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Station gekommen, aber die Leute hatten erst davon sprechen können, wenn er schon wieder fort war; er hatte sich überall nur die wenigen Minuten aufgehalten, die zum Wechseln der Pferde nötig waren. In Paderborn musste er länger verweilen. Aus der ruhigen Haltung der Leute in den Straßen hatte er entnommen, dass man auch hier von einer Schlacht noch nichts wusste.

      »Schwager«, sagte er zu dem Postillion, »Dir ist für Dein gutes Fahren ein Krontaler extra versprochen. Du bekommst zwei, wenn Du, solange ich hier bin, den Leuten von der dummen Schlacht nichts vorschwatzest. Du bekommst nichts, wenn sie ein Wort davon erfahren Du kannst Dich melden, wenn ich wieder abfahre. Hast Du verstanden?«

      »Sehr wohl, Euer Gnaden.«

      Die Kellner des Gasthofs umgaben die elegante vierspännige Extrapost. Auch die Post in Paderborn war damals zugleich ein Gasthof und einer der besten in Westfalen.

      Auch der Wirt selbst war herbeigekommen.

      Er kannte den Domherrn, der seit vielen Jahren jährlich einmal, zweimal hier anhielt, wenn er nach dem Bade Hofgeismar fuhr und von da zurückkam.

      Die beiden begrüßten sich.

      »Aber im vorigen Jahre waren Euer Hochwürden nicht hier. Sie waren doch nicht krank?«

      »Der Krieg, der Krieg, lieber Postmeister!«

      »Euer Hochwürden waren doch nicht auch mitgezogen?«

      »Nein, nein! Aber er kehrt auch für Leute, die nicht mitziehen, alles um.«

      »Für die erst recht, Hochwürden. Da ist ja fast keine Familie, der nicht der Ernährer fortgenommen ist, der Vater, der Sohn, der Bruder, der Witwe der Geselle. Man glaubt nicht, in welchem Elende die armen Leute oft leben.«

      »Und wofür, lieber Postmeister? Aber ist der General Steinau hier?«

      »Nein. Indes ein Brief für Euer Hochwürden kam vor einer Stunde mit der Berliner Post hier an. Sehr eilig, steht darauf.«

      »Geben Sie ihn her.«

      Der Postmeister gab ihm den Brief.

      »Von Gisbertine«, sagte der Domherr, als er die Aufschrift las. »Sie kommt also nicht!«

      Er erbrach ihn und warf einen flüchtigen Blick hinein.

      »Sie kommt nicht!«

      Es schien ihm doch ein kleiner Stein vom Herzen zu fallen.

      Auch der Frau Mahler.

      Er hatte der Frau aus dem Wagen geholfen, er selbst, ohne dass er die Kellner herankommen ließ. Einer von ihnen musste das Kind tragen. Dann bot er ihr seinen Arm und führte sie mit einer Ehrerbietung, als wenn sie die vornehmste Dame wäre, in das Haus und die Treppe hinauf in das Zimmer, das er sich hatte anweisen lassen.

      Die Kellner sahen wohl erstaunt hinter ihnen her, hinter dem vornehmen Herrn, der mit ihrem Herrn so wenig Umstände machte, und der so ärmlich gekleideten Frau, die von ihm so ausgezeichnet wurde.

      Auch der Postmeister hatte sich zuerst neugierig die Frau angesehen, sich dann aber nicht weiter verwundert.

      »Der Alte hat immer seine Schrullen«, sagte sein Kopfschütteln.

      »Schnell Mittagessen!« hatte der Domherr bestellt.

      Es kam schnell.

      Den Brief seiner Nichte Gisbertine hatte er unterdes noch einmal gelesen.

      »So, so«, las er wiederholt laut: »Wir haben es vorgezogen, über Kassel zu reisen. Wir werden Dich daher nicht in Paderborn treffen. Du wirst es nicht übel nehmen. In Hofgeismar wirst Du hoffentlich schon vor uns sein, sodass wir dort alles arrangiert finden. Geschrieben in großer Eile. Deine Gisbertine.«

      »Frau Mahler, kennen Sie die Widerbellerin, oder wie sie auch wohl genannt wird, die gezähmte Zänkische von Shakespeare?«

      »Ja, Herr Domherr!«

      »Würden Sie es unternehmen, eine solche Person zu zähmen?«

      »Mit Liebe und Geduld würde es zuletzt gelingen.«

      »Also anders als bei Shakespeare. Man sieht, Sie sind eine Frau, und eine brave Frau, und eine leidende, und einer leidenden Frau gelingt zuletzt alles, wenn sie nicht vorher über ihrem Ringen und Mühen zugrunde geht. Und das würden Sie meiner Nichte gegenüber. Ich hatte heute, als ich bei Ihnen im Wagen saß, so einen Gedanken gehabt. Ich habe ihn aufgegeben. Aber unsern Reiseplan müssen wir ändern. Ich wollte mit Ihnen und den andern zuerst nach Hofgeismar fahren und Sie von da morgen zu meiner Karoline bringen. Jetzt führe ich Sie direkt zu ihr.«

      Sie hatten das Mittagsmahl beendet. Sie stiegen wieder ein.

      Der letzte Postillion erhielt seine zwei Krontaler erst als der Domherr schon im Wagen saß.

      »Fort, fort!« rief der Domherr dann auch in demselben Augenblicke dem neuen Postillion zu.

      Er kannte seine Leute. Als der andere kaum sein Geld in der Hand hatte, rief er:

      »Es ist eine schreckliche Schlacht dahinten mit den Franzosen. Bis Münster hat man die Kanonen gehört. Der Herr im Wagen hatte sie schon vorher gehört. Er weiß alles.«

      »Halt, halt!« rief es hinter dem Wagen her.

      »Kerl, fahre, als wenn das Unglück hinter Dir wäre!« rief der Domherr.

      Und so flog der Wagen dahin.

      Bis zu dem preußischen Grenzstädtchen Warburg blieben sie auf der großen chaussierten Straße nach Kassel.

      Sie hätten diese auch weiter bis etwa zwei Meilen vor Kassel verfolgen müssen, um dann immer auf der bequemen Chaussee, aber freilich auf einem bedeutenden Umwege nach Hofgeismar zu gelangen, während ein mehr als doppelt kürzerer, jedoch beschwerlicher Weg dahin durch das Gebirge führte.

      »Wir nehmen diesen geraden Weg«, sagte der Domherr zu seiner Reisegefährtin. »Auf seiner Mitte liegt Ovelgönne, und Ovelgönne ist das Ziel Ihrer Reise. — Johann«, befahl er dann seinem Diener, »Du besorgst sofort für uns eine Bergchaise nach Ovelgönne, eine recht bequeme, mit zwei Pferden. Du selbst fährst mit der Extrapost auf der Chaussee weiter bis Hofgeismar. Du fährst da zu unserm alten Quartier und bestellst sogleich ein Quartier für den General Steinau. Du verstehst Dich besser darauf als ich.«

      Johann ging, die Chaise zu bestellen.

      Der Domherr ging ihm doch noch nach.

      »Johann«, hatte er ihm noch leise zu sagen, »sollte meine Nichte Gisbertine schon da sein, so sagst Du ihr nichts von der Frau und ihrem Kinde da.«

      »Zu Befehl, Hochwürden Gnaden.«

      Wer war denn diese Dame Gisbertine, vor der ihr eigener Onkel, der entschlossene, unabhängige westfälische Edelmann, fortwährend in solcher Furcht lebte, der er Fäuste in der Tasche machte, um sofort wieder, wie weit er auch von ihr entfernt war, schon in seinen Gedanken vor ihr zurückzuschrecken? Von ihrer Rücksichtslosigkeit hatte er gesprochen, eine Zänkische, eine Widerbellerin hatte er sie genannt!

      Johann war schnell den Befehlen des Domherrn nachgekommen.

      Gleichzeitig wurden an dem Reisewagen des Domherrn die Extrapostpferde eingespannt und fand sich die Bergchaise ein, in welcher der Domherr mit der Frau Mahler und ihrem Kinde weiterfahren wollte.

      Die Bergchaise war ein hoher, breiter Kutschenkasten, der nur auf zwei weit auseinander stehenden Rädern ruhte und zwar von zwei Pferden gezogen wurde, aber nicht so, dass die Tiere nebeneinander an der Deichsel, sondern hintereinander in einer Schere zogen. Indem über Abgründen oft schräg genug herabhängen, kann man nur so fahren, und man fahrt noch immer gefährlich genug.

      Der kleine Koffer der Frau Mahler wurde hinten an der Chaise festgeschnallt; der Domherr hob die Frau und das Kind in das Innere, stieg ihnen nach.

      Der Diener Johann wollte sich in sein Coupé hinten

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