen Zug, als er über den Markt des Städtchens fuhr.
»Die armen Leute!« sagte er. »Und so geht der Schrecken, die Angst, die Trauer durch das ganze deutsche Vaterland, heute, morgen und wohl noch viele Tage, und Wochen und Monate und Jahre werden hinterher kommen, wohl mit andern Schrecken und mit anderer Not, aber entspringend ans der Verblendung dieser Zeit, die sie wieder eine Begeisterung nennen.«
Er kam in Warendorf an.
Dort wusste man noch von nichts. Von Münster her war noch keine Kunde gekommen, und die kleine Landstadt liegt zwar wohl ebenfalls mitten in der Heide, aber bis hierher hatte der Donner der Geschütze in der Erde sich nicht fortgepflanzt, oder man hatte ihn nicht vernommen.
Der Domherr hatte hier einen Auftrag zu besorgen.
Er verließ den Wagen und ging in das Postgut.
»Herr Postmeister Feldmann?« sagte er.
»Ich bin es«, stellte sich ihm ein alter derber Westfale vor.
»Ich wünsche ein paar Worte mit Ihnen allein zu sprechen.«
Der Postmeister führte ihn in ein besonderes Zimmer.
»Was steht dem Herrn zu Diensten?«
»Kennen Sie eine Madame Mahlberg?«
Auch der Postmeister sah ihn misstrauisch an.
Der Domherr gewahrte es.
»Sehe ich aus wie ein Spitzbube?« fragte er auch hier.
»Wenigstens wie ein Mann, den ich nicht kenne«, antwortete der derbe alte Westfale.
»Sie wissen also etwas von der Frau?«
»Ich weiß aber nicht, ob für den Herrn.«
»Zum Kuckuck! —«
Ein Schreiber trat in das Zimmer, dem Postmeister ein Papier zum Unterschreiben vorzulegen. Es war der Extrapostzettel für den Domherrn.
Der Postmeister war überrascht, als er einen Blick hineingeworfen hatte.
»Sie sind der Herr Domherr von Aschen?«
»Ja.«
»Warum sagten Euer Gnaden das nicht gleich? Der Domherr von Aschen ist kein Spitzbube.«
»Das weiß ich auch.«
»Aber jedes Kind in Westfalen kennt ihn als einen braven, mildtätigen Herrn, der immer ein offenes Ohr und eine offene Hand für Not und Elend hat und der nur —«
»Hm, Herr, auch Komplimente brauchen Sie mir nicht zu machen. Wo ist die Frau, nach der ich fragte?«
»Sie ist hier.«
»Lassen Sie mich zu ihr führen.«
»Ich werde Euer Gnaden selbst führen.«
»Kommen Sie.«
Der Domherr hatte eilig; der Postmeister war bereit.
Sie gingen. Sie mussten auf der Hauptstraße, an der die Post lag, durch manche kleine und winklige Gasse gehen.
»Wie lebt die Frau hier?« fragte der Domherr unterwegs.
»Kümmerlich. Sie bewohnt ein kleines Stübchen bei einer armen Frau. Ich glaube, sie hätte manchmal nicht satt zu essen, wenn — ja wenn meine Tochter ihr nicht etwas brächte.«
»Seit wann ist sie hier?«
»Es können bald anderthalb Jahre sein. Es war gegen Ende des vorletzten Winters. Sie kam krank, durchfroren, mit wenigen Sachen hier an auf der Post. Sie konnte nicht weiter. Die Post ist hier zugleich ein Gasthof, wie Sie gesehen haben werden. Sie bat um ein Zimmer. Am andern Tage lag sie in heftigem Sie ließ mich zu sich bitten. Ich fand sie in der Fieberhitze in Tränen. Sie teilte mir ihre Not mit dass sie nicht weiter könne und ohne Geld sei. Sie habe großes Unglück gehabt; sei jetzt auf der Reise nach Köln, wo sie in einem Modegeschäft ein Unterkommen zu finden hoffe. Nun halte die Krankheit sie hier fest.
Ich möge sie nicht aus dem Hause werfen, bat sie. Ich beruhigte sie und behielt sie. Sie war lange krank, es dauerte Monate, bis sie genas. Ich glaube, ihre Krankheit steckte ihr mehr im Gemüt als im Körper. Als sie genesen war, zeigte sich etwas anderes. Sie sah ihrer Entbindung entgegen. Dazu war sie noch schwach und hinfällig von der langen Krankheit. In Köln war sie fremd; sie hatte sich erst ein Unterkommen dort suchen wollen. In ihrem Zustande konnte sie schwerlich eins finden, und fand sie eins, so musste es ihr nach sechs Wochen wieder verloren gehen. So konnte sie nicht weiter. Ich brachte sie unter, hinten in der Stadt, bei einer armen Frau, die aber brav ist, in einem kleinen Hause, in dem sie jedoch ein gesundes Stübchen hat und hinter dem ein freundliches Gärtchen an der Ems liegt.
Sie wollte hier Putzarbeit machen. Meine Tochter wies ihr auch manches zu. Aber da kam ihre Entbindung,